Ein Glimmen in der Nacht

Started by Monoceros, 08. Dezember 2008, 16:53:04

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Monoceros

I - Der Traum

Nacht vom fünften auf den sechsten Tag des Nachtal im Jahr der Flammenden Hand
(06.12. - 07.12.08)


Vorbemerkung:
Nachfolgende Texte beziehen sich auf einen von BlackMerlin geleiteten Plot und dienen unter anderem der Dokumentation der Reaktionen, Gedanken und Handlungen Mirandas.


Die ersten Sonnenstrahlen des neuen Tages erreichten das Innere des Waldes, drangen durch die lichten Kronen der blattlosen Bäume, drangen durch den zarten, morgendlichen Nebel, bis sie sich in den Schneekristallen fingen, die den ganzen Wald in sein winterliches Gewand gehüllt hatten.
Andächtig stapfte die Priesterin durch den schlafenden Wald. Das Zwielicht irritierte sie, normalerweise konnte sie bei diesem Licht sehr gut sehen, aber hier fühlte sie sich fast blind und die eisige Kälte kroch ihr unter die Kleidung. Deutlich waren die Atemwölkchen zu sehen, während sie sich die Arme rieb.
Gleichmäßig, fast mechanisch setzt sie einen Fuß vor den anderen, nur getrieben von dem Wunsch, trotz der klirrenden Kälte weiterzukommen, und mit jedem Augenblick viel die Temperatur weiter und der Wald wurde lichter, bis sie schließlich das Knirschen des Eises unter ihren Füßen vernahm.
Eine große Lichtung tat sich vor ihr auf und erst nach einer Weile bemerkte sie, dass sie sich auf dem dicken Eispanzer eines Sees befand. Die kräftiger werdende, winterliche Morgensonne hob langsam den Schleier des Nebels von ihm und eine Silhouette erregte die Aufmerksamkeit der Priesterin.
Mit jedem Schritt, den sie darauf zuging, nahm sie mehr Form und Gestalt an. War es wirklich ein Pferd, das sich hierher verirrt haben mochte? Sie hielt nicht inne, um darüber nachzudenken, sondern ging weiter darauf zu, während der Wind auffrischte, wie ein Flüstern über den gefrorenen See strich, ein Flüstern, das plötzlich lauter wurde.
Unvermittelt umfing Dunkelheit die Silbermaid, aber es war nicht nur die Schwärze der Nacht, die sie umfing, es war vielmehr. Noch grausamer wurde die Kälte und fuhr ihr wie Dolche in die Glieder, verstärkt durch die plötzliche Einsamkeit, die sie mit einem Mal empfand.
Selûnes Licht erhellte ihren Weg nicht mehr, kein Stern war am Himmel zu sehen. Erschrocken und ruhelos huschten ihre nahezu nutzlos gewordenen Augen hin und her, bis sie ein schwaches Glimmen in der Nähe fanden, auf das sie sich sogleich zubewegte.
Eine leuchtende Kugel tauchte den See in ein fahles Licht, zu schwach, um sich gegen die unheimliche Finsternis durchzusetzen, aber doch stark genug, um den Augen ein wenig Trost zu spenden. Je näher sie der Kugel kam, desto deutlicher hörte sie ein Wispern an ihren Ohren. Die Wortfetzen „Hilf“, „Befrei'“, „Lass mich“ konnte sie heraushören und zu dem Gefühl von Kälte und Beklemmung gesellte sich Besorgnis.
Als sie die Kugel schließlich erreicht hatte, streckte sie die linke Hand nach ihr aus, um sie aufzuheben, das tröstliche Licht bei sich zu behalten, doch in dem Moment, als ihre Hand die Kugel berührte, zerriss ein lauter Schrei die Luft.

Erzählt nach der einleitenden Traumsequenz von BlackMerlin
Monoceros

Charakter:
Miranda Sturmwind - Stolze Silbermaid

Monoceros

Zitternd schrak Miranda aus dem schrecklichen Traum, unwillkürlich auf ihre linke Hand blickend. Ein schwaches Leuchten schien auf ihr zu liegen, das der leuchtenden Kugel ähnelte, doch es war binnen eines Liedschlages verschwunden.
Irritiert sah sie sich um, bis ihr bewusst wurde, wo sie sich befand. Langsam ließ sie sich zurücksinken und legte sich die rechte Hand erschöpft auf die Stirn. Noch immer war sie in ihrem Quartier im Gasthaus zum Vollen Humpen, wo auch sonst. Die Vorhänge waren noch immer dunkel, lange konnte sie nicht geschlafen haben.
Für einen Moment lag sie einfach nur da und starrte an die Decke, ließ die erfreulich wenigen Sinneseindrücke auf sich wirken. Die Straßen waren still um diese Zeit der Nacht, kaum ein Geräusch drang an ihr Ohr.
Erleichtert hörte sie die tiefen, gleichmäßigen, leisen Atemzüge neben sich. Was auch immer die Priesterin aus dem Schlaf gerissen hatte, hatte zumindest Margali schlafen lassen.
Müde schwang sie sich aus dem Bett und ging zur anderen Seite des Raumes, um sich dort auf dem gemütlichen Sofa niederzulassen.
Abgeschlagen fühlte sie sich, aber an Schlaf war für den Moment nicht zu denken. Vor ihrem inneren Auge ließ sie die Bilder und Eindrücke noch einem Revue passieren, die ihr begegnet waren.
Das stattliche Pferd auf einem See, den sie nicht kannte, die Kälte und Einsamkeit des Ortes, die sich immer weiter verstärkt hatte, je näher sie gekommen war, die Dunkelheit, die ihn beherrscht hatte, je näher sie gekommen war, die Symbole des Traums wirbelten durch ihre Gedanken, doch sie vermochte sie nicht zu entwirren, nicht zu sehen, was dahinter stecken mochte.
Am tiefsten jedoch bewegten sie die Hilferufe, die sie bruchstückhaft vernommen hatte, der Wunsch nach Befreiung, und sie sollten ihr in dieser Nacht noch lange den Schlaf rauben.
Monoceros

Charakter:
Miranda Sturmwind - Stolze Silbermaid

Monoceros

Siebter Tag des Nachtal im Jahr der Flammenden Hand
(08.12.08)


Nachdenklich schlenderte Miranda durch das allmählich erwachende Weilersbach. Wieder und wieder ging sie den Traum durch vorletzten Nacht durch, der sie bis jetzt nicht losgelassen hatte.
Zwei Möglichkeiten hatten sich aufgetan, Wege, die sie beschreiten konnte.
Das Gespräch mit Margali war erhellend gewesen, hatte ihr geholfen, Ordnung in ihre Gedanken zu bringen. Der Traumdeuter, der durch das Portal gekommen war, konnte ihr möglicherweise eine Hilfe sein, aber etwas in ihr sträubte sich noch dagegen. Sie kannte ihn nicht, wusste nichts über seine Ziele und Absichten, und sie war niemand, der sich blindlings anderen anvertrauen mochte, ein merkwürdiger Kontrast zu ihrem offenen Ohr für die Nöte anderer.
Während die Mauern der Stadt sich immer weiter erhoben, kreisten ihre Gedanken um einen anderen Vorschlag, eine Traumreise, mit der Miranda allerdings noch keine Erfahrung hatte. Sie vermochte es, ihre Seele reisen zu lassen und hatte das in ihrer schwersten Stunde mit Margali zusammen auch getan, aber damals hatte sie ihr Ziel gekannt.
Nun war es ein Traum, dessen Ursprung sie nicht kannte und von dem sie nur verstand, das jemand ihre Hilfe benötigte, eine Präsenz, die sie allerdings nicht hatte fühlen können und die sich ihr auch sonst gänzlich entzog.
Nachdenklich und frustriert passierte sie das Osttor, grüßte die Wachen mehr routiniert als herzlich. Noch wusste sie einfach nicht genug, um wirklich zu handeln.
Mit einem energischen Kopfschütteln versuchte sie, die Gedanken auf ihrem Kopf zu vertreiben. Es galt nun, Kranke und Verletzte zu versorgen.
Monoceros

Charakter:
Miranda Sturmwind - Stolze Silbermaid

Monoceros

#3
II - Winternacht

Nacht vom zweiten auf den dritten Tag des dritten Zehntages des Nachtal im Jahr der Flammenden Hand
(23.12. – 24.12.08)


Vorbemerkung:
Das Datum der geschilderten Ereignisse kann sich, je nach Zeitpunkt des Ausspielens des darauffolgenden Kapitels, noch verschieben.


Bislang war der Winter freundlich zu Seldaria gewesen. Ein kurzer Kälteeinbruch hatte den Niederungen Schnee und Eis gebracht, doch die Temperaturen waren alsbald wieder gestiegen, ohne schwere Stürme mit sich zu bringen.
In dieser Nacht jedoch schien sich der Winter den Seldariern in Erinnerung rufen zu wollen. Der Himmel war wolkenverhangen und der böige Wind, der nun auffrischte, war nichts weniger als die Vorhut des winterlichen Sturms, der nun über das Land fegte.
Einige Nachtwächter trotteten noch durch die Straßen der Stadt, mit den Gedanken mehr bei einem wärmenden Feuer als bei den leeren Gassen. Niemand, der keinen zwingenden Grund dazu hatte, war jetzt noch unterwegs.

Ein letztes Mal strich die Silbermaid dem Jungen noch über die fiebrige Stirn, dann verließ sie leise das Krankenzimmer des Tempels, einer der wenigen beheizten Räume des Gemäuers.
Im zugigen Hauptgang angelangt, sah sie sich unschlüssig um. Es war das erste Mal, dass sie wenigstens einen Teil der Nacht in diesem Tempel verbrachte, und nun wusste sie nicht, was sie tun sollte. Müde war sie nicht, aber sie wollte später noch einmal nach dem Patienten sehen, und bis dahin den Tempel zu verlassen, war angesichts des Wetters kein besonders attraktiver Gedanke.
Noch war der Tempel nicht zur Ruhe gekommen und einige der Helfer begegneten ihr freundlich grüßend, als sie sich auf den Weg zum Gebetsraum machte, von dem sie wusste, dass sie dort, wenn auch nicht beten, so doch in Ruhe meditieren konnte. Mit gelindem Erstaunen stellte sie fest, dass sie zumindest gegenwärtig die einzige war, die auf diesen Gedanken gekommen war, bis ihr einfiel, dass nur wenige der ansässigen Gläubigen und Priester in der Nacht beteten.
Mit einem erleichterten Seufzen ließ sie sich auf einem weichen Kissen nieder und schloss die Augen. Längst bereitete es ihr keine Mühe mehr, den Geist ihres Einhorngefährten zu finden, auch wenn sie weit voneinander entfernt waren.
Floskeln zur Begrüßung tauschten die beiden nicht aus, dafür waren sie im Geiste bereits zu stark verbunden. Stattdessen tauchte ein Bild vor ihrem geistigen Auge auf.
„Was siehst du?“, fragte die kristallklare Stimme von Licht des Nordens. „Ich bin mir nicht sicher.“, antwortete Miranda. „Es ist eine Stadt, nicht wahr?“
Schweigen schlug ihr entgegen und die Priesterin konzentrierte sich noch stärker. Plötzlich wurde es klarer und ein Glücksgefühl durchströmte sie, als sie es endlich geschafft hatte. Eine wunderschöne Stadt war zu sehen, aber es war nicht ihre Heimat, das erkannte sie gleich. Die elegante Architektur war eindeutig elfisch, es schien fast, als sei die Stadt mit dem Wald verwachsen, auch wenn eindeutig zu erkennen war, dass es sich um eine Bastion der Zivilisation handelte.
„Es ist eine Stadt.“, stellte sie lächelnd fest, und das Gefühl der Zustimmung durchströmte sie. „Myth Glaurach in besseren Tagen.“, war die knappe Erklärung. Nun voller Zuversicht versuchte sie, das Bild weiter zu bewegen, auf ein großes Gebäude zu, das sie interessierte, als sie die Gedanken von Licht des Nordens mit einem Mal alarmierten. „Du bekommst Besuch.“, war alles, was sie noch hörte.
Monoceros

Charakter:
Miranda Sturmwind - Stolze Silbermaid

Monoceros

#4
Die Lederkleidung war schwer vor Nässe und hing klamm an ihm, während die Windböen die Pein noch zu verstärken wussten, aber er nahm es nicht wahr. Seine Gedanken waren einzig und allein auf das Gebäude vor ihm gerichtet, das wie ein Leuchtturm in der Schwärze der Nacht stand.
Kein Licht brannte mehr in unmittelbarer Nähe des Tempels, dessen hell erleuchtete Fenster schon auf diese Entfernung Trost zu versprechen schienen. Müde schleppte er sich weiter. Er musste ihn erreichen.

Langsam trat Miranda wieder auf den Gang hinaus und sah in Richtung des Portals. Der kalte Wind, der durch die Ritzen des Mauerwerks zischte, ließ sie frösteln, aber mehr noch war es ein vages Gefühl innerer Unruhe, das ihr zu schaffen machte.
Unvermittelt zuckt ein Blitz in der Nähe und mit dem Donnerschlag schlug der linke Flügel des schweren Portals auf und eine kleine, durchnässte Gestalt stand ermattet auf der Schwelle. Das Gefühl des Mitleids rang mit Misstrauen, als sie sich langsam Schrittes näherte, die Oberarme reibend.
Einen Stab hielt die Gestalt in den Händen, aber sie achtete nicht weiter darauf. Wasser tropfte aus dem Hut mit der breiten Krempe, darunter war ein völlig zerzauster, roter Bart zu sehen. Den Stab bei jedem Schritt eigentümlich geräuschvoll aufsetzend, ging er der Priesterin mit matten Schritten entgegen, bevor er erschöpft vor der Silbermaid auf die Knie sank, den Stab achtlos neben sich fallen lassend.
Sprachlos und mit geweiteten Augen bemerkte sie, wie er sich an ihrem Gewand festklammerte, als er mit gesenktem Kopf mit zwergisch grober und doch zittriger Stimme zu sprechen begann: „Helft mir, Priesterin, rettet mein Kind, ich flehe euch an!“
Sprachlos sah sie auf ihn herab, wie er versuchte, die Fassung wiederzuerlangen, und zu ihr aufsah. „Bitte, bevor es sie noch einmal holt und danach uns alle!“
Gehetzt ließ er den Blick schweifen, bevor er erleichtert ausatmete. „Sicherheit.“, murmelte er, während Miranda ihre Fassung wiedererrang und der Wind das Portal schließlich wieder langsam ins Schloss fallen ließ.
Langsam und mit aller Anmut und Grazie ging sie in die Hocke und sah ihm direkt in die Augen. „Ich werde Euch helfen.“, sprach sie mit ruhiger Stimme zu ihm. „Folgt mir in einen der wärmeren Räume des Tempels und erzählt mir, was Euren Bart am Wachsen zu hindern sucht.“
Der Zwerg nickte unruhig und griff zu seinem Stab, der Priesterin folgend. Auch wenn Miranda sich Mühe gab, Ruhe und Gelassenheit auszustrahlen, sah er sich doch immer wieder hektisch um, als vermute er in den Schatten, die die spärlichen Lichtquellen warfen, etwas ungeheuerliches.
Schließlich ließ er sich auf eine Stuhl nieder, den Miranda ihm anbot, in leicht gebückter Haltung, stets bereit, aufzuspringen, doch er fand genügend Ruhe, um das Wort wieder an sie zu richten. „Eine bleiche, neblige Hand verfolgt uns.“, begann er, wieder um Fassung ringend. „Jede Nacht greift sie nach uns, meiner Familie und mir! Nach allem...“ Unvermittelt brach er ab und warf einen Blick zu dem trüben Fenster, als die Stimme des Nachtwächters die Mitternachtsstunde ankündigte.
Aufmerksam beobachtete Miranda, wie er sich für einen Moment entspannt zurücksinken ließ, doch der Zwerg überraschte sie, in dem er aufsprang, den Stab schon wieder in der Hand. „Wir leben im Humpen Zimmer 4, kommt zu uns in der nächsten Nacht vielleicht könnt Ihr helfen, Ihr seid unsere letzte Hoffnung!“, brachte noch rasch heraus, bevor er sich eilig zum Gehen wandte.
Miranda streckte noch die Hand nach ihm aus im vergeblichen, halbherzigen Versuch, ihn zurückzuhalten, dann stand sie auf und folgte ihm langsam, beobachtete, wie er den Tempel verließ, ohne ein weiteres Wort zu sagen.
Zum ersten Mal nahm sie sich dabei die Zeit, sich den Stab des Zwergen genauer anzusehen, und plötzlich war es ihr, als spielten ihr die Sinne einen Streich. Während der eiskalte Wind wieder durch das Portal in den Gang wehte, Schneeflocken mit sich bringend, die sofort zu kleinen Pfützen schmolzen, hatte sie nur Augen für die kleine Kugel auf dem Stab, die für einen Moment fahl zu glimmen schien.
Verwirrt schloss sie die Augen und schüttelte kurz den Kopf, doch als sie die Lider wieder öffnete, war der Zwerg bereits in der Nacht verschwunden. Einen Moment stand sie einfach nur da, während ihre Gedanken rasten, Bilder wieder in ihrem Kopf auftauchten, die sie verdrängt hatte, die Bilder ihres Traumes, die Kugel, die sie hatte aufheben wollen.
Schließlich wurde sie sich bewusst, dass sie mit leicht geöffnetem Mund zum Portal starrte und rieb sich peinlich berührt den linken Arm. Tymora sei Dank hatte sie dabei niemand gesehen. An Ruhe war nun nicht mehr zu denken, und es wurde Zeit für ihr Gebet. Rasch nahm sie ihre Sachen zusammen und ging in die stürmische Nacht hinaus und eilte zum Gasthaus zum Vollen Humpen, um sich dort für eine Reise in den Wald zu rüsten. Doch niemand sollte sie in dieser Nacht wieder durch die Tür kommen sehen.
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Charakter:
Miranda Sturmwind - Stolze Silbermaid

Monoceros

#5
III - Der Nebel der Vergangenheit


Langsam ging Miranda auf die Tür des Zimmers zu, unwissend, was sie dort erwarten würde. Die Worte des Zwerges gingen ihr noch einmal durch den Kopf, aber sie waren zu vage gewesen, als dass sie sich wirklich ein Bild dessen hätte machen können, was sie in dieser Nacht erwarten würde.
Immer wieder musste sie an die Kugel denken, die auf seinem Stab angebracht gewesen war, jene Kugel die so geheimnisvoll aufgeleuchtet hatte, genau wie in ihrem Traum. Aus eigensüchtigen Motiven zu handeln gehörte nicht zu ihren hervorstechenden Charaktereigenschaften, aber sie konnte nicht leugnen, dass sie diesmal nicht nur das Wohl des Zwergen und seiner Familie im Sinne hatte. Sie musste wissen, ob es sich nur um einen schlichten Alptraum gehandelt hatte, oder ob es der Hinweis auf eine Bedrohung gewesen war, ob der Hilferuf, den sie empfangen hatte, nur Einbildung oder wahrhaftig gewesen war und wenn, warum man sich ausgerechnet an sie gewandt hatte.
Noch einmal atmete sie tief durch, dann trat sie auf die Tür zu. Aus dem Inneren des Zimmers konnte sie bereits die aufgeregten Stimmen des Zwerges und seiner Frau hören, aber es war zu undeutlich um zu verstehen, was sie miteinander zu besprechen hatte. Jegliche Zweifel, die sie hegte, musste sie nunmehr verbannen, was jetzt zählte war, dass sie als Schwester des Silbernen Mondes auftrat, als die mächtige Priesterin, zu der Lurue sie schließlich gemacht hatte.
Die Stimmen verstummten sofort, als sie gegen die Tür pochte, dann hörte sie, wie sich Schritte näherte. Langsam öffnete sich die Tür um einen Spalt, dann taxierte sie der misstrauische Blick des Zwergs.
„Wer da? Seid Ihr es, die Dame aus dem Tempel?“, ertönte seine nicht minder misstrauische Stimme und Miranda trat in seinen Sichtbereich, ein Seufzen unterdrückend. „Ja, das bin ich, Silbermaid Miranda Sturmwind, Schwester des Silbernen Mondes.“
Erleichtert atmete der Zwerg durch. „Nur herein.“, erwiderte er und öffnete die Tür zur Gänze, den Blick auf den eher rustikal eingerichteten Raum freigebend. Eine Zwergin, vermutlich seine Frau, saß auf der Kante des einzigen Bettes, sich um die junge Tochter der beiden kümmernd.
Steif verbeugte er sich ein wenig. „Seid gegrüßt ehrenwerte Silbermaid und danke, dass Ihr kommen konntet. Ihr seid unsere letzte Hoffnung. Vielleicht, vielleicht kommt sie ja heute gar nicht, aber wenn, ich weiß einfach nicht, was wir noch tun sollen.“ Gehetzt richtete er den Blick auf sie, stiefelte dann an ihr vorbei, sich misstrauisch auf dem Gang umsehend, bis er sich zufrieden ins Zimmer zurückzog und die Tür verrammelte.
„Wir können diese Hand einfach nicht aufhalten, wenn sie kommt, um einen der unseren zu holen.“
„Einen solchen Hilferuf konnte ich nicht ungehört lassen.“, entgegnete die Priesterin. „Aber es würde mir sehr helfen, wenn ihr mir mehr darüber erzählen würdet, was passiert ist. Wie genau sieht die Hand denn aus, die Euch heimsucht?“
Der Zwerg rang sichtlich nach Worten. „Sie sieht aus wie weißer Nebel, nur, dass e Gestalt annimmt, die gestallt einer Hand, nein, mehr einer Klaue. Vor wenigen Nächten erst holte sie meinen Bruder, die Götter mögen ihm beistehen. Wir haben seitdem keine Spur mehr von ihm entdecken können, und nun will sie meine Tochter! Sie darf sie nicht bekommen!“
Miranda nickte bedächtig auf seine Worte hin. Dass Magie im Spiel war, überraschte sie nicht, aber noch wusste sie nicht genug, um vorbereitet zu sein. „Erinnert Ihr Euch, wann dies alles angefangen hat? Gibt es vielleicht Gegenstände oder Ereignisse, die Ihr mit dem Beginn dieses Problems in Verbindung bringen könnt. Ich bitte Euch, genau nachzudenken, auch Kleinigkeiten, die Euch unbedeutend erscheinen, könnten von großem Wert sein.“
„Wir waren erst kürzlich noch auf Geschäftsreise in den Südlanden.“, erklärte er. „Wir waren bereits auf dem Rückweg und hatten keine besonders guten Geschäfte gemacht, wir kamen mit weniger Besitz zurück als vor unserer Reise, aber das ist das Schicksal des Händlers, nicht immer ergeben sich Gelegenheiten.
Eines Nachts griff uns die Hand das erste Mal an, schlich in unserer Zelt, aber wir bemerkten sie rechtzeitig und konnten fliehen.“ Wieder sah er sich gehetzt um, die Panik in seinen Augen war nicht zu übersehen und hektisch begann er, die Ritzen des Zimmers abzusuchen, während Miranda seine Tochter betrachtete, die gesund aber schreckensbleich im Bett lag.
„Kam Euch an diesem Rastplatz vorher etwas merkwürdig vor? Oder habt Ihr vielleicht etwas vor dieser unglückseligen Nacht getan?“
„Nun, jetzt, wo Ihr es erwähnt, wir besichtigten vorher einige alte Ruinen, eine Festung, die von den Südländern einst gegen die Orks errichtet worden war. Man sah ihr an, dass sie nicht von Zwergen erbaut worden war, keine echte Handwerkskunst, wenn Ihr versteht.“
Die Priesterin nickte sachte. „Sonst stünde sie sicher noch.“, entgegnete sie schmunzelnd.
„Richtig, richtig. Jedenfalls verbrachten wir dort einen ganzen Sonnenlauf und auch die darauffolgende Nacht, ohne dass etwas besonders passiert wäre. Na ja, das stimmt nicht ganz, immerhin haben wir dort sogar ein bisschen Gold gefunden, nicht viel, aber immerhin, es war ein netter Ausgleich für die eher schleppend laufenden Geschäfte.“
Mirandas Augen verengten sich ein wenig. „Gold sagt Ihr? Lag es einfach dort herum oder gehörte es einst den Inhabern der Feste?“
Einen Moment überlegte der Zwerg, dann antwortete er: „Nun, wir fanden es in einer Kiste, die neben einer Art Thron stand, der wohl dem einstigen Kommandanten gehört hatte.“
Misstrauisch verengten sich Mirandas Augen noch weiter. „Wisst Ihr, wie lange diese Festung schon in Trümmern liegt?“
„Ach, nicht lange, einhundert, vielleicht zweihundert Jahre, sagte zumindest unser 'Fremdenführer'.“
„Und trotz dieser langen Zeit rührte niemand das Gold an, das so offensichtlich dort platziert worden war?“
„Nun, das kam uns zunächst auch seltsam vor, aber mein Bruder war schließlich der Meinung, die Hurm seien eben so, und packte das Gold in einen Beutel. Ich fand noch einen schönen Stab, den ich einfach nicht dort liegen lassen konnte, er stammt wohl auch aus dieser Zeit.“
„Der Stab, ist das der, den Ihr auch im Tempel dabei hattet?“, fragte sie, ihre Aufregung so gut wie möglich kaschierend, und erntete ein zustimmendes Nicken. „Ja, er steht dort hinten in der Ecke.“
Rasch ging sie auf ihn zu und nahm ihn in Augenschein. Der Schaft war schlicht, aber gut verarbeitet, mehr allerdings zog die bernsteinfarbene Kugel an, die auf ihm befestigt worden war. „Hat man Euch Geschichten über diese Ruinen erzählt? Unter diesen Umständen werden die örtlichen Bewohner doch sicher Überlieferungen haben.“
„Nun ja, unser Fremdenführer erzählte uns von einer Schlacht, die dort getobt haben soll, wie das bei einer Festung nunmal vorkommt. Aber angeblich soll dort etwas passiert sein, eines Nachts soll von der Festung ein Nebel ausgegangen sein, der alle Angreifer auf nimmer Wiedersehen verschlang.“
Verächtlich winkte er ab. „Wenn Ihr mich fragt, nur eine Geschichte, die überdecken soll, das sie einfach davongerannt sind, alles nur, um die damalige Niederlage zu verschönern.“
Seinem Gesicht war bereits anzusehen, dass er selbst nicht recht überzeugt von diesem Urteil war und Miranda wog sachte den Kopf hin und her.
„Nun, manche Legenden haben sie unglückselige Eigenschaft, mehr Wahrheit zu enthalten, als uns bisweilen recht sein kann. Hat man Euch auch gesagt, wer die Festung führte? Ein Magier vielleicht?“
Der Zwerg schüttelte den Kopf. „Nein, darüber verlor er kein Wort und ich forschte auch nicht weiter nach.“ Mit gerunzelter Stirn sah er aus dem trüben Fenster. „Die Stunde der Mitternacht, sie rückt näher.“
Miranda nickte nur sachte. „Ich weiß. Sagt, wo bewahrt Ihr das Gold auf, das Euer Bruder fand?“
„Dort, in der Kiste am Fenster. Seht es Euch ruhig an, wenn Ihr wollt.“ Ohne zu zögern kam sie der Aufforderung nach und fand alsbald schon den Beutel. Sie streckte schon die Hand danach aus, doch etwas hielt sie zurück. Vielleicht war es besser, damit noch ein wenig zu warten, dachte sie sich und schloss den Deckel wieder.
In diesem Moment sah sie aus den Augenwinkeln, wie die Kugel wieder kurz aufleuchtete. Ruckartig drehte sich ihr Kopf zu dem Stab, doch das Leuchten war wieder verschwunden. War es nur Einbildung gewesen, ein Zeichen ihrer Nervosität, nun, da Licht des Nordens nicht mit ihr war? Energisch schüttelte sie den Gedanken ab, aber das flaue Gefühl in ihrem Magen konnte sie nicht vertreiben. Ihr blieb nur noch wenig Zeit.
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Charakter:
Miranda Sturmwind - Stolze Silbermaid

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„Es kommt! Es will uns holen!“ Die Stimme des Zwergen überschlug sich fast und die Nerven der der Familie waren sichtlich zum Zerreißen gespannt.
Sorgfältig zog Miranda derweil vor ihrem Inneren Auge Linien von der Kiste mit dem Gold und dem Stab aus zu dem Zwergenkind, dass das nächste Ziel des geheimnisvollen Angreifers sein sollte.
Neue Zuversicht erfüllte sie, nun, dass sie endlich etwas tun konnte. Mit konzentrierter Miene schloss sie die Augen und hob den rechten Arm. Die Handfläche richtete sich auf den gedachten Punkt vor dem Kind, etwa gleich weit von den beiden Verbindungslinien entfernt, der das Zentrum des Zaubers bilden sollte, den sie nun zu formen begann.
Die Finger spreizten sich routiniert ab, dann erfüllte ein goldenes Licht die sichtbaren Linien ihrer Tätowierung. Rasch gewann das Leuchten an Intensität, während sie andächtig in der Sprache der Feenwesen intonierte: „Lurue, meine Königin, ich bitte dich, hilf mir, eine Barriere für die Mächte der Finsternis zu errichten, auf dass ihr Zugriff auf die Unschuldigen verhindert sein möge.“
Und die Macht, von der Königin der Einhörner selbst in ihre Hände gelegt, gehorchte ihr, formte sich aus und strömte von ihrer Hand aus auf den Punkt zu, den sie anvisiert hatte, um dort den Grundstein einer Mauer aus sanft goldenem Licht zu bilden
Dann überschlugen sich die Ereignisse. Fast im gleichen Moment konnte sie den Nebel sehen, der sich unterhalb des Fensters auszubreiten begann. Immer intensiver wurde er, während die Mauer aus Licht immer größer wurde, das Kind immer besser gegenüber den Zugriff des Nebels abschirmte.
Schweißperlen bildeten sich auf Mirandas Stirn, während sie ihre Konzentration aufrecht erhielt, um den Schutz möglichst rasch auszubreiten. Mit schier quälender Langsamkeit breitete sich das goldene Licht weiter aus, während der Nebel immer dichter wurde.
Plötzlich verdichtete sich der Nebel an einer Stelle deutlich und schoss auf die noch freie Lücke in der Mauer zu. „Nein!“, rief die Zwergin hinter ihr panisch aus und unverzüglich schnappte sie ihr vor Angst wie gelähmtes Kind, um mit ihm in den hinteren Teil des Raumes unter die aufgestellte Fackel zu rennen.
Unerbittlich näherte sich der Nebel immer weiter der Lücke, doch gerade in dem Moment, da er im Begriff war, sie zu durchdringen, gelang es der Priesterin, sie zu verschließen.
Erleichtert atmete sie aus, gestattete sich einen Moment der Entspannung. Für den Moment waren sie sicher, eine Gelegenheit, den Nebel ein wenig näher zu untersuchen, der an verschiedenen Stellen nun gegen die Barriere drückte, scheinbar ohne einen Versuch zu unternehmen, sie mit Gewalt zu durchbrechen.
Misstrauisch beobachtete Miranda sein Tun und sie konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass der Nebel mehr prüfte und testete, mit was er es zu tun hatte. Es wurde Zeit, an diesem Spiel teilzunehmen.
Entschlossen richtete sie den Zeigefinger ihrer rechten Hand auf das diffuse Wesen und intonierte deutlich „Yathaghera nat'enmol ljetis ferica.“ Ihre Augen blieben geöffnet, während Lurues heilige Kraft ihre Sinne für die magischen Energien in ihrer Umgebung verstärkte. Sie hatte nur Augen für den Nebel, war nicht bereit, sich durch andere Quellen in der Nähe ablenken zu lassen.
Intensiv und deutlich sah sie seine magische Aura. Dies war nicht einfach ein Wetterphänomen, das sich jemand für seine Spielchen zu Nutze gemacht hatte, es schien, als sei der Nebel eine Manifestation des Gewebes selbst, etwas, das sie in dieser Form noch nie zuvor gesehen hatte.
Irrititiert hielt sie inne und ließ die Konzentration schließlich fallen. Mehr konnte sie auf diese Art und Weise nicht erfahren, auch konnte sie es sich nicht leisten, ihre Konzentration zu lange zu teilen. Die Mauer aufrecht zu erhalten beanspruchte nicht viel von ihrer Aufmerksamkeit, aber sie wollte bereit sein, sollte der Nebel dennoch versuchen, durchzubrechen.
Eine ganze Weile standen sich die Kontrahenten nun gegenüber, reglos, wie auf einen Moment der Unaufmerksamkeit des anderen wartend, um zum vernichtenden Schlag auszuholen und schließlich war es der Nebel, der zuerst angriff: Er holte zum Schlag gegen die Barriere aus und Miranda konzentrierte sich im gleichen Moment auf die Stelle des Einschlags, den Schutz an diesem Ort noch zusätzlich verstärkend. Der Schlag krachte hernieder, aber er kam nicht mit der erwarteten Wucht. Einem Akt des Hohns gleichend nahm er hin, von der starken Barriere zurückgeworfen zu werden und ließ einen Teil des Bodens hinter ihr gefrieren, bevor er sich endlich durch die Ritzen zurück nach draußen zurückzog.
Eine Weile noch stand Miranda schwer atmend da, dann entspannte sie sich schließlich, als Lathander die Stadt mit den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne begrüßte. Die erste Schlacht war geschlagen.

„Ist... ist es fort?“, fragte der Zwerg vorsichtig und Miranda nickte sachte. „Lathanders Boten sind schon auf dem Weg zu uns.“, erwiderte sie, nun selbst wieder so ruhig, wie es ihre Stimme vermuten ließ.
Die Erleichterung der Zwerge war förmlich zu greifen. „Dann haben wir es also überstanden für diese Nacht.“, stellte er fest und erntete erneut ein leichtes Nicken der nun auch sachte lächelnden Priesterin.
„Ja, das haben wir. Mit diesem Erfolg haben wir ein wenig Zeit gewonnen.“
„Ihr wisst nun, wie Ihr uns helfen könnt?“
Miranda setzte eine nachdenkliche Miene auf. „Ich vermute, dass es sich um einen Fluch handelt, der auf dem Gold und auf dem Stab gleichermaßen liegt.“ Sie wandte ihren Blick zum Fenster. „Manche Legende, gleich wie ausgeschmückt, hat den unglückseligen Hang, bisweilen mehr Wahrheit zu enthalten, als uns recht sein kann, aber wir sind so weit von diesen Ruinen entfernt, dass wir nicht einfach vor Ort Informationen einholen könnten, die uns bei der Beseitigung des Fluches von Nutzen wären.“ Ein leises Seufzen entfuhr ihr.
„Aber ich kenne jemanden, der uns helfen und diese Gegenstände untersuchen kann.“
Der Zwerg nickte. „Dann nehmt sie mit. Ich hoffe, es hilft.“
„Das hoffe ich ebenfalls. Wir werden uns spätestens vor dem nächsten Sonnenaufgang wiedersehen.“
Der Zwerg nickte. „Und was machen wir in der Zwischenzeit?“
„Den Tag über solltet Ihr sicher sein, also nutzt die Zeit, um Euch ein wenig zu entspannen. Diese Sache ist noch nicht entschieden und für die Nächte sollten wir auf alles vorbereitet sein.“
Ergeben schloss der stämmige Händler die Augen und nickte schließlich. „Gut, wir versuchen es. Mögen die Götter uns beistehen.“
„Das werden sie.“, antwortete sie mit sachtem Lächeln und nahm Stab und Gold an sich, nicht ohne ein gewisses Unbehagen, das sie jedoch aus ihrem Auftreten erfolgreich verbannte und der Zwerg nickte dankbar.
„Habt vielen Dank. Wenn Ihr jemals etwas brauchen solltet, scheut Euch nicht, zu mir zu kommen.“
„Dankt mir erst, wenn dies überstanden ist. In dieser Nacht hat das Wesen bemerkt, dass sich jemand eingeschaltet hat, der Widerstand bedeutet.“, entgegnete sie. „Mehr ist noch nicht gewonnen, aber mit etwas Glück und Lurues Beistand wissen wir vor dem nächsten Zusammentreffen schon mehr.“
„Das hoffe ich.“, war die einfache Antwort, dann wünschte Miranda den dreien Lurues Segen und verließ den Raum. Es galt, eine erfahrene Frau aufzusuchen, jemanden, der sich mit Flüchen gut auskannte, und bald darauf konnte man sie beobachten, wie sie mit dem Beutel und dem in Tuch eingeschlagenen Stab den Weg zum Hafen einschlug.

(Fortsetzung folgt)
Monoceros

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Miranda Sturmwind - Stolze Silbermaid