[Enoill Calpale] Ars Magica

Started by Amilcare, 11. Januar 2011, 20:24:21

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Amilcare

Nobbels Beobachtungen

Viele Tage, gar einige Monde waren ins Land gegangen, seit Nobbel nun im Gemeinschaftshaus als Lehrling des Dorfmagus Calpale wohnte. Sein Meister hatte ihn bereits viel gelehrt, vieles, das Nobbel nicht hören mochte und weniges, das er freudig in sich aufsog. Sein Meister hatte ihn lange auf die Probe gestellt, vielerlei Aufgaben hatte Nobbel erledigen müssen, vom einfachen Botengang bis hin zur Beschaffung rarer, alchemistischer Substanzen. So sehr es ihn auch anödete, dass sein Meister ihm jegliche Magie verboten hatte und ihn dafür in staubigen, alten Folianten lesen ließ, die über die Geschichte Seldarias, aber auch über die Herkunft seines Meisters aus Luskan berichteten, so war er doch nicht auf den Kopf gefallen und wusste, dass dies alles einem höheren Zweck diente. Tatsächlich war er sogar überrascht gewesen, als er über die namen- wie ruchlosen Praktiken der luskaner Magier las, wie wenig diese mit seinem Meister gemein hatten.
Tatsächlich war Meister Calpale ein ruhiger, besonnener Zeitgenosse, vom Gemüt her Nobbel ganz ähnlich, wenn auch an Erfahrung und Wissen dem Lehrling weit vorraus. Ja, es war sogar der Fall, dass viele der einfachen Bauern des Umlandes des jungen Magiers Rat und Weisheit ersuchten, so unsinnig es erscheint, wenn man einen fünfzig Sommer alten Bauern dabei sieht, wie er vor einem jungen Mann in dunkler Robe fast schon bettelnd zu Füßen sinkt, damit dieser ihm ein Heilmittel für seine schwer kranken Kinder brauen würde. Doch Meister Calpale, so schien es Nobbel, war diese Aufmerksamkeit zu viel und übertriebene Dankesbekundungen, ebenso wie allzu anmaßende Betteleien wies er entschieden zurück. Ja, es kam Nobbel sogar vor, dass der Meister in letzter Zeit immer weniger Zeit für das einfache Volk aufbrachte und sich immer mehr in seinem Labor zurückzog. So hatte sich auch die Erscheinung das Dorfmagus verändert, der anfangs immer wieder mit seiner endlos geflickten Robe, seinem verwittertem Stab und dem ausgefransten Hut im Dorf ein gern gesehener Gast gewesen war. Damals, als Nobbel den Meister kennen gelernt hatte und bei ihm in die Lehre gegangen war, schien Enoill Calpale sich wenig um Äußerlichkeiten zu scheren und hatte mit seinem scharfen Blick, wie Nobbel schon oft miterlebt hatte, auch durch die seltsamsten und grellsten Aufmachungen anderer geschaut. Auch hatte Meister Calpale nie eine Bitte eines guten Freundes ausgeschlagen, noch seine tatkräftige Unterstützung verweigert, wenn es um das Wohl des Dorfes ging. Gerade diese Eigenschaften ließen den scheinbar schnell alternden Magus Nobbel so ans Herz wachsen, auch wenn dieser am Anfang keinesfalls davon begeistert schien, einer Art Wandergaukler in herunter gekommener Kleidung als Lehrling und Bote zu Diensten zu sein.
Doch all dies hatte sich mit der Zeit geändert, in der Nobbel, so wie es seine Art war, seine neue Umgebung, aber vor allem auch Meister Calpale stetig aufmerksam beobachtete. Und der Mann, den Nobbel über all diese Zeit nun kennen und schätzen gelernt hatte, schien sich in einen Mann verwandelt zu haben, den Nobbel nicht mehr kannte, auch wenn sein Respekt und seine insgeheime Bewunderung für Meister Calpale wohl kaum darunter gelitten hatten. Immer wieder schloss der Magier sich in seinem Labor ein und ließ Nobbel Botengänge durchführen, oder schickte ihn früh zu Bett. Anders als sonst jedoch hörte man keine kleinen Explosionen, das Fluchen des Magiers oder das gesanghafte Rezitieren irgendwelcher Formeln aus Calpales Räumen, wenn Nobbel wieder einmal schlaflos auf seinem Bett darüber grübelte, wann der Meister ihm endlich praktische Magie beibringen würde.
Es war eine jener Nächte, in der Nobbel dann diese seltsame Art von Melodie, die zugleich schaurig wie schön war, aus den Räumen des Magus vernahm. Es war kein Gesang darunter, sondern viel mehr eine Symphonie aus Klängen mehrerer Instrumente, die Nobbel noch nie zuvor gehört hatte. Eine Musik, die ihm tief in Mark und Bein einfuhr. Nobbel hatte sich daraufhin aus den Schlafräumen geschlichen und durch das Schlüsselloch von Meister Calpales Tür gespäht. Natürlich hatte er nicht viel gesehen, außer der Gestalt des Meisters, die sich über etwas beugte, von dem Nobbel aufgrund seiner täglichen Besuche im Labor wusste, dass es diese seltsame, kleine Kristallkugel war, die der Meister aus seiner Heimat mit nach Seldaria gebracht hatte. Nobbel hatte bei seinen Aufenthalten im Labor der Kugel immer wieder neugierige wie verstohlene Blicke zugeworfen, ehe er schließlich zu dem Schluss kam, dass sie entweder kein tieferes Geheimnis hütete, oder sich dieses nur dem Meister selbst, wie vieles andere in den Räumlichkeiten des Magus, offenbarte.
Deshalb war Nobbel an diesem Abend, als er durch das Schlüsselloch spähte, so sehr mit seinen Gedanken über die Kugel und das seltsame Treiben seines Meisters beschäftigt, dass er zunächst gar nicht merkte, dass sich seinem Auge ein anderer Anblick seines Meisters darbot. Tatsächlich entfuhr dem Lehrling ein leises, verräterisches Keuchen, als er sah, wie die gebeugte und regungslose Gestalt seines Meisters plötzlich von einer Art Rauchschwaden, oder waren es Schatten, eingehüllt wurde. Tänzelnd schlangen sie sich wie Tücher aus reiner Dunkelheit um die Robe des Magus. Nobbel wollte zu diesem Zeitpunkt schreien, einen Laut der Warnung seinem Meister zukommen lassen, doch war er von diesem Anblick zu gefesselt, als dass ihm Furcht und Staunen erlaubten, einen Laut über die Lippen zu bringen, oder gar seine Glieder zu bewegen. Es dauerte nicht lange, bis sein Meister von den Schwaden verschlungen wurde und diese jeden Blick auf ihn verweigerten. Nobbel wartete und es schien ihm eine Ewigkeit, ehe die Schwaden verschwanden, auch wenn er später herausfand, dass dieser Anblick kaum einige Lidschläge gedauert haben musste. Der Lehrling war dann derart verstört, als er versuchte seinen Meister im fahlen Licht des Labors auszumachen, dass er das Verbot überging und einen der wenigen Zauber aussprach, die er kannte. Diesen hatte er sich bereits in jungen Jahren angeeignet, als seine Eltern zur Strafe immer wieder eines seiner Lieblingsspielzeuge weg geschlossen hatten. Später hatte er dann heimlich in einem der Bücher des Meisters die Formel zu dem Zauber gefunden und sie immer wieder geübt, sodass es ihm ein leichtes schien, ihn nun auf die Tür des Labors anzuwenden. Tatsächlich brauchte er nur die Formel aussprechen und die Augen wieder zu öffnen, da vernahm er das Klicken, welches ankündigte, dass sich die Tür aufgeschlossen hatte. Nobbel bot sich sodann ein seltsamer Anblick, denn während alles andere innerhalb des Labors unverändert schien, fehlte von seinem Meister jede Spur. Nur etliche Holzspäne an der Stelle, an der er Meister Calpale zuletzt gesehen hatte, fielen ihm ins Auge und er musste mehrere Male hinsehen, um zu begreifen, dass es die Überreste des Zauberstabes von Meister Calpale waren. Auch schien die Kristallkugel, wie Nobbel nun auffiel, teilweise verrußt, so als habe ein nahes Feuer sie geschwärzt.
Nobbel suchte in dieser Nacht lange nach seinem Meister und wartete schlussendlich bis zum Morgengrauen, ehe ihn die Müdigkeit übermannte und er sich zurück in sein Bett schleppte. Am Morgen, wenn er aufwachte, so schwor er sich, würde er jemanden aus dem Dorf zur Hilfe rufen. Vielleicht einen der Zwerge, die Miliz, oder aber Meister Axtmeister.
Doch sollte es nie dazu kommen, denn als Nobbel mit vom Schlaf verklebten und schweren Augenlidern erwachte, sah er seinen Meister lächelnd vor sich stehen. Zumindest erkannte er ihn nach mehrmaligem hinschauen, denn seinem Meister schien dieser Mann, der sich in voller Größe dort vor ihm aufbaute, kaum ähnlich. Eine rein schwarze Robe aus feinem Stoff trug er, ganz anders als das geflickte Etwas aus Leinen, das Meister Calpales gebeugte und müde Gestalt sonst immer einhüllte. Zudem sah Nobbel am rechten Ringfinger seines Meisters einen schweren, makel- und doch schmucklosen Goldring glänzen, während die Hand selbst einen neuen Stab hielt. Es war ein Stab, wie Nobbel ihn noch nie zuvor gesehen hatte, denn er ähnelte kaum dem knorrigen Ast, den der Magus zuvor mit sich herumschleppte. Viel mehr schien es dem Lehrling, dass dieser Stab denen der anderen Magier aus der Stadt mehr ähnelte, auch wenn er diese an schmuckloser Eleganz und Schönheit bei weitem übertraf. Er war schwarz, doch nicht ein rußiges Schwarz, welches teilweise auch den alten Stab des Magus bedeckt hatte, sondern ein reines, durchgehendes Schwarz, das perfekt zu dem ebenso ebenmäßigen Holz passte, aus dem er gefertigt war. Doch das war es nicht, was Nobbel ins Auge stach, denn der Stab lief am Ende in drei Spitzen aus, in deren Mitte, wie von Geisterhand in der Luft gehalten, eine schwach bläulich schimmernde, kleine Kugel schwebte. Aus den Augenwinkeln schien Nobbel etwas am Hals des Magus ins Auge zu fallen, als er den Stab betrachtete, doch als er hinsah, war Meister Calpale gerade dabei, den Kragen seines Gewandes gerade zu rücken, sodass Nobbel der Blick auf den Hals verwehrt blieb.
"Nun, Nobbel, ereignisreiche Zeiten stehen uns bevor. Ich habe hier ein Schreiben, das du einem Mann mit Namen Terzul in Fürstenborn überbringen musst. Eile dich und sorge dich nicht um deine Sicherheit, wie ich hörte, bricht der Bauer Gundram bald in die Stadt auf, um dort seine Waren zu verkaufen. Du kannst dich ihm anschließen und wenn du zurück kommst, werden wir ein, zwei Worte über deine nun beginnende, praktische Ausbildung verlieren."
Das waren die Worte, die dieser Mann, der seinem Meister kaum ähnelte, zu Nobbel sprach. Hochgewachsen war er, was dem Lehrling erst jetzt auffiel, da Meister Calpale nicht mehr gebeugt, sondern mit vor Stolz erhobenem Haupt und sanftem Lächeln vor ihm stand. Seine Gesichtsfarbe schien gesünder als die Tage zuvor, auch wenn Nobbel nicht leugnen konnte, dass ihm die tiefen, blauen Augen seines Meisters, oder viel mehr das, was in ihnen lag, einen Schauer über den Rücken jagte.
Doch Nobbel war viel zu beschäftigt damit, sich Gedanken über die freudige Ankündigung seines Meisters zu machen, ihn endlich in praktischer Magie zu unterweisen, wenn er zurückkehren würde, dass er ganz vergaß, irgendjemandem von seinen beunruhigenden Entdeckungen zu berichten, geschweigedenn noch viel darüber nachzusinnen.
Später am Tag machte sich der junge Lehrling zusammen mit dem Bauer Gundram nach Fürstenborn auf, überreichte einem unheimlich wirkenden und herunter gekommenen Mann mit Namen Terzul in einer schäbigen Hafentaverne das Schreiben seines Meisters und machte sich frohlockend, nachdem er einige der hiesigen Gebräue getestet hatte, zusammen mit Gundram wieder auf den Heimweg. Heute war es soweit, heute würde er endlich zum richtigen Magier.

Amilcare

Das Vergangene verbrennt

Wieder waren einige Tage ins Land gegangen und Nobbel war verängstigt, wo er am Anfang noch begeistert schien. Seine praktische Ausbildung hatte, wie Meister Calpale es versprach, sofort angefangen, als Nobbel aus Fürstenborn zurückgekehrt war, aber sich schlussendlich nicht als das herausgestellt, was Nobbel sich in seinen Träumen stets ausgemalt hatte. Tatsächlich lehrte Meister Calpale ihm keinerlei Zauber, nicht einmal die schwächsten, sondern provozierte Nobbel so lange mit Schimpf und Schande, bis dieser tatsächlich eine magische Reaktion erbrachte. Einmal war das, was Nobbel hervorbrachte, sogar so heftig, dass der Lehrling mit Besorgnis um seinen Meister ganz in Scham und Bestürzung versank, als dieser hinter einer Wand aus violetten Flammen verschwand. Doch Meister Calpale war, überraschenderweise, nichts passiert, auch wenn Nobbel hätte schwören können, dass die Flammen selbst ihm so manch ein Haar angesengt hatten. Der Meister war sogar erfreut über Nobbels Ausbruch, was dieser nicht nachvollziehen konnte. Immer wieder taten sie das gleiche, statt stiller Meditationsübungen, die er zuvor mit dem Dorfmagus erlernt und durchgeführt hatte, wurde Nobbel provoziert und zu einer magischen Explosion genötigt.
Nobbel gefiel das ganz und gar nicht. Er wollte zaubern, doch nicht so. Auch schien es, dass Meister Calpale sich nicht nur vom Äußeren her veränderte. Immer wieder konnte Nobbel aus den Augenwinkeln sehen, wie sein Meister mit einer Spur von Begeisterung die eigenen Hände musterte, oder wie der Dorfmagus alltägliche Dinge mit Magie erledigte, was Nobbel zuvor noch nie gesehen hatte. Ja, ihm fiel dabei sogar immer wieder einer der ersten Sätze des Meisters ein, als dieser Nobbel als Lehrling aufgenommen hatte: "Magie ist Macht, Nobbel, und wie jede Macht erfordert sie ein gewisses Verantwortungsgefühl bei jenen, die sie ausüben, ebenso wie Demut."
Damals hatte Nobbel die Worte nicht so ganz verstanden, doch heute schien es ihm, dass Meister Calpale gegen seine eigenen Prinzipien handelte, ja diese fast sogar bekämpfte. Und auch das Erinnerungsvermögen des Meisters schien seit jenem Morgen, da dieser so neu gestaltet vor Nobbel aufgetaucht war, gelitten zu haben. Natürlich, Meister Calpale hatte in der Vergangenheit schon unzählige Male gewisse Dinge und Kleinigkeiten vergessen, zum Beispiel wo er seine Schlüssel hingelegt hatte, oder wo gewisse Reagenzien geblieben waren. Doch hatte das Gedächtnis des Dorfmagus stets dann fehlerfrei funktioniert, wenn wichtige Dinge wie Experimente anstanden. Vor zwei Tagen jedoch wurde nicht nur Nobbel an den Kopf gestoßen, sondern auch einer der Bauern. Willman war sein Name gewesen, das wusste Nobbel, denn der alte Bauer war recht vertraut mit Meister Calpale gewesen und hatte diesen stets mit allem möglichen beliefert, im Gegenzug aber auch unter anderem Heiltränke für seine stetig kranke Frau erhalten. Auch war Willman, außer Nobbel natürlich, einer der ersten gewesen, denen der Dorfmagus seine gebackenen, mit Magie versetzten Leckereien offenbarte, von welchen besonders die drei Kinder des Bauern entzückt gewesen waren. Aber genau vor zwei Tagen hatte Meister Calpale den Bauern doch tatsächlich gefragt, wer er sei und warum er die wichtige Forschungsarbeit eines Magus seines Standes unterbrechen würde. Tatsächlich aber war Willman stets an diesem Tag in der Woche erschienen, um einen Heiltrank von Meister Calpale zu erstehen und mit ihm die Neuigkeiten im Dorf zu besprechen. An diesem Tag jedoch musste Nobbel, einem Irren gleich, an die Tür zum Labor des Magus hämmern, damit dieser, der sich wieder einmal darin eingeschlossen hatte, überhaupt reagierte und Willman einließ. Und so wurden nicht nur Willman und Nobbel vor den Kopf gestoßen, sondern auch etliche andere, die sich Rat und Hilfe vom Dorfmagus erhofft hatten. Viele von diesen Leuten erkannte der Dorfmagus gar nicht, andere wiederrum schien er weit besser zu kennen, als selbst diese vermuteten.
Das Schlimmste für Nobbel jedoch war, dass er wieder zu Stottern angefangen hatte. Diese Unart hatte er, dank der freundlichen, fast väterlichen Fürsorge seines Meisters in der Vergangenheit, recht schnell abgelegt, zumindest im Umgang mit Meister Calpale und einigen Bauern des Dorfes. Aber kaum hatten sie mit den praktischen Übungsstunden in Sachen Magie begonnen, in denen der Meister oft schlichtweg gemein zu Nobbel wurde, einfach um die Magie aus ihm herauszupressen, wie es dem Lehrling schien, da hatte er auch wieder mit dem Stottern angefangen.
Unsicherheit nagte an der Seele des Lehrlings und bescherte ihm stets schlaflose Nächte. Wie sollte das nur weitergehen? Wie sollte er je unter solchen Umständen Magie lernen? War Meister Calpale einfach verrückt geworden? Aber vielleicht war es auch nur eine vorrübergehende Phase im Leben des Magiers, vielleicht sogar ein Experiment, das unter größter Geheimhaltung durchgeführt werden musste und von dem Nobbel, als unbedeutender Lehrling, nicht in Kenntnis gesetzt wurde. Ja, vielleicht war es so. Denn immerhin, war es nicht, trotz all der Seltsamkeiten, immernoch Meister Calpale?