Kristos - Eine kurze Geschichte der Welt

Started by Surtur, 21. Januar 2010, 16:24:15

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Surtur

Eine kurze Geschichte der Welt




Roman


von Kristos Mios


(Übersetzt aus dem Dragonischen von Joachim Kantner)

Surtur

#1
Vorwort

Seit einigen Jahren befinde ich mich nun in dieser Welt. Erst ging ich meinen Weg im Magierturm, wurde schließlich Adept und Assistent vom Hofmagier. Doch immerschon war mein Blick auf anderes gerichtet.

Ich erklomm die höchsten Gipfel dieser Welt, ging in die tiefsten Höhlen. Ich erforschte die Menschen, das Unterreich, die Magie, den Schlund und sogar Dunkelbrunn und die Südlande. Schließlich, nach vielen Jahren des Studiums in Fürstenborn, wurde mir dieses Land zu klein und ich beschloss die Welt zu entdecken. Usa-Wha, Antaras, Teonia, Persepone waren nur einige Ziele meiner Reisen. Überall hörte ich den Menschen zu und ihren Geschichten. Nicht nur den Gelehrten lauschte ich, nein, auch die einfachen Bürger hatten mehr zu erzählen als man ahnt.

All diese Eindrücke, all diese Geschichten, wollte ich nun zusammen mit meinen gemachten Erfahrungen und meinem eigenen Wissen in einen Topf werfen. Wieso? Um etwas neues zu wagen. Etwas, was ich noch niemals in meinem Leben getan habe: Eine Art Roman zu verfassen, eine erfundene Geshichte zu schreiben über die Entstehung einer Welt.

Ein jeder, der diese Zeilen liest, mag sich inspiriert fühlen, darin parallelen zu dieser, unserer, Welt zu suchen. Wieso auch nicht? Viele Thesen und Bilder, die ich mir in meinem Kopf auszumalen begonnen habe, stammen von hier. Wie meine Erfahrungen im Schlund, welche mich auf besondere Art und Weise geprägt haben.

Vielleicht mag diese Geschichte ja sogar die wirkliche Geschichte dieser Welt sein? Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Am Ende ist jede Geschichte doch immer nur die Geschichte von einigen Menschen. Menschen und ihrem Schicksal. Denn diese SChicksale formen die Welten, ebenso wie jene, die wir bewohnen .

Aber die Wahrheit ist: Niemand kann sagen, was sich hier in der Vergangenheit zugetragen hat. Und vielleicht wird es auch niemals jemand können. Denoch darf man spekulieren und träumen.

Also folgen sie mir. In meinen Traum und meine Vision. In ein unbekanntes und fremdes Land, in die Geschichte eines Mannes und dessen Schicksals. Und einer Tragik, jenseits dessen, was sich irgendjemand von uns jemals vorgestellt hätte.

Surtur

I

Wenn der Traum endet, erwacht der Alptraum. So erzählten es sich die Weisen. Nur leider war Ignur keiner von ihnen. Mit jedem Tag wurde ihm diese Wahrheit mehr und mehr bewusst. Wie schön wäre es gewesen, die Menschheit in eine wunderbarere Zukunft zu führen. Eine Zukunft ohne Leid, ohne Gewalt und Hass. Eine Zeit der Aufklärung und der Freiheit für einen jeden von uns.

Er seufzte, als er zum tausendsten Mal dieselben Seiten wälzte. So oft hatte er die Zeilen schon gelesen, kannte sie fast auswendig. Gab es denn nichts in diesem Raum, dass ihm helfen konnte? All diese Bücher, all dieses Wissen? Umsonst? Vergebens? Keine Erlösung für ihn?

Ignur schloss die Augen, er wollte sie nicht sehen. Die Überreste Madiras. Seine Geliebte Madira. Einst war ihr Anlitz frisch und rosig. Ihren roten Lippen, wie sollte er ihnen  widerstehen? Wie gerne er sie küsste und sie liebte. Oft stundenlang.. Doch blieben am Ende nur noch ihre Knochen zurück. Gekettet an die Wand, wie ein Hund, lagen sie da. Und er war schuld daran. Er hatte sie dort festgebunden. Sie hatte ihn gebeten diesen Ort zu verlassen. gefleht hatte sie, hinauf zu gehen. An die frische Luft, in die Wirklichkeit zurück! Sie wollte in ihr normales Leben, in das Dorf ihrer Kindheit gehen. Widerkehren ins Land ihres Vaters und der Mutter! Zu lange schon hatte der Wahnsinn ihn besessen. Zu sehr hatte dieser Ort ihn in seinem Griff. Sie wollte zurück, zu ihrer Familie, ihre liebsten wiedersehen. Sollte sie die Ewigkeit zubringen in diesem schrecklichen Verlies?

Doch Ignur konnte nicht. Er wollte nicht. Hier, tief unter der Erde, verborgen und nur für die suchenden bestimmt, hier wartete sein Schicksal. Zu viel Mühe hatte es gekostet diesen Ort zu erreichen. Und die Belohnung war bei weitem zu groß. Viel galt es noch zu erforschen und zu verstehen. Nein, Madira, niemals könnte er gehen. Hier musste er sein. Aber auch sie durfte diesen Ort nicht verlassen. Wie könnte er nur Leben ohne sie? Sie, die Liebe seines Lebens? Wie hätte er es zulassen können, dass sie ihn verlässt? So fesselte er sie in eine Ecke, zwang sie, ihn zu lieben, ob sie wollte oder nicht. Wahnsinnig war er geworden. Und noch immer zeugt der Leichnam aufs neue von den Qualen, welche er trägt.

Dabei hatte es so einfach begonnen. Mit einer Vase voller unbekannter Symbole. Am Bach, er wusch sich seine Robe. Ein anderer hätte sie missachtet, ihre schöne Bemalung für Verzierung gehalten. Aber für ihn war es mehr, von Anfang  war es ihm klar. Diese Vase bedeutete etwas Besonderes. So studierte er die Zeichen, versuchte zu verstehen. Viele Jahre dauerte sein Studium, viele Jahre, den Sinn zu erkennen.  Doch schließlich konnte er den Worten folgen und der Fels öffnete sich. Langsam stieg er hinab, begleitet von ihr, der einzigen Person, der er dies anvertraut hatte. Viele gefahren stellten sich ihnen in den Weg, viele Rätsel waren zu lösen. Doch am Ende meisterten sie alle diese Prüfungen. Nur um mit dem kostbarsten belohnt zu werden, das sich ein Wesen zu erträumen vermag: Wissen jenseits der Vorstellungskraft.

Surtur

II

Niemals hatte Ignur sich gefragt, wie jene Bibliothek unter der Erde hierhin gekommen war. Niemals hatte er sich gefragt, welchen Zweck sie erfüllte. Sie war hier und das war alles, was zählte. Jenseits von uns bekannten Realitäten existierend,  schlummerte sie Äonen lang in tiefem Schlaf.

Ja, so war es damals gewesen, dachte Ignur, als er seufzend die Augen schloss. Langsamen Schrittes ging er einem Apparat, welcher ihn sättigte, wenn der Hunger es wollte. Frisches Essen fand sich dort jedes Mal, sobald er nur den Deckel öffnete. Anfangs höchst mysteriöse Magie, doch bald nur täglicher Trott.. Wie all jene anderen Geheimnisse auch, ausgebreitet vor ihm im Stapel der Bücher, das Wissen einer ganzen, nur ihm bekannten, Kultur. Doch wer war diese neue, seltsame Welt? Wie wäre es wohl, einer von diesen zu sein? Zu leben, wie sie es in den Büchern tun?

Jene Welt aus den Schriften und Bildern, jene Welt, die er sich nur in seinen Träumen vorzustellen vermochte. Nichts dass ihn mehr ergriff, nichts, das ihm wichtiger war. Nicht einmal Madira. Diese unbekannte Welt mit all ihren Wundern .Sogar in seinen Träumen verfolgte sie ihn:

,,Durch Strassen wanderte ich, den Kopf in den Himmel gehoben. Erblickte nur Mauern so hoch wie die Wolken, leuchtend des Nachts, als wäret es Tage. Stimmen der Tausenden dringen hindurch, beobachtet aus Gefährten in Lüfte erhoben! Prächtig wie Gold glitzert der Menschen Werk

Wie ein Besessener versuchte er das Geheimnis zu ergründen. Wo mag sie sein? Wie kommt man dorthin? Hätte er sich diese Fragen doch bloß nie gestellt. Armer Inur, bist deinem eigenen Verderben gefolgt!

Seufzend setzte er sich an den Tisch, einen Apfel genießend. Die Erinnerung lastete schwer auf seinem Haupt. All dies, der Eitelkeit halber. Hätte er doch nie, hätte er doch nie... doch er hatte es getan. Es war dieser schreckliche Zauber. Vermaledeit sollst du sein! Vermaledeit sollst du sein!

Doch am Ende geschah, was geschehen musste. Ignur fand genau das, wonach er suchte, wenige Monate nach Madiras Tod. Bis zuletzt hatte sie sich gewehrt, sich geweigert ihn zu lieben. Wut ergriff den Verrückten und im Zorn verlor er den Verstand. Sie musste ihn lieben, sah sie nicht, was er alles opferte? Wofür er dies alles tat? Doch nur für sie beide, für ihrer beider Zukunft! Für sie, für sich! Verdammtes Weib, konntest du es nicht verstehen? Konntest du es nicht begreifen? Hör auf mit deinen Jammern! Hör auf mit deinen Vorwürfen! Deinem Rechthabertum! HÖR AUF!

Bis heut erinnerte er sich nicht daran, wie er den Stab nahm. Bis heute erinnerte er sich nicht an das dumpfe Gefühl als es ihr auf den Schädel traf. Bis heute keine Erinnerung an ihre letzten hilflosen Schreie, ihr schluchzen. Nichts. Nur als sich der rote Vorhang öffnete, da schlug ihn die Wirklichkeit mit der Faust ins Gesicht: Leblos lag ihr armer geschundener Leib an der Mauer, kein Atem, kein Puls war mehr zu fühlen.

Das Herz wurde ihm schwer, die Verzweiflung war groß. Er hatte dieses unvorstellbare Verbrechen begangen, er ganz allein. Die Liebe seines Lebens, zuerst gefesselt und dann erschlagen. Welch eines abscheulicheren Verbrechens mag sich ein Mensch nur entsinnen? Er hatte sich um alles gebracht, was ihm einst wichtig erschien. Damit hatte er sein Schicksal besiegelt, die Besessenheit nahm überhand. Nichts und niemand würde ihn noch abhalten können. Alles Band zu seinem Leben davor zerrissen, unmöglich geworden, heimzukehren.. Nur noch die Bücher würden ihn retten, nur noch die Bücher seinem Leben den Sinn verleihen!  Er musste diese andere Welt finden!

Schließlich taten sie es. Das Wunder, nach dem er sich so sehr verzehrt, es wurde schließlich Wirklichkeit. Ein Zauber, ein Spruch, das Tor zu öffnen, hindurchzuschreiten in eine andere Welt. Ohne zu zögern, von Mut ergriffen, besiegte die Neugierde jede Angst. Kurz blickte er noch auf das blaue Portal, atmete tief ein, spürte das elektrisierende Gefühl auf seiner Haut und... trat hindurch um sein Schicksal zu erfüllen.

Surtur

III

Wäre es niemals geschehen. Wäre er niemals hindurch gegangen. Eine Entscheidung,  ein Weg, führt zu etwas anderem. Von der Vase, zu der Bibliothek, zu dem Tod Madiras, schließlich bis zum Portal und dahinter hinaus. Und jetzt wieder zurück. Wäre dies alles doch niemals passiert.

Schluchzend brach er am Boden zusammen, als sich das Portal wieder schloss. Viel Zeit hatte er auf der anderen Seite verbracht. Viel erlebt und viel gelernt. Zu viel. Dinge, die ein Mensch niemals erfahren sollte, die ein Mensch niemals lernen sollte und niemals sehen. Die Götter selbst verfluchte Ignur! Wie konnten sie ihm dies alles nur antun? Wie? Welchen Sinn sollte seine Existenz nun haben? Nicht nur hatten sie ihm all diese schrecklichen Dinge gezeigt, nein, hatten sie ihn auch noch mit ewigen Leben gestraft! Auf das er in alle Zeit an seine Verbrechen erinnert werden sollte! Nicht nur war seine Liebe gestorben, sein Traum vernichtet, nein, selbst der Frieden des Todes war ihm nun verwehrt! Und damit das Vergessen.

Lange saß Ignur in der Dunkelheit. Ohne zu wissen, was er tun sollte. Wie gerne würde er alles ungeschehen machen, Madira wieder zum Leben erwecken und mit ihr in jenem kleinen Dorf leben. Gemeinsam, wie sie es sich gewünscht hatte. Doch nun war sie nicht mehr.

Seinen Fehler zu korrigieren. Gelobt seien diese, denen die Macht dazu gegeben ist. Ignur war sie gegeben. Das wissen dieser fremden Kultur, dieser Bibliothek, hatte ihm die Macht gegeben. Doch noch mehr wusste er um den Preis. Unzählige würden dafür bezahlen. Ihre Essenz geben müssen, um sie ihr zu verleihen. Doch, was zählten diese schon? Anhänger jener Götter, welche ihm dieses Schicksal zugeteilt hatten? Was waren jene mehr wert als er? Was hatte er alles aufgeben müssen um am Ende vernichtet zu werden? Alles hatten sie ihm versagt! So sollte nicht nur er leiden, sondern viele mehr.

Langsam nahm er einen kleinen Stein zur Hand und schloss die Augen. Fremde Worte in fremder Sprache entkamen seinem Mund, als er den Stein zu Boden fallen ließ. Wie ein Zerrbild durchflog der Stein alle Realitäten, verbog die Wirklichkeit, sammelte Energien aus unzähligen Welten. Immer tiefer fiel der Stein, immer mehr sammelte sich in ihm. Er durchströmte den Raum, durchfiel den Boden, schneller und schneller werdend, machtvoller und machtvoller. Schweiß bildete sich auf der Stirn Ignurs, die Kräfte zu bündeln und zu lenken ward ihm fast unmöglich. Er schrie, als die Kraft ihn zu übersteigen drohte, als der schmerz die Oberhand gewann! Und in diesem Moment zuckte die gespeicherte Kraft des Steins aus jenem hervor, durch Ignurs Körper hindurch und in Madira hinein.

Ruhig fiel der Stein hinab in eine Höhle, tief unterhalb der Bibliothek. Wo früher nichts als  kalter Fels gewesen war, zuckten in der Dunkelheit die Schatten. Wie ein Anker hatte der Stein das Zwielicht versammelt, aus allen Welten einen Teil mit sich gerissen. Doch nur das Zerrbild jener Wirklichkeiten war geblieben. Nur der Schatten jener Welten. Doch all ihre Lebenskräfte, all die Macht jener Welten, überlagert hier in der Dunkelheit, dies war es, was Madiras Schicksal nun erfüllte.

Langsam öffnete sie die Augen, ihr Kopf drohte zu zerspringen. Und das erste, das sie erblickte war Ignur. Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Ignur, Geliebter Ignur. Gehasster Foltermeister. Peiniger! Mörder! Die Erinnerungen kamen zurück und mit ihnen grenzenloser Hass!

Surtur

IV


Ignur blickte auf das, was er vollbracht hatte. Madira war zurück. Nicht so, wie er es sich erhofft hatte, nicht ganz in Fleisch und Blut, eher als eine Gestalt der Schatten, ein Zerrbild früherer Tage. Nicht die Luft gab ihr den Atem, nicht von Essen würde sie sich ernähren. Die Magie des Steins, die Kraft der verzerrten Welten unter ihnen war die Quelle ihrer Existenz.

Hoffnung keimte in ihm für Sekunden, doch erblickte er den Zorn und Hass in ihrem Gesicht.

,,Wie konntest du nur... wie konntest du mich so Leiden lassen! Gequält, gefesselt, gefoltert und getötet! All das in deinem grenzenlosen Wahn! Was dachtest du? WAS DACHTEST DU? Hast mich behandelt schlimmer als ein Objekt, hast mein Leben mit Füßen getreten, mich deinem... deinem... TRAUM ... untergeordnet! Mich gezwungen hier zu vegetieren! Zu deinem Vergnügen! Gegen meinen Willen! Und alles für deine kostbare neue Welt, für dein grenzenloses Wissen!

Bei den Göttern! Wie ich dich hasse! Wie ich dich hasse! Und wie du bezahlen wirst... wie du bezahlen wirst... Ich schwöre, du wirst leiden, schlimmer als du es jemals geahnt hast... schlimmer als du es dir vorstellen kannst!"


Nein, das hatte er nicht erwartet. Er hatte erwartet dass... ja... was...? Was bloß? Das alles vergessen war? Das sie sich nicht erinnerte? Dass sie ihm vergeben hätte? Was? WAS IGNUR?

Starr vor entsetzen stand er da, unfähig zu antworten. Was sollte er auch antworten? Sein Kopf war leer. Doch blieb ihm sowieso keine Zeit zu denken. Ehe er es sich versah, traf in Madiras neugewonnen Macht mit ungeahnter Kraft. Er spürte seine Knochen brechen und die Dunkelheit ergriff von ihm besitz. Mit letzter Mühe hielt er seine Augen offen, blickte hoch zu ihr:

,,Es... es... tut... es... tut... mir...", er versuchte eine Entschuldigung zu stammeln, doch die aufkommende Schwärze war zu stark. Das Letzte was er sah, war ihr zu einer Fratze verzogenes Gesicht: ,,Ja, schlaf nur, geliebter Ignur. Und freue dich auf dein Erwachen..."

Dann wurde es Finsternis.

Surtur

V

Der Kopf schmerzte, als er die Augen öffnete. Er versuchte sich zu erinnern, aber erst langsam klärte sich der Nebel. Doch dann traf es ihn umso schlimmer: Madira! Er versuchte aufzustehen, doch sein Körper schmerzte. Madira? Wo war sie hin? Der Gang zur Bibliothek war verschlossen. Düstere Magie! Ignur versuchte sich zu konzentrieren, das Siegel zu brechen. Er musste sie stoppen, aufhalten, egal was sie vorhatte. Um jeden Preis. Ihr Wesen war so voller Hass, so voller Verachtung und Wut. Und das bei der großen Macht, die er ihr geben musste um sie wiederzuerwecken. Welch Gefahr...

Ignur versuchte nicht daran zu denken, versuchte sich zu konzentrieren. Langsam öffnete sich die Türe. Krächzend und schwerfällig.

Dahinter hatte sich alles verändert. Wilde Bestien bevölkerten die Tunnel unter der Erde. Seltsame Bestien und Elementare. Wie lange war er bloß dort unten gewesen? Die Höhlen selber sahen anders aus, alles war verändert. Auch der Wächter, welcher den Zugang bewachte, war verändert, verwirrt, schien alles vergessen zu haben, was er einst war.

Es schmerzte die Erinnerung an jene Tage. All diese Dinge schienen so weit entfernt, so lange vergangen. Heute saß Ignur in seinem Turm und dachte an die Vergangenheit. Eine Vergangenheit voller Fehler. Und doch, vielleicht war es Schicksal, das ihn gelenkt hatte. Vielleicht musste es so sein? Aber es wäre ihm so viel lieber gewesen, wäre es anders gekommen. All diese sinnlosen Toten. All das sinnlose Leid.

Denn als Ignur aus dem Fels und der Erde hervortrat und seit ungeahnter Zeit zum ersten Mal das Licht der Sonne erblickte, hatte sich die Welt verändert. Aus dem kleinen Fischerdorf war eine große Stadt geworden. Umgeben von einer starken Mauer, mit Häusern aus festem Stein. Ignur suchte Madira unter all den unzähligen Menschen. Doch er fand sie nicht. Alles was er hörte waren Geschichten und Gerüchte. Vom großen Feind im Gebirge. Von der Armee, die angreifen wird. Die Dunkelheit, die sich anschickt das Land zu verhüllen.

Surtur

VI

Schlimme Vorahnungen ergriffen ihn. Diese Dunkelheit. Bitte. Nein. Aber sein Gefühl täuschte ihn nicht: Geschützt von den Felsen und Bergen hatte Madira eine Armee um sich gesammelt. Wie lange war er bewusstlos gewesen? Wieviel Zeit war vergangen? Wie konnte sie diese Leute um sich scharren? Und... wieso?

Dunkle Elfen, graue Zwerge, Orks, Goblins, finstere Menschen mit dunklen Seelen. Untote und andere Geschöpfe der Dunkelheit hatten sich auf ihr Geheiß versammelt. Sie hatte ihre Macht genützt, schwache Menschen aus der Stadt in ihr Netz zu weben, sie ihren Plänen zu unterwerfen. Nicht einmal die Mächtigsten waren vor ihrer Macht gefeit: Ja selbst der Assistent des Hofmagiers stand hier und gehorchte ihren Befehlen. Gemeinsam mit ihm waren die Portale der Stadt verändert worden, verzerrt, verdorben. Im Geheimen Neue erschaffen. Durch sie waren sie gekommen. All das Ungeziefer der Welten, der Abschaum aller Realitäten.

,,Wieso?", donnerte ihre Stimme in Ignurs Gedanken. ,,Um sie zu vernichten! Deine geliebte Stadt, diese Häuser und diese Zivilisation, die du doch so sehr geliebt hast. Die du mehr geliebt hat als mich. Für die du mich geopfert hast. Und gefoltert. Ja... und ich habe gewartet. Darauf, dass du zurückkehrst. Und zuschauen darfst, wie ich es vernichte. Alles vernichte, was du so sehr gewollt!"
.
Dröhnend schmetterten die Trommeln des Krieges, als sich die schwarze Armee gegen die junge Stadt bewegte. Die Menschen machten sich bereit für das letzte Gefecht. Schon sahen sie den Untergang der ihnen bekannten Existenz. Angst und furcht sammelten sich in ihren Herzen. Doch nicht in allen. Der Hofmagier und der Fürst selbst riefen zu ihrem Volk. Sie versuchten das Feuer der Hoffnung zu entflammen. Denn wenn sie nicht kämpfen würden, nicht bis zum letzten Mann stehen würden, wäre schon von vornhinein alles verloren. Es war ihre letzte Chance zu überleben. Nicht zu kämpfen bedeutete zu verlieren. Mehr als das Leben. Die Freiheit! Die Freiheit für sich und ihre Nachkommen. Die Freiheit für sich als ganzes Volk! Lieber sterben, als dies zu verlieren!

Surtur

VII

Mutig griffen sie zu ihren Waffen. Und gegen ein normales Heer hätten sie wohl vielleicht den Sieg davon getragen. Doch Madira war zu stark für sie. Es war ein sinnloses Opfer. Nur einer konnte sich ihr stellen: Er selbst.

Sollte er sie erneut vernichten? Wie er es schon einmal getan? War es nicht am Ende seine Schuld gewesen? Hatte sie mit ihren Worten nicht recht? Wie hatte er sie behandelt? Was hatte er gedacht?

Auf der anderen Seite stand die Stadt. Sie war so ähnlich jener, die er gesehen hatte. Ähnlich jener hinter dem Portal, durch welches er geschritten war. So gleich. Und am Ende würde diese Stadt dasselbe Ende nehmen wie die andere. Sie waren von doch schon ejtzt zum scheitern verurteilt. Heute würden sie gewinnen? Und irgendwann verlieren. Dies war nicht für die Ewigkeit. Ein Zustand mit Ablaufdatum. Welchen Sinn sollte es haben sie vor dem Unausweichlichen zu beschützen?

Der Krieg begann. Schlachten wurden geschlagen. Mutig standen die Verteidiger. Grimmig attackierte die Dunkelheit. All das Blut, all das Gemetzel. Nein, dies hatte er niemals gewollt. Diese Wut und dieser Hass. Und doch, wofür sollte er sich entscheiden? War dies der natürliche Lauf der Dinge? Die Apokalypse? Durch ihn herbeigeführt? Durch Madira vollstreckt?

Nein, so würde es nicht enden! NEIN! So sollte es nicht enden! Niemals könnte er es sich vergeben! Diese Welt mag sterben. Irgendwann! Doch nicht durch ihn! Nicht durch seine Schuld! Er hatte sie erschaffen, er musste sie vernichten. Madira, oh geliebtes Weib. Sie erneut zu töten. Erneut zu vernichten, wie er es einst getan. Niemals konnte er es sich vergeben. Wie wünschte er die Zeit im Dorf zurück. Vor der Vase... vor der Vase.

Seufzend trat er vor sie. Das Schlachtgetümmel brodelte. Menschen gegen Orks, Elfen gegen ihre dunklen Geschwister. Der Fürst voran, der Hofmagier an seiner Seite. Magie krachte aufeinander, als sich dessen Assistent vor seinen ehemaligen Meister stellte. Dunkle blitze zuckten aus dem schwarzen Himmel. Rotes Feuer loderte und Donner knallte über die Köpfe der kämpfenden hinweg.

Ruhigen Schrittes, mit traurigen Augen trat Ignur zu ihr. Die Schultern hingen ihm herunter, und sein Hals wie zugeschnürt. Es kostete ihm alle Kraft sie anzublicken. Hoch in ihre dunklen kalten Augen. Ihre Augen trafen sich und sekundenlang blickten sie sich an. Ihre loderten voll Hass und kaltem Feuer. Seine waren matt, geprägt durch Trauer und Mitgefühl.

Keiner von beiden erhob eine Waffe, kein Zauber wurde zwischen ihnen gesprochen. Nur in stillem Schweigen standen sie sich gegenüber. Regungslos. Schließlich schloss sie ihre Augen, ein letztes Seufzen. Zitternd brachte er nur jene Worte über die Lippen: ,,Es tut mir Leid", dann fiel ihr Körper in sich zusammen.

Ignur hörte nicht, wie hinter ihm die Fanfaren spielten, sie feierten des Fürsten Sieg. Die Dunkelheit war zurückgeschlagen, der Feind des Lebens zog sich zurück. Er, der alte Mann, der Wanderer der Welten, ihm war das alles einerlei. Er kniete sich hinab zu seienr Liebe, streichelte matt lächelnd ihre bleichen Wangen. Selbst jetzt, selbst hier, sie war noch immer so wunderschön. Er lächelte als er sich an die alten Tage erinnerte, an die Zeit der Unbetrüblichkeit. Wie sie durch die Wiesen und Felder sprangen, Hände haltend von der Zukunft träumten. Nun war es vorbei. Nun war sie gegangen. Ein für allemal.

Er nahm sie auf die Arme und trug sie weit davon. Er ging hinauf ins Gebirge, weit entfernt von allen Sterblichen. Hier irgendwo mag ihr Leichnam heut begraben liegen, irgendwo, wo genau, das weiß nur er.

Surtur

VIII

300 Jahre sind seither vergangen. Heute sitzt er hoch in seinem Turm. Umgeben, wie einst, von seinen Büchern. Ungern erinnert er sich zurück. Doch dies war es, was ihn prägte. Und teilweise auch die Geschichte dieser Welt. Welche Entscheidungen hatte er getroffen. Und wie schlecht waren sie gewesen. Hätte er vorher erahnen können, wie falsch all seine Vorstellungen waren? Wie verblendet war der einstige Idealist gewesen? Wie viel unheil hatte er über all die anderen gebracht?

Die Bücher hatten ihm unglaubliche Macht gegeben. Doch die größte Macht hatten sie ihm versagt. Erkenntnis. Diese war ihm versagt. Er handelte ohne zu wissen. Wie ein Blinder im Dauerlauf. Nie hatte er verstanden, immer nur getan. All diese Macht, was nützt sie ohne das verstehen?

So saß er hin und lernte. Nicht die Bücher enthielten seine Antworten. Ja, er liest sie, aus Gewohnheit und in der Hoffnung neues zu erfahren. Doch die wahre Kunst ist weit entfernt. Es sind die Menschen und die anderen Wesen. Ihre Wünsche und Hoffnungen. Jeder einzigartig auf seine Weise und doch ähneln sie sich so sehr. Ihre Liebe, ihre Schmerzen, die Wünsche und die Sehnsüchte, die sie beschäftigen. Sie sind die Lösung zu dem allerletzten Rätsel. Dem Rätsel zum Ende der Welt.

Denn nachdem er diese Welt gerettet hatte, tauchten in seinem träumen die alten Bilder wieder auf:

Am Berge thronend, sah er hinab auf jene Welt, wirren Geistes versuchtend zu verstehen. Fliegend kutschierten sie an ihm vorbei, hinab in ihre fremde Welt. Er sah Schornsteine, Rauch und Dampf in den Himmel blasend, wie Stück für Stück die Natur dem Mensche wich. Die Menschen merkten kaum, wie selbst Tag und Nacht sich änderten. Selbst in tiefster Dunkelheit erstrahlte noch das künstliche Licht. Erzürnt zog sich der Mond zurück, hatten die Menschen doch die Nacht zum Tag gemacht. Ohne dass die Nacht noch Einhalt gebieten konnte, brannte die Sonne lichterloh. Alles musste ihren Strahlen erliegen, egal ob Pflanze, Tier oder Mensch. Feuer entzündete sich in dieser Welt, angefacht vom eitlen Wind: "Niemals werdet ihr über meine Sphären herrschen, elendes Menschenpack! Komm nur, Bruder Flamme, vernichte dieses Ungeziefer! Tus für mich!

Das Wasser stieg, die Menschen schrien! Angsterfüllt flüchteten sie, der Berg als letzter Schutz. Tief in dunklen Höhlen zitternd, Vergessen bereitete sich aus. Vergessen all die Wunderdinge, all das Wissen verloren für immer. Erinnerungen werden zu Geschichten. Sagen und Märchen bleiben am Schluss.

Hoch oben am Berge sah er es mit an, trauernd über das Schicksal jener. Seine Neugierde nun befriedigt, sein Wissensdurst gestillt? Er war der letzte Sehende auf Erden, nun wurde er bestraft. Nicht mit vergessen, sondern mit Erinnern, bis ans Ende aller Zeit. Niemals würde er mehr sterben, denn das letzte Wissen durfte nicht vergehen. Bis der Kreis sich schließen würde, die Welt erneut in Schlafe fiel. So lange über Erden schreiten, dies war sein Schicksal nun für alle Zeit."


Es war dies die Erinnerungen an die Zeit jenseits des Portals. Doch hatte es ihn nicht in eine andere Welt geführt, sondern eine andere Zeit. Er hatte das Ende Tiefwassers und der Schwertküste erlebt, das Ende der uralten Zivilisation. Und den Anbeginn Seldarias, erbaut auf dessen Ruinen. Einst wird es dasselbe Schicksal nehmen. Außer er würde einen Weg finden den Kreis zu brechen. Aufzuhalten, was unaufhaltsam war. Doch dazu musste er erkennen. Lernen. So viel lernen. Lernen über die Menschen. Über ihre guten Seiten, aber vor allem über das Böse in ihren Seelen. Vielleicht würde er es schaffen sie zu verändern. Sie zu leiten? Und wenn es tote geben würde, was dann? Wenn es Fehlschläge geben würde? Welche Opfer musste man bringen? Ignur wusste es nicht. Doch er war bereit. Zu Opfern, was notwendig war. Für den Erhalt der Welt.

Zum Glück hatte er unendlich viel Zeit. Denn auch wenn diese Geschichte endet, seine Geschichte, wie die Geschichte dieser Welt, war noch lange nicht vorbei. Er würde einen Weg finden, ja das würde er. So lange er Ignur war, der Erzmagier Dunkelbrunns.