Bri´s Weg...

Started by Katzerl, 25. April 2006, 00:31:38

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Katzerl

Der Junge, der kein Junge war, sass am Hafen, die tiefblauen Augen auf die in den Wellen schaukelnden Schiffe gerichtet, den Kopf dabei lässig in die flache Hand gestützt.

Für den Moment, für diesen flüchtigen Augenblick, war die Welt in Ordnung. Wer hinsah, wenn er es tat, würde nur einen weiteren verwahrlosten Buben erkennen, mit dem gleichen frechen Grinsen wie alle anderen. Und war sie nicht wie ein richtiger Junge? Konnte sie nicht ebenso frech grinsen, ebenso schnell rennen, und schlug sie nicht alle im Weitspucken? Solange sie die Hosen trug, würde sie auch einer sein, sie klammerte sich an diese Illusion nun schon so lange, dass sie sie beinahe selbst glaubte. Tief im Inneren wusste sie es natürlich, in der tiefsten Kammer am weitesten Punkt von ihrem Herzen entfernt, da lag es verborgen, das Wissen um die Wahrheit.
Irgendwo dort lauerte ein Monster, dass sich "Zeit" nannte, und das bereits an seinen Ketten riss, sie zu sprengen suchte. Es würde nicht mehr lange dauern, und dann würden auch keine noch so weiten Kleider und kein noch so enger Verband um ihre Rundungen verbergen, was sie war.

Sie drängte den Gedanken zurück, mit aller Kraft, und erinnerte sich stattdessen an vergangene Zeiten, und an das, was ihr erzählt wurde...

Ihre früheste Erinnerung reicht bis zu jenem Augenblick zurück, als sie eingeschnürt wie ein Paket in einem Kinderbettchen lag, die rissige Decke über sich anstarrte, von der der Putz abbröckelte, und erstmals das Gefühl kennenlernte, dass sie die nächsten zehn Jahre begleiten sollte - die Empfindung echten, nagenden Hungers. Sie öffnete den Mund und schrie, brüllte ihren Hunger hinaus, doch niemand kam, um ihr zu geben,nach was sie verlangte, um sie zu trösten oder auch nur mit ihr zu sprechen. Um sie herum nur ein Chor aus ähnlichen Stimmen, leisem Weinen oder wütendem Gegreine, unbeachtet und ungehört verhallend...

Schreien bedeutete Schmerzen. Das lernte sie bald, nachdem sie alt genug war, das zu begreifen. Die Strafe war fast ebenso beliebt wie das Einwickeln und Anbinden, das die ungeliebten "Bälger" an ihrem Platz halten sollte, bis man geneigt war, sie mit dem wenigen, schlechten Essen notdürftig zu versorgen, das sich aus Spenden wohltätiger Bürger einfand.
Und so hörte Bri irgendwann auf zu schreien. Und bald hörte sie auch auf, zu sprechen. Eingedenk dessen, was es ihr einbrachte, wenn sie auch nur den Mund auftat, war es besser zu schweigen. Und dann verlernte sie es einfach, vergass, dass sie es je konnte, und wurde zu dem stummen, schweigsamen Kind, das sie jetzt war.

Noch etwas lernte sie dort recht bald, noch bevor sie laufen konnte...

Das Heim hatte in regelmässigen Abständen Besuche einer seltsamen Art von Klientel, geschniegelten und parfümierten Herren mit festen Vorlieben.
Es kam selten vor, dass kinderlose Paare sich einfanden, um sich unter den Kleinsten und Liebreizensten ein Kind zu suchen, dass die leere in ihrem Leben füllen sollte, doch die "Herren" blieben all die Jahre, und die Prozedur, wenn sie erschienen, war immer dieselbe...

Ein Mädchen - Jungen waren seltener, aber doch auch gefragt - zwischen zwei und acht Jahren wurde ausgesucht, liebreizend anzusehen meist, gebadet und in ein hübsches Kleid gesteckt, das man für diese Besuche bereit hielt. Und dann wurden sie in das Zimmer geschickt, mit der strengen Ermahnung, ja nett zu dem "reizenden Herrn" zu sein, der dort wartete. Was auch immer dort drin geschah, ein Blick in die verstörten Augen der Kinder, die dort herauskamen, reichte den anderen, um zumindest zu begreifen, dass es etwas Schlimmes sein musste.

Bri lernte wie viele andere, Wasser zu hassen und sich selbst zu vernachlässigen. Wer sich vernachlässigte, wurde nicht geholt, so einfach war das. Einige Zeit später, es mochte ein Jahr gedauert haben oder auch nicht, wusste niemand mehr, dass sie einst ein Mädchen gewesen war, oder man übersah sie einfach, stumm und in sich gekehrt wie sie war.

Mit neun Jahren gelang es ihr und einer Gruppe von drei anderen, zwei Jungen und einem noch kleineren Mädchen, aus dem Waisenhaus zu entwischen und in die Gassen der Stadt unterzutauchen. Auch hier war der Hunger allgegenwärtig, aber sie waren frei, und es war eine Zeit des Aufatmens. Bald wurden sie richtig geschickt darin, sich alles zu besorgen, was sie zum Überleben brauchten, was nicht viel war und doch viel mehr, als sie bislang kennengelernt hatten..

- Fortsetzung folgt, maybe -

Katzerl

Die Viererbande genoss ihre neue Freiheit in vollen Zügen. Sie hatten nicht nur Unterkunft in einen baufälligen, halb verrotteten Schuppen im Gerberviertel gefunden, sondern auch mit der Zeit genügend Geschick entwickelt, um durch Ablenkung und Schnelligkeit die Marktstände um ihre Würste, Äpfel, Brote und was es da sonst noch alles essbares gab, zu erleichtern. Weitaus seltener wagten sie sich an die Beutel der Leute, doch auch das klappte, war man zu zweit, eigentlich recht gut. Das waren dann die Tage, an denen der karge Speisezettel mal um etwas besonderes, wie ein Bier oder ähnliches, ergänzt wurde.

Zu viert waren sie einfach unschlagbar, zumindest war dies die einhellige Meinung. Die zusammen verbrachte Zeit und die gemeinsamen Jagdzüge schweissten sie eng aneinander, und Jimmy und Bri passten auf die zwei Kleinsten auf und umsorgten sie wie kleinere Geschwister.
Gemeinsam entwickelten sie auch ihre eigene Form der Zeichensprache, die vor allem Bri und Bobby zugute kam, der eine konnte oder wollte nicht sprechen, der andere nicht hören.

Das war es vor allem, was ihr fünf Jahre später fehlte, dieser Zusammenhalt und die Möglichkeit, sich mit jemanden auszutauschen, der einen verstand und die gleichen Probleme hatte.

Hätte sie diese dumme Tasche doch einfach nur nicht geklaut, dann wäre sie immer noch dort und nicht durch dieses unheimliche, blitzende Ding gerannt, das sie einfach aus ihrer Stadt gerissen hatte. Sie hatte damals, auf der Flucht vor der Frau, einfach zuviel Schwung gehabt, um noch anhalten zu können...

Das war in den ersten Tagen und Wochen eigentlich der einzige Gedanke gewesen, der sich immer wieder bemerkbar machte... hätte sie doch nur..

Allein und völlig auf sich selbst gestellt, war es echt schwierig gewesen. Die meisten anderen hatten schon ihre festen Rotten, und da hineinzukommen hatte sich als ebenso schwer herausgestellt, wie die paar einzelnen zu suchen und mit denen irgendetwas auf die Beine zu stellen. Sie wurde einfach nicht warm mit ihnen, was zum Teil auch einfach an der Verständigung lag.

Ihre einzige Genugtuung hatte darin bestanden, dem Anführer der grössten Gruppe eine blutige Nase zu verpassen, als der sie recht übel beschimpft hatte... (bei der Erinnerung daran trat ein breites, selbstzufriedenes Grinsen auf ihr Gesicht). Hatte der vielleicht blöde geschaut, und geheult hatte er auch, wie ein Kleinkind. Dass sie viel, viel Glück gehabt hatte, und es nur ihrem Geschick und der momentanen Verblüffung der Meute verdankte, da wieder rausgekommen zu sein, ohne dass die Bande sie danach geschnappt und windelweich geprügelt hatte, das machte sie höchstens nur noch stolzer. Und es machte das darauffolgende Alleinsein auch erträglicher...

Und dann war
sie gekommen. Bri fand im Nachhinein, dass es eine wirklich gute Idee von ihr gewesen war, den Fisch zu klauen (eigentlich war die Idee ja ihrem Hunger entsprungen, aber was machte das schon?). Jedenfalls hatte sie den Fisch geklaut, was eine wilde Verfolgungsjagd auslöste, und dann, ja dann hatte die Frau sie geschnappt (was Bri nicht gern zugab, aber so war es nunmal gewesen). Und sie war nicht nur hübsch, sondern auch noch freundlich gewesen, und wichtiger noch als der zweite Fisch, den sie gegen einen kleinen Gefallen auch noch erhielt, war Bri das gewesen. Sie sahen sich noch öfter daraufhin, und mit der Zeit wurde der anfängliche Respekt, den sie zueinander hegten, zu so etwas wie einer zerbrechlichen Freundschaft. Wohl fühlten auch beide eine Art von Schuld gegenüber dem anderen - Aynora, weil sie Bri durch den Auftrag einer unberechenbaren Gefahr ausgesetzt hatte, und Bri, weil sie ihre Aufgabe nicht erfüllt hatte. Letzteres war nur noch ein Grund mehr, aber nicht mehr der ausschlaggebende gewesen, mit ihr die Messer zu tauschen.

Der Auftrag, ja. Eigentlich war er ja recht einfach gewesen, zumindest hörte es sich zunächst so an. Sie sollte jemanden beobachten, ihn dann verfolgen und wenn möglich auch enttarnen, um wen es sich handelte.
Soweit so gut, wären nicht mehrere unglückliche Faktoren zusammengekommen. Zum einen war sie gewiss nicht ungeschickt, hatte aber, aus Besorgnis, den Mann zu verlieren, einen bedauerlichen Mangel an Vorsicht walten lassen, zum anderen hatte sie auch nicht mit der Schläue und Erfahrung eines Parat Flink gerechnet - um jenen handelte es sich nämlich, doch erfuhr sie das erst viel, viel später, erzählt durch eben jene Frau, die sie auf ihn angesetzt hatte, und nur nach einem Schwur, es keinem, wirklich keinem, weiterzuerzählen.
Sie verfolgte ihn in die Kanäle, sicher noch, allzu sicher ihrer Fähigkeiten, aber eben auch in ihrem Bestreben unvorsichtig manches mal. Und so mag es nicht überraschen, dass er ihr unten auflauerte, längst wissend, dass er einen Verfolger hatte...

Sie wurde gestellt und wäre sicherlich auch da schon eingehend verhört worden, doch machte er, der er vermummt bis zu Unkenntlichkeit war,  einen Fehler, unterschätzte ob ihres Alters ihre Angriffslustigkeit, und liess den zumindest doch abschreckenden Meter gehärteten Stahl wieder in seinem Behältnis verschwinden. Wenn Bri eines   auf der Strasse gelernt hatte, dann war es das, zuzuschlagen, sobald sich eine Gelegenheit bot und der andere es tat. Und genau das tat sie, versetzte ihm einen beherzten Tritt, der allerdings die gewünschte Region verfehlte und stattdessen auf dem Oberschenkel landete, aber den Bruchteil einer Sekunde, die er brauchte, um sich von seiner Überraschung zu erholen, nutzte sie und floh, tiefer in die nassen, dunklen Gänge mit ihren unheimlichen Bewohnern.

Man muss es dem Mann zweifellos anrechnen, dass er sich um das Kind sorgte und ihm deshalb nachging, steuerte es recht kopf-, aber dafür haltlos, auf die Kanäle des Hafenviertels zu, wo sich ganze Rotten von Kobolden herumtrieben und seinem Leben sicherlich mit grösstem Eifer ein Ende bereitet hätten. Und genau dies rief er dem vermeintlichen Jungen auch nach, und dank der hallenden Gänge, die jeden Laut weit tragen, verstand sie ihn auch und kam stolpernd zum Stehen.

Unsicherheit machte sich, neben allem Trotz und Ärger, in ihr breit, sie konnte nicht vor und nicht zurück, war zwischen den kleinen Monstern und ihm gefangen, der jetzt unweit von ihr an der Biegung stand, die in diesen Kanal mündete. Sie entschied sich für ihn als das kleinere Übel und führte die Hand zum Messer, einem unansehlichem Ding mit einem aus Stoffetzen umwickelten Griff, da das Holz darunter gesprungen war, aber die Klinge war scharf, und sie zu allem entschlossen. Er war wohl weniger begeistert davon und trat langsam den Rückzug an, sie im Auge behaltend und dabei ausfragend, wollte wissen, wer sie geschickt hatte, und hielt sie trotz ihres verneinden Kopfschüttelns für jemanden aus Kwasirs Reihen - zunächst sagte ihr der Name nichts, es mochte an den Tunneln liegen, deren Nachhall den Namen verzerrte, oder an ihrer Aufregung, aber dann hätte sie fast gelacht (lautlos, natürlich) - was für ein Unsinn, sie war von niemand abhängig. Konnte es nicht sein, und wollte es bestimmt nicht von einem geschniegelten Stutzer, der irgendwo aus den reichen Vierteln heraus andere für sich die Drecksarbeit erledigen liess. Sie war frei, und das war auch gut so - zumindest redete sie sich das ein, und hoffte, dass sie es irgendwann glaubte...

Sie folgte ihm im gleichen Abstand, blieb stehen, wenn er es tat, und ging weiter, wenn er zu dem selben Schluss kam, bis sie eine Leiter erreichten - und eigentlich hätte dort schon alles zu Ende sein können, sie hätte sie nur hinaufsteigen müssen... Aber Bri wäre nicht Bri, wenn sie neben aller berechtigten Furcht nicht viel zu trotzig und stur gewesen wäre, um jetzt aufzugeben...und so wartete sie nur, bis seine Schritte sich genügend entfernt hatten, und schlich ihm wieder nach.

Sicher hätte es bei jedem anderen funktioniert, nur eben nicht bei diesem Mann, der sich nicht vorwärts, sondern rückwärts bewegte, und so wohl trotz Dunkelheit und blosser Füsse den Nachschleicher alsbald entdeckte.
Eine Ratte fand ein unrühmliches Ende auf einem Rapier und landete in einem Seitenkanal, als Lockmittel für etwas anderes, das darin hauste, widerliche, schwarze, schleimige Kreaturen, die eine ätzende Säure verspuckten und bereits auf den Kadaver zuglitten...

Der Mann versteckte sich hinter der nächsten, nicht allzuweit entfernten Biegung und wartete - und wieder gab es wohl keinen Grund dafür ausser dem, dass er den Kleinen nicht seinem Schicksal überlassen wollte.
Und der tappte getreulich und ahnungslos in die Falle, die er ihm gestellt hatte. Und es wäre beinahe ihr Ende gewesen, weil er auf Schreie wartete, die nie gekommen wären, und es ist nur dem Glück zu verdanken, dass der einzige Stein, den sie dem Biest entgegenschleudern konnte, auf einen Stein prallte und der klingende Laut ihn wohl alamierte. Ein Messer, so scharf es auch ist, ist eine armselige Waffe gegen diese Kreaturen, doch die Schleuder war nutzlos geworden, und so wehrte sie sich damit, aber ohne die Pfeile, die sich bald darauf an ihr vorbei in den schleimigen Gegner bohrten, wäre es ihr Tod gewesen. Die Ablenkung, als der erste Pfeil in das Wesen fuhr, brachte ihr allerdings wohl auch die meiste Säure ein, die sich nun munter durch die zum Glück zweifachen Schichten an Kleidung frass, als sie erschöpft gegen die Tunnelwand sank, mit schmerzverzerrtem Gesicht ihre Arme kurz betrachtend. Dass er sie daraufhin verhöhnte, machte die Sache gewiss auch nicht besser, erweckte nur wieder den Trotz zu neuem Leben, liess sie nur kurz bitter grinsen. Was dann folgte, war nur eine natürliche Reaktion seinerseits - er wusste jetzt, dass sie ihn weiter verfolgen würde, und gleich wie armselig ihre Waffen auch waren, er hatte wohl wenig Lust, ein Messer in den Rücken zu bekommen, und forderte sie prompt auch auf, es ihm auszuhändigen. Er drohte ihr, und sie musste widerwillig einsehen, dass sie nicht in der Lage war, Forderungen zu stellen..nicht mit einem Rücken voller widerlicher Schleime, die jederzeit die neue Beute wittern konnten.

In einem Anfall von Wut, erweckt aus der hilflosen Lage heraus, in der sie sich befand, gab sie ihm das Messer - schleuderte es mit aller Kraft, aber wohl berechnet in seine Richtung, wo es an seinem Kopf vorbeisauste und klirrend gegen die Steinwand hinter ihm prallte.

Er zog sich daraufhin leicht in den einen Gang zurück, vielleicht, um weiteren Attacken zu entgehen, und forderte sie gleichzeitig auf, ihm alle ihre Waffen auszuhändigen...was sicherlich kein so schlechter Vorschlag gewesen wäre, wäre das da vor ihm nicht sicherlich der grösste Sturkopf des Hafenviertels gewesen. Sie sah die Möglichkeit zur Flucht sehr wohl, und versuchte ihre zitternden, geschwächten Beine auch zu überreden, ihr zu gehorchen, aber es bedurfte seiner "Ermutigung", um ihr diese Kraft zu geben... Nicht nur, dass er von ihr verlangte, sie solle Umhang und Hemd öffnen, was er mit einem wohlgezielten Pfeil an ihr vorbei unterstrich, er wies sie auch recht nachdrücklich auf die Kreaturen hin, die hinter ihr im Tunnel lauerten, und das war es, was sie letztlich losstürzen liess, wenn es auch eher ein verzweifeltes Stolpern war, auf ihn zu, während er dies erkannte und vom Bogen aufs Rapier wechselte, um ihr jenes dann mit der  Breitseite in die Kniekehlen zu schlagen, worauf sie zu Boden ging.

Die denkbar ungünstige Lage war eingetreten - sie auf dem Boden, unfähig, sich zu rühren, und er dicht vor ihr, nur eine Rapierlänge entfernt.
Er bewies einen erstaunlichen Weitblick, als er sie fragte, ob sie taub und stumm wäre, ersteres konnte er dank ihres daraufhin zutiefst trotzigen Gesichtsausdrucks dann ausschliessen.

Recht viel mehr als das war ihr an Gegenwehr auch nicht mehr möglich, ihre Beine gehorchten ihr nicht, die Stellen, wo die Säure ihre Haut traf, brannten höllisch. Sie nährte ihre Wut auf ihn und ihre Lage, erstickte damit die Furcht, die sich jetzt deutlich bemerkbar machte, verschloss sie in sich, und eine Zeitlang gelang ihr das auch recht gut.

Bis er sie aufforderte, ihre Sachen auszuziehen. Ihr Gesicht wurde so finster, wie die Furcht in ihr aufloderte, alte Erinnerungen wach wurden. Sie versteckte es zumindest vor ihm hinter einer Mischung aus Trotz und Wut.

Es versprach ein ermüdendes Spiel zu werden, und das wurde es auch - er verlangte, forderte, drohte, versuchte es im Guten, und sie weigerte sich jedes Mal aufs neue, starrte ihn nur finster an und bewegte sich kein Stück.
Irgendwann ist jede Geduld zu Ende, und die seine war es dann auch,
und er setzte ihr das Rapier an den Körper, scheinbar zu allem bereit. Und ihre Furcht sprang vor, verdrängte Wut und Trotz kurzfristig, liess sie sogar für den Moment alles vergessen ausser dem einen, dass sie ihr Leben behalten wollte, trotz allem. Und dennoch verweigerte sie sich ihm bei jedem Kleidungsstück wieder aufs neue, bis er ihr wirklich zusetzte.
Es war ein harter Kampf, Wille gegen Waffe, Furcht gegen Entschlossenheit. Meist gewinnt der Stärkere, seis nun an Geist oder Körperkraft, und so war es auch diesmal, und Bri fand sich bis auf die Bandagierung ihrer Brust, die ihre Rundungen verbergen sollte, und ihr Höschen ausgezogen auf den kalten Steinen kauernd wieder, während er ziemlich achtlos ihre Sachen durchwühlte, den einzigen Besitz, den sie hatte. Und er fand...nichts, natürlich nichts, denn das, was sie durch ihre Weigerungen verbergen wollte, war sie selbst, lange Jahre im Heim und auf der Strasse hatten sie genügend geprägt, um mit dem Schlimmsten zu rechnen - und das war sicher nicht der Tod.

Es wäre sicherlich untertrieben zu sagen, dass er erbost war über die sinnlose Zeit die sie ihn gekostet hatte, und nichts dabei herausgekommen war als ein paar recht unbefriedigende Antworten auf seine Fragen, die er zudem auch noch unverschämterweise so stellen musste, dass sie ihm mit einem Nicken oder einem Schütteln des Kopfes antworten konnte.
So ist es ihm wohl nachzusehen, dass er sich - wohl auch der Vorsicht Rechnung tragend - kurzerhand dazu entschied, aus ihren Sachen dank des Umhangs ein handliches Bündel zu machen und sie vorangehen zu lassen, mit der Bemerkung, dass sie sie zurückerhalten würde, sobald er sich in Griffweite einer Leiter, eines Ausgangs, befände.

Was sie natürlich nicht gerade beruhigte, sondern die Wut erneut ihr Denken übernahm, der stetig vorherrschende Trotz ihr folgend...

Und als er dann tatsächlich von ihr verlangte, sie solle sich _umdrehen_, sich ihm gegenüberstellen in ihrer knapp bedeckten Blösse, und ihn anlächeln... anlächeln, ihn! - da war es dann endgültig vorbei, und sie streckte ihm stattdessen die Zunge raus, tat es mit Befriedigung, als einziges Mittel des Aufbegehrens, dass er ihr noch gelassen hatte.

Und dann machte er noch einen Fehler, geboren aus seinem Ärger über ihre Sturheit wohl - er drohte ihr an, ihre Sachen mitzunehmen, alles was sie hatte, das einzige, was sie in dieser Welt ihr eigen nennen konnte...

Irgendetwas setzte in ihr aus, schaltete ihr Denken vollkommen ab, liess sie sich auf ihn stürzen, aller Schwäche und Erschöpfung und vor Kälte tauber Glieder zum Trotz, selbst das Rapier in seiner Hand vergass sie, alles, wollte ihn schlagen, solange, bis er ihr zurückgab, was ihr gehörte...

Kalter Stahl brachte sie jäh zum Halten, bohrte sich unterhalb ihrer Schulter in ihren Körper, zum Glück rechts, nicht links, wo ihr Herz sass..doch auch so war es genug, unendlich genug, alle Kraft verliess sie, die Beine gaben nun endgültig unter ihr nach, sie sackte zu Boden, wehrlos und hilflos, alle Wut verraucht und nur diesen höllischen Schmerz zurücklassend, der sich von ihrer Schulter aus durch ihren ganzen Körper brannte wie ein Lauffeuer...

Bei allem Zorn, den er auf sie wohl empfand, so war es doch Menschlichkeit, Empfindungen wie Mitgefühl vielleicht, die ihn nicht das Weite suchen, sondern neben ihr niederknien liessen, sie notdürftig versorgend mit einem herausgerissenen Fetzen ihrer Lumpen, während er auf sie einschimpfte über soviel Torheit. Sie hatte einfach nicht mehr die Kraft, sich zu wehren, nur deshalb duldete sie seine Hände auf ihr, musste sie erdulden, so nah der Gnade einer Besinnungslosigkeit, die ihr dennoch verwehrt wurde.

Und wieder muss man ihm anrechnen, und dies hoch, dass er sie nicht liegen liess, sondern den längeren Weg in Kauf nahm und sie - samt ihrer Sachen - zum Tempel brachte, gegen die Tür hämmerte, auf dass sie bald gefunden werde, bevor er in der Dunkelheit entschwand...




- to be continued -

Katzerl

Und die Priester waren gründlich, nicht nur, was das Versorgen ihrer Wunden anbetraf, sondern auch im Verbrennen ihrer Lumpen, und das wirklich schlimme war das Wasser gewesen.

Das war sicherlich das erste gründliche Bad seit Jahren gewesen - zählte man die Tage,  an welchen sie in strömenden Regen geriet oder sich vor Verfolgern ins Hafenbecken flüchten musste (was sie nur tat, wenn ihr ein Entkommen anders nicht möglich war, und dabei jedesmal halb ertrank), nicht mit. Oh, sie hatten sich wirklich um sie bemüht, waren stets gleichbleibend freundlich geblieben, auch wenn all ihre Bemühungen letztlich allesamt an der Mauer abgeprallt waren, die Bri um sich aufgebaut hatte. Sie witterte eine Falle, wo keine war, sah sich bereits wieder in einem Heim eingesperrt, weniger wert als ein Tier und ebenso behandelt, und das wollte sie nie wieder - mochten sie ihr noch so schöntun, vor allem dieser Priester mit dem Namen der Sonne war recht hartnäckig dabei, aber auch er scheiterte an ihr.

Sobald sie wieder einigermassen auf den Beinen stehen konnte, schlich sie sich daher des Nachts aus dem Tempel, ihre wenigen Habseligkeiten bei sich, neben den abgetragenen, aber noch recht ordentlichen Kleidungsstücken, mit denen die Priester sie ausstaffiert hatten.

Selbstredend, dass sie dem Mann aus den Kanälen daraufhin nicht unbedingt gewogener gesonnen war, allein das Bad und seine Auslieferung an den Tempel, bestimmt mit der Absicht, dass sie in ein Heim kam, rechtfertigte ihren Groll noch mehr, befand sie. Und auch wenn eine leise Stimme irgendwo in einem versteckten Winkel hartnäckig flüsterte, dass sie ihm letztlich ihr Leben verdankte, und das nicht nur einmal, verdrängte sie diese erfolgreich mit einer recht naiven, kindlichen Logik: Wäre er nicht in die Kanäle hinabgestiegen, wäre sie nie dort gewesen, wäre niemals auf den Schleim getroffen, und letztlich hatte sie es auch noch seinem Pfeil zu verdanken, von oben bis unten mit Säure bespuckt zu werden. Und dann musste er auch noch mit diesem hundsgemeinen Rapier herumfuchteln und auf sie losgehen (erfolgreich die Tatsache verdrängend, dass es ja eigentlich umgekehrt gewesen war, aber sie hatte ja auch gute Gründe..)

Alles in allem mochte es für einen Aussenstehenden völlig wirr und höchst undankbar klingen, für Bri war es ein aus Trotz geborener Schutz, Schutz davor, sich zweierlei einzugestehen: Eben die Tatsache, dass sie eine Menge Fehler gemacht hatte, und dass sie einem Mann ihr Leben verdankte, den sie überhaupt nicht leiden konnte und dem sie einfach nicht dankbar sein wollte...
Dementsprechend finster waren ihre Rachepläne..irgendwann, irgendwo, würde sie es ihm heimzahlen, das stand für sie fest.

Es folgte eine Zeit, die sich in nichts von der unterschied, die der Sache mit den Kanälen vorangegangen war, bis, ja, bis...

...die Sache mit dem entwendeten Beutel geschah...

Katzerl

Sie stromerte mal wieder durch die Gassen, Dunkelheit hatte sich bereits über die Stadt gesenkt, und nur noch wenige Leute waren unterwegs. Ihre Streifzüge führten sie mittlerweile immer wieder aus dem Hafenviertel heraus, und diese Nacht landete sie im Turmviertel, wartete, bis die Wache ihr den Rücken zugekehrt hatte, um dann zu der schmalen Stelle zwischen Brunnen und Bank zu huschen, wo dieser alte Mann immer zu sitzen schien, wenn sie vorbeikam. Es war kein unbedingt perfektes Versteck, aber es ging, und die nächste Gasse war nicht allzuweit entfernt...

Nur diese Nacht war etwas anders als sonst.. kaum hatte sie sich aus dem Schutz der Gasse begeben und auf halbem Weg zu der Bank, erstarrte sie - und starrte den Mann an, nur ein Schatten in weiteren, der hinter dem alten Mann geduckt stand und soeben einen Beutel von ihm losschnitt und ihn einschob.

Ihr war sogleich klar, was das zu bedeuten hatte, aber während der Gedanke noch Form anzunehmen begann, reagierten auch schon ihre in den Jahren antrainierten Instinkte, sie wirbelte herum und raste, so schnell sie konnte, auf die Gassen zu, in die Sicherheit, die sie versprachen. Sie hörte schwere Schritte hinter sich auf dem Pflaster, und sie musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, was das zu bedeuten hatte....
Sie verdoppelte ihr Tempo noch, und langte keuchend bei dem Gnom an, der sich selbst einen Erfinder schimpfte, drückte sich dort in eine dunkle Ecke und legte rasch einen Finger an die Lippen, eindringlich zu ihm sehend. Nur war der feige Hund als Komplize zu überhaupt nichts zu gebrauchen, obwohl er selbst seine Finger im Dreck stecken hatte, wie sie wohl wusste, und verriet sie bei der nächstbesten Gelegenheit.

Kaum hatte der Mann sich vor ihm aufgebaut, wusste sie auch, warum.
Sie hatte nicht viel Zeit, ihn zu mustern, aber die seltsame Kleidung, die er trug, mehr aber noch sein muskulöser, gestählter Körper, der nicht so recht zu dem attraktiven Gesicht passen wollte, und letztlich auch die im normalen Plauderton vorgetragenen Drohungen, die er dem zitternden Gnom gegenüber verlauten liess, machten ihr klar, dass sie einen wirklich gefährlichen Mann vor sich hatte.

Sie wurde verraten, ein einfacher Fingerzeig auf die Ecke, in der sie sich verbarg, und Bri verwünschte den Gnom gedanklich in alle Höllen Seldarias, als sie aus jener hervorstürzte und ihre Flucht wieder aufnahm, die allmählich immer verzweifelter wurde. Es gelang ihr, ihn kurzfristig abzuhängen, und einen Kanaldeckel zu erreichen - sie hasste die Kanäle, aber was blieb ihr anderes übrig? Sie kletterte die schmierige, rutschige Leiter hinunter, so rasch sie konnte, und hastete den Gang entlang, ziel- und kopflos und nur darauf aus, den nächsterreichbaren Ausgang zu finden. Sie fand ihn, ohne von widerlichen Schleimen bespuckt oder von Kobolden zerstückelt zu werden, und hangelte sich hinauf, mittlerweile vorsichtig - sie hatte wahrlich keine Lust, abzustürzen und sich das Genick zu brechen. Sie drückte den Kanaldeckel ächzend beiseite, gerade soweit, dass sie sich durch den Spalt zwängen konnte...nur um sich unsanft am Kragen gepackt und hochgehoben zu fühlen...

Wieder reagierte sie instinktiv, zappelte und schlug wild um sich, eine Hand presste sich auf ihren Mund, wollte ihn verschliessen...sie biss zu, so kräftig sie konnte, hörte einen unterdrückten Fluch und dann nichts mehr für eine Sekunde, weil ihr die Ohren klingelten von dem Schlag, den er ihr versetzt hatte. Etwas wie "halt still, oder ich sorg dafür" drang noch zu ihr durch, doch sie wehrte sich natürlich trotzdem weiter, versuchte den Dolch zu erreichen, der in dem Strick steckte, der ihr als Gürtel diente - und machte dann eine äusserst schmerzhafte Begegnung mit der Mauer, gegen die er sie schleuderte. Die Luft wurde ihr aus den Lungen gepresst dabei, sie ging in die Knie, doch gab er ihr keine Zeit, sich davon zu erholen, unbarmherzig packte er sie erneut und drückte sie gegen die Wand, sie aufrecht haltend. Er fragte sie denn auch sogleich, ob sie jetzt endlich stillhalten würde, oder ob er wirklich grob werden müsste. Stillhalten war im Augenblick so ziemlich das Einzige, was sie konnte, immer noch die Nachwirkungen ihrer Bekanntschaft mit der Mauer bekämpfend, und so fand er die Zeit, sie zu mustern und festzustellen, dass er sich da wohl einen "Gassenjungen" eingefangen hatte. Welcher im Begriff war, abermals nach dem Dolch unter dem Umhang zu tasten, langsam - und doch nicht langsam genug, und offenbar schon gar nicht unauffällig, denn er bemerkte es fast sofort und ballte eine Faust. "Wenn du irgendwelche Dummheiten machst lernst du die hier kennen" verhiess er ihr.

Und dann begann die Befragung. "Wer bist Du?" - "Was hast Du gesehen?" Hätte sie eine Stimme gehabt, dann hätte sie ihm wohl spätestens dann geantwortet, als er höchst eindrucksvoll dicht neben ihrem Kopf eine Faust auf den Stein krachen liess, aber so, wie die Dinge nun einmal standen, würde sie sich wohl von ihm verprügeln lassen müssen, wie er es ihr lebhaft androhte. Zutiefst verängstigt und der Trotz nur noch eine hohle Maske starrte sie ihn an, und spannte sich, den ersten Schlag erwartend...

Zum Glück - oder Pech - bekam sie eine kurze Gnadenfrist, als er wohl zu dem Schluss kam, dass die Gasse ein recht ungeeigneter Ort für eine ausführliche Befragung war, und zerrte sie daraufhin durch die halbe Stadt, zurück ins Hafenviertel, wo die Laternen dunkel und die meisten Augen verschlossen blieben. Er brachte sie ihn ein heruntergekommenes Wohnhaus, Panik schoss in ihr hoch, und sie wehrte sich wieder heftig, versuchte seinem Griff zu entkommen, was ihr allerdings nur einen Faustschlag ins Gesicht einbrachte und ihr das Blut aus der Nase schiessen liess. Sie hielt wieder still daraufhin, aber der Blick, mit dem sie ihn anstarrte, war hasserfüllt. Er zog sie in eine Wohnung, ein einfaches, karg eingerichtetes Zimmer, und Bri´s finsterer Blick begegnete gleich einer ganzen Reihe verschüchterter Augen - eine Familie, die der Mann mit groben Worten aus dem Raum scheuchte.

Katzerl

Sie machte nicht einmal den Versuch, um Hilfe zu bitten - sie wusste, sie würde von ihnen keine erhalten. Das wusste sie so sicher, wie sie ahnte, dass sie diesen Raum nicht mehr verlassen würde. Nicht ohne viel Glück, und das hatte sie in letzter Zeit oft genug im Stich gelassen. Sie redete sich ein, dass es ihr egal wäre. Sie war hier ohnehin nicht glücklich, in dieser kalten Stadt, ohne ihre Freunde, ohne auch nur den leisesten Hauch von einem Gefühl, dass es irgendwen scheren würde, wen sie nicht mehr war. Halt, das stimmte nicht - zumindest bei Aynora war sie sich sicher, dass sie sie vermissen würde. Und das war ein gutes Gefühl, ein kleiner Lichtblick in dem Sumpf aus Schmerzen, Verzweiflung und Angst in ihrem Inneren. Doch ganz war sie noch nicht gebrochen, sie hatte noch ihren Trotz, an den sie sich klammern konnte, und sie tat es, auch wenn ihr Kampfeswille erlahmt war.

Sie befolgte seine Anordnungen stumm, nur diesen flammenden Blick auf ihn richtend, und wartete doch nur auf den Zeitpunkt, an dem er sie umbringen würde...

Wasser...warum musste es immer Wasser sein, mit dem sie sie quälten? Sie starrte den Bottich hasserfüllt an, aber eingedenk weiterer Schmerzen und seiner Drohung, er würde es sonst tun, fügte sie sich und wischte sich das Blut von der Nase..nicht ohne ihre Wut an dem Lappen auszulassen, den sie zurück in den Bottich schleuderte. Sie ging auch zum Bett, als er es verlangte, setzte sich auf die Kante, senkte den Blick zwischen ihre baumelnden Füsse auf den dreckigen Holzboden und fragte sich, was als nächstes kommen würde. Sie musste nicht lange darauf warten...

Er löste eine Peitsche von seinem Gürtel, und obwohl sie die Augen krampfhaft auf die groben Holzplanken unter ihr gerichtet hatte, sah sie sie doch aus den Augenwinkeln, und ihr wurde nun schlecht vor Angst.

"Du sprichst nicht viel, oder?", auf sie zutretend dabei und mit einer fast lässigen Bewegung die Peitsche über den Bettpfosten hängend. Sie schüttelte den Kopf, immer noch den Boden fixierend. "Du solltest besser schnell anfangen, viel zu reden". Ohja, das konnte sie sich denken. Und auch, was passieren würde, wenn sie es nicht tat. In ihrem Mund war plötzlich ein bitterer Geschmack, sie versuchte ihn hinunterzuschlucken, aber es wollte einfach nicht gehen, sie krallte die Finger so fest in die schäbige Decke, dass die Knöchel weiss hervortraten, heftig zitternd jetzt vor Angst.

Er zeigt ihr den Beutel, den er stahl, und Hoffnung keimt in ihr auf. Wenn sie ihm begreiflich macht, dass sie ihn nicht verraten wird...wenn sie einfach so tut, als hätte sie den Beutel nie gesehen..würde er sie vielleicht gehen lassen... Sie tut es auf die einzige Weise, die sie kann, und schüttelt den Kopf, heftig - was sich als Fehler erweist, denn er packt sie an der Kehle, zwingt ihren Blick nach oben, direkt in seine harten Augen.

"Sehe ich für Dich so aus, als würde ich gern belogen werden?" - in gefährlich leisem Ton.
Sie versucht ein Kopfschütteln, versucht es wirklich, doch sein Griff hindert sie daran, sie kann nichts weiter tun, als zu ihm aufzustarren, unfähig, den Blick zu lösen, diesen kalten Augen zu entfliehen. Gelähmt vor Angst.

"Du kannt mir die Wahrheit sagen, und ich werde dich nicht schlagen. Oder du lügst mich weiter an, und ich sorge dafür dass dies der schlimmste Tag deines Lebens wird." prophezeit er ihr, und lässt dann von ihr ab, damit sie ihm antworten kann. Ob sie den Beutel schon einmal gesehen hätte - sie reibt sich die Kehle, hustet...und nickt, wenn auch zögernd, sie weiss noch immer nicht, ob er sie nicht einfach erledigen wird, wenn sie ihm die Wahrheit sagt..seiner Worte zum Trotz, sie traut ihm nicht soweit über den Weg, wie sie spucken kann...

Und wieder diese elende, vermaledeite Frage.."Was hast Du gesehen?". Un d wieder weiss sie sich nicht anders zu behelfen, als den Kopf zu schütteln, in der Hoffnung, dass er ihr glaubt. Sie würde es zu gern selbst glauben.
Er kniet jetzt vor ihr, da sie wieder den Boden anstarrt, und als er das nächste Mal spricht, schwingt in seiner Stimme der erste Anflug von Wut mit. "Ich frage Dich noch einmal..." leise, drohend, kalt...

- to be continued -

Katzerl

Sie wird ihm antworten. Sie kann einfach nicht mehr, und wenn er sie trotz der Wahrheit bestrafen will, dann wird er es tun, und nichts und niemand kann dies verhindern. Sie kann nur hoffen, dass er ihre Gesten deuten kann, und drängt den Gedanken zurück, was passieren wird, wenn er es nicht vermag...

Sie zeigt mit einem zitternden Finger auf ihn, und er versteht sogleich.
"Du hast mich gesehen. Was habe ich getan?" Sie antwortet ihm nicht gleich, sie muss überlegen, sich eine Geste einfallen lassen, die er erkennen wird. Die Peitsche kann sie immer noch aus dem Augenwinkel sehen, so sehr sie sich auch bemüht. Sie lässt eine Hand in einem Halbkreis vor sich von unten nach oben gleiten, tut so, als würde sie etwas einstecken, und deutet dann auf den Beutel, den er hält.

"Du hast gute Augen, Kleiner, und schnelle Hände" grinst er, und sie vernimmt es ungläubig und wartet immer noch auf das Unausweichliche.
Das nicht kommt, nicht kommen wird, nicht in dieser Nacht oder in einer der nächsten.

Stattdessen beginnt er, sich zeigen zu lassen, was sie kann, und sie zu unterweisen, wie sie es besser machen könnte. Zunächst noch verängstigt und skeptisch, erkennt sie den Nutzen seiner Ausführungen bald und verdrängt das "Warum" zugunsten der Neugier. Er lehrt sie den Kniff, wie man einen Ring unbemerkt vom Finger streift, wie wichtig Ablenkung letztlich für jeden Diebstahl ist, welche Informationen wichtig sind und wie man sie erfährt - und er lehrte sie jonglieren. Das war mit Abstand das Wunderbarste, Sinnloseste überhaupt, was sie je getan hatte, rein zum Vergnügen, wie sie dachte, und sie übte wieder und wieder voller kindlicher Begeisterung das Spiel mit den Äpfeln, die sich ihren Händen nur widerwillig fügen wollten...

Am Ende siegte Neugier über Angst, Wissbegier über Trotz, und sogar ihre so stark verankerte Abneigung gegen Wasser vermochte er ihr, wenn auch mit Zugeständnissen an ihre Sturheit, kurzzeitig auszutreiben. Die Drohung, sie nicht mehr zu lehren, reichte, denn lernen wollte sie, mehr als alles andere...

Und noch etwas hielt sie in diesem Raum, hielt sie unbewusst in seiner Nähe in diesen seltsamen Stunden, die so unheilvoll begannen... Es begann schleichend, sein unbeschwertes Lachen, wenn ihr die jonglierten Äpfel entglitten und sie fast am Kopf trafen, wenn sie sich nicht schnell genug zu ducken vermochte...seine Finger in ihrem Haar, als er sie endlich dazu bewegt hatte, sie zu waschen, die es mit erstaunlicher Behutsamkeit, die man diesem Mann so nie zutrauen würde, entwirrten...

Zunächst nur eine schwache Regung, die Sehnsucht nach etwas, schwer zu erfassen, alt und neu zugleich. Alt, weil sie es in Yhaunn bereits verspürt hatte, im Schutze ihrer kleinen Vierergruppe, wenn sie sich um ein brennendes Feuer drängten, die Grösseren die Kleinen im Arm. Wenn sie die Augen schloss, konnte sie manchmal noch Melli in ihren Armen spüren, so klein, so zerbrechlich, und doch für ihr Alter einen viel zu ernsten, wissenden Ausdruck in den Augen. Nein, leicht waren die Zeiten damals nicht gewesen, doch sie hatten einander.
Geborgenheit, Schutz waren keine leeren Worte gewesen.

Und jetzt, nach all den Wochen allein, ausgerechnet bei einem Erwachsenen, bei einem Mann, der sie, dessen war sie sich bis eben noch sicher gewesen, ohne auch nur eine Miene zu verziehen umbringen würde, ausgerechnet bei jenem regte sich in ihr die Sehnsucht nach jener Geborgenheit wieder. Nach Sicherheit. Und gleich, wie hartnäckig sie jene Regung zurückdrängte, er schaffte es immer wieder in jener Nacht, der festen Mauer in ihrem Inneren haarfeine Risse zuzufügen.

Irgendwann entdeckten sie das Bier, und das wurde ihr zum Verhängnis, mehr als alles andere. Mehr Flaschen, als Bri in ihren Armen halten konnte, wurden zum Bett geschleppt und dort geleert, bis sie sich, zum ersten Mal in ihrem Leben volltrunken und ohne die gewohnte Vorsicht, auf den weichen Kissen zusammenrollte und einschlief. Und im Traum hielt sie jemand, streichelte ihre Wange, gab ihr ein Stück Geborgenheit und verlangte nichts dafür...

Das nächste, an was sie sich erinnern konnte, als sie mit höllisch schmerzendem Kopf am nächsten Morgen erwachte, war der wunderbare Duft nach frisch gebackenem Brot, der den Raum erfüllte und sie daran erinnerte, wie hungrig sie war. Und er brachte noch mehr mit, liess sie Honig und Marmelade kosten, und sie vergass ob der nie zuvor gekannten Köstlichkeit alles um sich herum.

Bis er es aussprach. Bis er mit einem simplen Wort kundtat, dass er ihr Geheimnis kannte, woher auch immer. Sie wagte es nicht, diesen Gedanken weiterzuverfolgen, sie fühlte nur noch, wie sie die Panik wie ein Raubtier ansprang. Sie hatte ihm so herzlich wenig entgegenzusetzen, als sie sich im hintersten Winkel des Bettes zusammenkauerte, den Dolch in der haltlos zitternden Hand, und darauf wartete, dass das eintrat, was sie all die Jahre zu verhindern gewusst hatte.

Er stand noch immer in der Tür, versperrte ihr den Ausweg, und das war alles, woran sie denken konnte, während seine Stimme, ernst und dann sanft, mit immer neuen Beteuerungen einen Weg in ihr Bewusstsein suchte. Alles in ihr schrie danach, dieser Falle zu entrinnen, bevor es zu spät war, und nur ein ganz schwaches Flüstern in ihrem Inneren war bereit, ihm zu glauben. Wollte ihm glauben.

Und dann machte er den Weg frei. Trat von der Tür zurück, sorgsam vermeidend, ihr zu nahe zu kommen. Sie witterte einen Trick, eine Falle in einer Falle. Und doch, sie hatte keine Wahl, es war ihre einzige Chance, also krabbelte sie vom Bett, den Dolch noch fest umklammernd und ihn nicht einen Sekundenbruchteil aus den Augen lassend dabei. Er rührte sich nicht, und ihre Hoffnung, aus dieser Falle noch einmal zu entkommen, stieg..genau wie die leise Stimme zunahm, die ihr beharrlich ein Vertrauen einreden wollte, das sie nicht haben durfte. Nicht haben wollte...oder? Sie wusste nicht mehr, was sie wollte. Oder doch, sie wusste es genau. Sie hatte es so satt, immer nur wegzulaufen. Immer allein zu sein.
Aber sie hatte genausoviel Angst, und beide Gefühle rangen nun in ihr, lieferten sich einen erbitterten Kampf, während sie dastand, die Hand bereits auf der Klinke, unfähig, sich zu rühren, während er immer noch auf sie einredete. Beruhigend, ernst, ehrlich scheinbar.

Irgendetwas brach in ihr, und sie fand sich plötzlich in seinen Armen wieder, haltlos weinend, während der Dolch noch in eine Ecke des Raumes schlitterte. Und er hielt sie, tröstete sie, gab ihr das, was sie am meisten ersehnte...ein Stück bedingungsloser Geborgenheit. Ein Stück Halt in dieser kalten Welt...