[FB, Hafenviertel] Ein eingeforderter Gefallen

Started by Chimaere, 12. April 2006, 18:29:13

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Chimaere

Die Sonne war schon untergegangen und die meisten Tavernengäste zogen sich in selbige zurück. Aynora beschloss, da es die meisten zu der Stunde ins Bett ziehen sollte, daß sie lange genug an ihrem Platz verweilt hatte und machte sich ebenso auf ins Hafenviertel zurückzukehren. Doch im Gegensatz zu den meisten anderen Leuten war ihr Tagwerk war noch lange nicht getan...

So wanderte die junge Strolchin zunächst scheinbar ziellos durch die kleinen Gassen, stets auf der Suche nach dem Straßenjungen (wobei sie sich nicht mehr so sicher war, ob es sich in der Tat um einen Jungen handelte - immerhin hatte sie ihn bei ihrer "Fischjagd" als auch im Heller vor dem Boxkampf beobachten können). Sie hatte noch das süße Hasl von Rakhal, daß sie selbigem überteuert abgekauft hatte, quasi als stumme Entschädigung dafür und zum Stillschweigen darüber, daß sie ganz keck zuvor sein Dach zu Abseilzwecken mißbrauchte. Daß das Gericht sich nun noch als nützlich erweisen könnte, paßte ihr gut in den Kram. Doch zuerst mußte sie Brianna erst einmal finden...
Oh I come from a land, from a faraway place,
Where the caravan camels roam.
Where they cut off your ear,
If they don't like your face.
It's barbaric, but hey, it's home

Katzerl

...und die lungerte unter dem Vordach des Hellers herum. Fest in ihren Umhang eingemummelt und dennoch vollkommen durchnässt sass sie zwischen alten Kisten und anderem Müll. Ihr missmutiges Starren auf das regennasse Pflaster wurde jäh unterbrochen, als die Frau vorbeischritt, der sie vor nicht allzulanger Zeit den Fisch gemopst hatte. Es passierte Ihr ja nicht oft, dass sie erwischt wurde, aber die Frau hatte sich als überraschend entgegenkommend  erwiesen, zumindest hatte sie nicht nach den Wachen gebrüllt und ihr sogar noch den zweiten Fisch geschenkt. Und jetzt war sie hier und suchte etwas...oder jemanden, wie es aussah.

Bri rappelte sich auf und folgte ihr nach, ihre blossen Füsse verursachten dabei so wenig Laut auf dem Pflaster, dass die Frau sie erst entdeckte, als sie sie am Umhang zupfte. Zufrieden grinste Bri sie verschmitzt an und erfuhr wenig später, dass die Frau gekommen war, den Gefallen einzulösen, für den sie den Fisch erhalten hatte. Zwar wurden sie kurzzeitig unterbrochen, da ein Halbling auftauchte, doch später trafen sie sich erneut in einer versteckten Ecke, und Aynora führte Bri zu dem Ort, den sie, wie sich herausstellte, beobachten sollte, sich insbesondere merken, wer dort ein- und ausging. Auch war es wohl vor allem diese Nacht oder der frühe Morgen, auf den es besonders ankam, aber Bri würde solange dort ausharren, bis die Frau ihr sagte, dass es nicht mehr nötig sei. Das war sie ihr immerhin schuldig. Und so setzte sie sich auf das nasse Pflaster, verborgen hinter den Zinnen, und spähte durch das Geländer auf das Haus hinunter, und behielt auch den Graben im Blick, wie ihr aufgetragen ward.

Den klammen, durchweichten Umhang über die ebenso durchweichten, viel zu weiten Kleider geschlungen, harrte sie dort aus..und wartete...

Katzerl

Seltsam war nur, dass, sollte Aynora am nächsten Tag zu dem Platz zurückkehren, keine Spur von dem Strassenjungen zu finden war.
Und auch die nächsten Tage nicht.

Nur wenn sie danach noch die Ausdauer besässe, sich wieder zu dem vereinbarten Ort zu begeben, würde sie ihn wieder vorfinden. Vielleicht suchte sie ihn aber auch wieder im Hafenviertel, wo der kleine Stromer sich kurz herumtrieb, wenn er versuchte, den Freudenmädchen dort etwas Essen abzuluchsen, deren Mitleid wohl auch oft genug den gewünschten Erfolg hatte.

Chimaere

Doch Aynora war hartnäckig im Suchen - schließlich saß ihr der Zeitdruck im Nacken... abgesehen von der Sorge um die Streunerin. Sie hoffte inständig, daß nichts passiert war, da sie sie an dem Punkt, an dem sie sie zurückgelassen hatte, nicht wieder vorfand. Aber vielleicht war sie auch nur unzuverlässig und war, nachdem es ihr nach ein paar Stunden zu doof wurde, abgehauen... oder sie wurde von den Wachen entdeckt und verscheucht.

Ziellos lenkten ihre Schritte sie durch die Straßen und die eisblauen Augen huschten auf der Suche nach möglichen Verstecken und Unterschlupf hin und her, bis sie an einer Stelle, wo sie die Kleine schonmal zuvor getroffen hatte, endlich fündig wurde... wenngleich auch etwas Anders war: sie mußte ein Bad genossen haben, ihre Kleidung war geflickt worden, ein ungewöhnlich großer (zumindest für ihre Verhältnisse) Essensvorrat war ihr zu eigen - und dem Gesichtsausdruck nach, nachdem sie Aynora erblickte, auch ein fürchterlich schlechtes Gewissen.

Schon glaubte Aynora enttäuscht worden zu sein und mit ihrem zweiten Tip richtig gelegen zu haben, daß sie entweder abgehauen war, als sie eine Gelegenheit wie diese wahr nahm... oder noch ein schlimmerer Gedanke: vielleicht sogar entdeckt und bestochen worden war.

Kühler als sonst überreichte sie dem Mädchen ein frisches Brot, welches sie ihr zu Versorgungszwecken erstanden hatte und setzte sich dezent distanziert wirkend auf eine Kiste mit verschränkten Armen, um ihr dennoch eine Möglichkeit zu geben die Situation zu erklären. Oder zumindest, um rauszufinden, ob sie den Mut zur Ehrlichkeit hatte.
Also fragte sie mit kühler Geduld nach den Geschehnissen der Nacht und bekam ein regelrechtes Gestengeflatter als Antwort. Doch nach und nach zeichnete sich durch die unkonventionelle Form der Kommunikation in Form einer langen Scharade ein Bild ab, welches so Einiges der Umstände erklärte und sie wieder versöhnte... ja, eigentlich mehr noch.

Die Kleine hatte so Einiges durchgemacht und die Tatsache, daß sie sich - laut eigener Aussagen - gut zur Wehr gesetzt hatte, und ihre Loyalität wohl soweit ging, daß sie nicht nur im wahrsten Sinne des Wortes ihren Mund gehalten hatte, bewies, abgesehen von weiteren, für andere sicher nur beiläufig wirkende Gesten, die der Diebin auch schon die Tage zuvor aufgefallen waren, daß das Mädchen Vertrauen zu Aynora gefaßt hatte, welches sie nur zu gern erwiedern wollte und auch würde: sie wußte nur zu genau aus ihren "wilden Jahren", welche große Bedeutung und auch Ehre dies für sie selbst bedeutete.

Und so kam es, daß unter dem Vordach des Hellers ganz nach Straßensitte in die Hände gespuckt, ein stummes Versprechen durch einen Händedruck gegeben und durch einen feierlichen Austausch der Dolche besiegelt wurde....
Einer, dessen Griff mit Stoffresten umwickelt war und so ein wenig schmuddelig wirkte - abgesehen von der abgebrochenen Spitze der Klinge war er jedoch gut geschärft, wenngleich nicht sonderlich professionell, was leichte Unebenheiten zeigten - gegen einen anderen, der schlicht, doch edel wirkte, wenngleich eine trübe Stelle auf der ansonsten so blanken Klinge direkt unterhalb des Heftes gegen das Licht betrachtet die Überreste einer Gravur eines Wappens erkennen ließen, was wohl versucht wurde zu entfernen.
... Eine Klinge für die andere.
Oh I come from a land, from a faraway place,
Where the caravan camels roam.
Where they cut off your ear,
If they don't like your face.
It's barbaric, but hey, it's home

Katzerl

Eine Klinge für eine andere, eine Hand für die andere, verbunden und besiegelt in dem alten Ehrenkodex der Strasse...

Wie versprochen sperrte Bri die Ohren auf, nach diesem seltsamen Namen, den sie erfahren hatte, aber sie tat noch mehr, trieb sich auch noch mehrere Nächte lang an dem Ort herum, den sie vormals beobachten sollte. Zwar schien für Aynora die Sache erledigt, aber nicht für Bri, deren Versagen ihr noch immer schwer im Magen lag.

Vielleicht tauchte der Kerl ja noch einmal auf, und dieses Mal, so schwor sich Bri, würde sie herausfinden, wer er war oder wohin er ging. Vorsichtig natürlich, sehr vorsichtig - die Strasse war eine harte Schule, und sie hatte die Lektion, die er ihr erteilt hatte, nicht vergessen...



- Fin (?) -