Von Gauklern und Halunkentum

Started by Arldwulf, 30. Mai 2006, 12:16:27

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Arldwulf

"Aris Azdermeron de V'arsahn, Sohn eures Dieners Tilas de V'arsahn", stellte sich der junge Mann vor.

Die enge feine Kleidung lag ihm massgeschneidert an, und in seinem hübschen engelsgleichem Gesicht lagen Unschuld und Neugier. Das Mädchen welchem er sein Lächeln schenkte nahm die höfische Verneigung kokett kichernd entgegen.

Sie war gewiss fünf Jahre älter als der zwölfjährige Knabe, aber warum ihm nicht die Freude machen? Vergnügt antwortete sie ihm gespielt hoheitsvoll:

"Ihr seid aber ein höflich erzogener Rittersmann. Sagt...kann ich etwas für euch tun, oder wolltet ihr mir nur Treue und ritterliche Minne schwören?"

Fast wäre ihre Stimme in Spott übergegangen, aber eigentlich wollte sie dem kleinen keinen Tort antuen. Um genau zu sein - von allen Verehrern auf dieser Feier auf der sie wie eine Ware von den alten Herren an ihre Söhne verschachert wurde war der kleine noch der höflichste, und der einzige der lächeln konnte. Zumindestens eine Weile wollte sie die Gesellschaft von jemandem geniessen der nicht an ihrem Erbe und Land interessiert war.

"Nein euer Durchlaucht" antwortete der Knabe geschwind mit einem vorwitzigem Lächeln - etwas das sie auf dieser Feier noch gar nicht gesehen hatte - "Schönen Damen muss niemand Treue schwören, nur Untreue allen anderen gegenüber um sie zu freien."

Aris dachte noch oft an jenen Abend mit der angehenden Herzogin von Ralaz, an ihr Lachen und daran wie sie lächelnd in ihren Untergang gezogen war. Sie hatten den ganzen Abend miteinander verbracht, und viel zu schnell war er davongezogen. Doch sie hatten getanzt, und irgendwie wirkte die schöne Prinzessin als hätte ihr etwas die Wolken vom Himmel fortgepustet.

"Nun geh ich fort mein Rittersmann - um ewig dort zu leiden - und an einem fremden Ort - mein Herz von euch zu scheiden."

Es war nur eine Strophe aus einem Lied, und er kannte es genau. Doch aus ihrem Mund klangen die Worte anders als gesungen, und anders als gesagt - so als hätte er sie nicht mit seinen Ohren vernommen, sondern mit einem anderem Sinn. Längst war die schöne Prinzessin seines Herzens vermählt mit irgendeinem langweiligem Grafen der ihr Lachen wohl niemals vernehmen würde. Und auch für ihn selbst begannen trübsinnigere Zeiten. Nachdem sein Vater auf ihrer Burg das Frühlingsfest für seinen Lehnsherren und Vater der schönen Braut gegeben hatte begann für Aris der Sommer und die Ausbildung unter den Rittern.

Wann immer er fortan in törrichter Verliebtheit an seine Prinzessin dachte begrüsste ihn die Wand gegen die einer der Ausbilder ihn schleuderte, ein Schwert welches seine kaum vorhandene Deckung ausnutzte oder schlichtweg die schwere Hand seines Vaters.

Für Tilas de V'arsahn war sein einziger Sohn eine Enttäuschung. Nicht dass der Junge missgeraten wäre - nein, er war kräftig und schön. Doch wann immer ein scharfer Geist, Entschlossenheit und Fleiss nötig gewesen wäre - die Dinge die er selbst in sich ausmachte - war Aris ein Träumer.

Immer wieder dachte er an seine verstorbene Frau. Er war genau wie sie. Voller Unnützer Interessen, und ohne Hingabe zum Rittertum. Tilas wusste genau wie jeder andere dass nicht die Liebe sondern einzig der Verhaltenskodex unter Adligen ihm seine Frau auf die Burg gebracht hatte, und sie liess es ihn bis zu ihrem Tode in jeder Minute spüren. Sie liebte Tanz, Musik und Geschichten und Lachen und den Umgang mit gemeinem Volk.

Seinem Sohn würde er solche Flausen austreiben, und das beste Mittel dafür war eine schwere Hand. In diesem Sommer war es besonders schlimm. Nicht nur dass der Junge dauernd fortlief - nein er war nun auch alt genug um nicht mehr bei den Knappen sondern den Rittern zu übernachten, und sein Unterricht wurde intensiver.

Nun, intensiver für alle anderen jungen Knappen zumindest - denn Tilas Sohn büxte ja jedesmal vor seinen Lehrern aus, anstatt etwas zu lernen. Missmutig nahm der kräftige Ritter den Rohrstock zur Hand. Es wurde Zeit dass Aris etwas begriff.
Save me
or pay me
take me away or stay
if you've got money to spend
save me

Arldwulf

Aris sass in der Kemenate des Rittersaales. Von der Runde der Ritter aus konnte einst jeder hereinschauen in den kleinen Raum, denn als seine Mutter ihn von seinem Vater bauen liess achtete sie weniger auf die warme Behaglichkeit, als darauf ob der Klang ihres Harfenspieles auch die Mannen im Saal erreichte.

Es war lange ihr einziger Zufluchtsweg gewesen - und auch den hatte Tilas ihr verboten als ihm die singende Burgherrin und die gebannten Ritter im benachbartem Saal zu unschicklich wurden. Seither trennte eine Mauer samt schwerer Eichentür das Kaminzimmerchen von dem Saal der Rittersleute und hatte den Raum in Dunkelheit gehüllt. Es war nicht die Gram die ihr freudloses Leben ihr bereitete die Aris Mutter umbrachte - es war letztlich einzig eine Krankheit.

Doch seither wurde es ihm immer mehr Graus sich irgendeiner förmlichen Konvention zu unterwerfen. Er hasste seinen Vater dafür dass er ihr dies angetan hatte, und in seiner Sehnsucht nach den Stunden in denen er auf ihrem Schoss sass und sie ihm das Harfespiel beibrachte band er seid kurzem auch die schöne Prinzessin ein.

Rittertum - es war nichts anderes als Zwang.

In dieser Nacht sass er noch lange dort bei der Harfe im Kaminzimmer, die Nase blutig und Striemen vom Rohrstock auf den Händen und dem Rücken. Er hatte sich zur Wehr gesetzt - doch dieses mal liess sein Vater auch nicht ab als der Widerstand gebrochen war.

Du wirst diesen Unterricht besuchen. Du wirst ein Ritter werden, und mein Erbe und wenn ich dich dafür halbtot schlagen muss.

Die Worte seines Vaters hallten in ihm nach, so wie es die Schläge auf seiner blutigen Haut taten. Er wünschte sich er könnte Trost empfinden, Trost in den Saiten der Harfe finden die seine Mutter so geliebt hatte. Doch das Holz des Instrumentes war zerborsten, und die Saiten lagen zerstreut auf dem Boden. Vielleicht sollte er einfach davonrennen, hin zu seiner Prinzessin und sie retten? Litt sie nicht gleich ihm?

Ja, er würde fliehen, würde davonlaufen sobald...

sobald er den Mut aufbrachte.
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if you've got money to spend
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Arldwulf

2 Jahre später

Die Menge welche sich vor der kleinen Wagenkolonne aufgebaut hatte schien sich prächtig zu amüsieren. Eine Gruppe von kleinen Jungen tollte sich am Rande des Lagers und bewarf sich gegenseitig mit den Äpfeln die die flachen Schattenspender über ihren Köpfen in der warmen Herbstsonne hatten fallen lassen.

Alte Weiber lauschten einem jungem glutäugigem Zigeuner der in ihrem Kreis auf einer Geige sanfte Melodien spielte, und ein Messerwerfer bot seine Kunst  vor einer Schar jugendlicher Knaben und Mädchen feil indem er seiner leichtbekleideten Assistentin die scharfen Klingen neben ihr Haupt und die ausgebreiteten Arme warf. Als die schöne sich auch noch revanchierte und die Messer herauszog um damit zu jonglieren war das gejohle unüberhörbar. Abseits der Menge versuchte ein Liebespärchen sich von einer runzligen Hexe die Zukunft deuten zu lassen und zahllose Wachleute versuchten den unzähligen Huren und Dieben Einhalt zu gebieten.

Es war das erste mal nach Aris Flucht dass er wieder eine Burg betreten sollte. Normalerweise kampierten sie vor den Toren, und schlugen ihr Lager neben dem Fluss auf, dort wo der Müller seine Mühle hatte. Die meisten der feisten Gerstenkornmahler hatten kaum einen besseren Ruf als ihre Truppe. Wer wusste nicht die Geschichten von der schönen Müllerin zu erzählen? In manch einer Mühle gab sich manch ein reicher Herr der Abgeschiedenheit und dem weichem Lager auf den Säcken hin, und sorgte so dafür dass alles was vom Fluss her kam von sich aus schon für jeden Städter und Burgbewohner einen schändlichen Anstrich hatte.

Die Zigeuner - Ziehgauner vom Volke genannt, herumstreunende Artisten, Barden, Feuerschlucker und Huren in die Stadt zu lassen widerstrebte einem jedem bravem Bürger, und so musste schon einer gehenkt werden damit es geschah. Aris sah zum Galgen auf. Diesmal würde es ihn noch nicht erwischen, doch knapp genug war es in den letzten Jahren stets gewesen. Die Zigeuner gaben einem jedem Obacht und fragten nicht nach dem Woher und Warum. Doch wer bei ihnen blieb hatte sein täglich Brot selbst zu verdienen, gleichsam dem täglichem Bier und schnell lernte er dass täglich nicht selten kaum mehr als eine grobe Umschreibung war.

Den ganzen Tag würde es ein Fest geben, ein Fest für diesen Tropf dessen Hals seit dem Morgen in jener Schlinge baumelte. Nun - wenigstens war es keiner seiner Freunde.

Kamen sie zu einer Stadt versuchten sie an sich zu raffen so viel sie nur konnten - reisten sie umher verzehrten sie es bis sie gleich hungrigen Wölfen über die nächste herfielen. Die meisten aus ihrer Truppe gehörten zu einer alten Schaustellerfamilie - oder gaben es zumindestens vor.

Mama Briga - die alte Wahrsagerin und ihr Sohn Lear dem die Pferdegespanne gehörten, und der die Tiere dressiert hatte. Auch Diardra die Schwester Lears und glutäugige Frau des Messerwerfers gehörte dazu, und Deran ihr kleiner Sohn mit der Fidel. In den anderen beiden Wagen lebte offiziell Meras der Kettenbeisser und Anführer der Truppe und doch hatte diese Platzverschwendung ihren Grund, war doch diese Aufteilung hauptsächlich den Wachen als Erklärung zugedacht. Tatsächlich jedoch strömten zur Dunkelheit jede Menge junger Mädchen und Jungen in die beiden Wagen und brachten Meras die Einnahmen von dem was sie entweder gestohlen, oder aber sich auf zwielichtige Weise erarbeitet, erbettelt oder indem sie sich verkauften zusammengerafft hatten.

Aris war ein Dieb - doch seine Einträge musste er längst nicht mehr an Meras abdrücken. Unter all den Kindern war er bis auf zwei der jungen Dirnen der älteste - und vor allem der Kräftigste. Als er Meras vor 2 Jahren das erste mal gesehen hatte wie dieser Ketten mit seinen Zähnen zerriss und solide Eisenstangen verbog hatte er das ganze nicht glauben können. Heute wusste er besser um den Trick der dahinter stand - doch konnte er auch nun besser einschätzen welche Kraft in den Muskeln des herrischen Kettenbeissers trotz allem Wissen um den richtigen Knickpunkt und die richtige Technik steckte.

Er hatte es am eigenem Leibe kennengelernt. Hier in der Fremde war er nicht mehr der fortgelaufene Ritterssohn. Hier war er nur das zerschundene Bündel als dass ihn Lear vor zwei Jahren aufgesammelt hatte. Und hier war er Azdemon - der Geschichtenerzähler. Auf die Verballhornung seines Namens war Jarik gekommen, der Barde der Truppe und einzige der nicht mit ihnen in der Wagenkolonne von Stadt zu Stadt fuhr. Eigentlich - so war er Lears Pferdeknecht, was jedoch letztlich bedeutete dass er zu jeder Zeit und wann es ihm gerade passte sich mit einem der Rösser des Dressurreiters aufmachte um in irgendwelche Abenteuer zu stürzen.

Nun, zumindestens war dies seine Schilderung der Dinge. Aber von allen unter den Zigeunern war Jarik der letzte der gezwungen war mit ihnen zu reisen. Er tat es aus Spass. Er tat es um am Lagerfeuer seine Geschichten zu erzählen, um in jeder Stadt an deren Rand sie kamen die Ehemänner auf sich zu bringen, und er liebte es vor ihnen allen aufzutreten. Meist wurden Meras zwei Wagen abgedeckt und zur Bühne umfunktioniert - solange die Diebe und Huren unterwegs waren brauchte man sie ja ohnehin nicht. Und dann stand er da und erzählte die unwarscheinlichsten Abenteuer bis kein Mensch ihm mehr glauben - und kein noch so trübsinniger Kerl sich das Lachen verkneifen konnte.

Seit Jarik das Talent ihres neuesten Begleiters für das Harfenspiel und den Gesang festgestellt hatte - diesem zerlumpten und verzogenem Bengel der sich Aris Azdermeron nannte nahm er den kleinen unter seine Fittiche.

Azdemon - wie ein Dämon. So sah er aus schalt ihn der Barde, wenn Aris mit seinem dunklem Haar und den tiefliegenden Augen auf die Bühne ging aber seine Haut edel und bleich war, und sein Körper noch ausgemergelt mit diesem porzellangesicht und dem Engelsblick. Heute war davon nichts mehr geblieben, ausser dem Namen und einem braungebranntem Jungen der ihn trug.

Gemeinsam - brachten sie ganze Städte gegen sich auf, mit Spottlied und schamlosen Zoten.

*Aris* Hast du gehört von der Dame aus Kent?
Jarik: Die sich schamlos die schönste wohl nennt?
*Aris* Ja man hörte sie hat letze Nacht...
Jarik (unterbricht ihn): Mich sanft in die Laken gebracht?
*Aris* Nein, man sagt sie schenkte ihr Ohr....
Jarik (unterbricht ihn wieder): Meinem Lied, doch das sang ich zuvor...
*Aris (unterbricht nun auch)* Der Dienerin?
Jarik: Magd
*Aris* und auch Zofe?
Jarik: gar zweimal das Ende der Strophe...

*beide* doch wer hätte von ihr das gedacht?
*beide* das eine edle Dame dies macht...
Jarik: In der Nacht?
*Aris* Schlich sie raus,
*beide* In des Pfaffen Haus,
*Aris* Und hat um den Schlaf ihn gebracht...

Jarik (gespielt empört):

War ich ihr denn noch nicht genug?
Und der Liebes Wort falsch und Trug?
War ich ihr nur Gesell, auf des Bettes Gestell,
und ein Priester hat mich vertrieben?
So ein feister und dreister, wenn ich ihn find dann verreist er...
wie konnte sie den denn nur lieben?

*Aris (zum Publikum)*
Nun die Spatzen die haben's gesungen...
und an mein Ohr ist leis es gedrungen...
Er ist reich....

Jarik (unterbricht): ich bin reicher!
*Aris* Doch sein Bauch der ist weicher...
Jarik: Ja nun liegt sie wie auf Kissen,
*Aris* Es ist so - müsst ihr wissen,
*Aris* Das unter der Roben....
Jarik: Wird dies Lied nun verschoben?
Jarik: Mit dem Niveau ganz hinab?
Aris: Als ob es ein oben...
Aris: bei uns denn je gab...

*beide*
Nun sagen wirs ganz frei heraus - in des Priesters schamlosen Haus - da steht ein Stab jede Nacht - der schon manchen Segen gebracht....
Ob ein Mädchen ist reich, oder edel ist gleich - denn eine jede die wird beschenkt - von dem Mann der ihrer Leiden gedenkt.


Hatte er je ein Leben vor diesem gehabt? Sie zogen wohin es ihnen gerade passte. Sie Hungerten - aber wann immer die Not am grösstem war tat sich eine neue Stadt auf, neue Lieder und neue Gesichter. Aris Arme wurden kräftiger denn inzwischen war er das Mädchen für alles, half  Meras genauso wie Jarik bei den Auftritten, lernte Feuer zu spucken und zu jonglieren, Karten zu legen wie Mama Briga und zu stehlen wie die anderen Kinder. Mehr als einmal musste er eines der Mädchen vor allzu zudringlichen Freiern ohne Geld beschützen, und mit Jarik an seiner Seite landete man ohnehin andauernd in einer Kneipenschlägerei. Er hatte nun nichts mehr von dem schüchternem Knaben der zusammengeschlagen und voller blauer Flecke einst vor langer Zeit in ihren Wagen zuflucht gesucht hatte, und niemand fragte warum er vor zwei Jahren in milder Sommernacht zu ihnen kam, warum er blieb und was in ihm diese Sehnsucht nach der Ferne weckte.

Wenn er allein auftrat dann sang er sanfte Lieder, dunkel und von fernem Land und einem Mädchen das dort auf ihn wartete. Nichts daran war zotig und es brachte keinen zum lachen, doch Jarik hatte schnell festgestellt dass die jungen Mädchen seinem Schüler besonders dann zuhörten wenn das sanfte Antlitz seiner Stimme einen ebenso sanften Klang verlieh, und er selbst sich zurückhielt. Die Wunden des Knaben waren verheilt - und immer mehr wirkte er wie ein junger Mann, der einmal gross und kräftig werden würde, wenn da nicht jene Unschuld in seinem Antlitz wäre, jenes reine Lächeln und dieser Engelsblick der den Knaben in den Augenschein zurückholte.
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