[Metaplot - "Trailer"] Die Augen des Feindes

Started by Amilcare, 08. Oktober 2011, 23:32:33

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Amilcare

Mago zog die kalte, frühherbstliche Luft ein, während er ein weiteres Mal eines der Netze auf Schwachstellen überprüfte. Doch wie immer, wenn er mit seinem Vater hinaus zum fischen fuhr, war er mit den Gedanken an einem anderen Ort, lauschte nur den Geräuschen des Meeres.
Langsam ertasteten seine flinken Finger eine zerrissene Stelle, erfühlten den Schaden, der das Netz schlussendlich untauglich machte, ehe es geflickt werden würde.
"Vater? Dieses hier ist unbrauchbar. Ich werde es nachher flicken, wenn wir zurück sind." Sprach Mago ohne aufzublicken, ehe er seinen Kopf dann doch in Richtung Osten wandte, dort, wo sich der Morgen mit einem sanften, rötlichen Schimmer am Horizont abzeichnete und seine Heimat, Empa, in zaghaftes Licht tauchte.
"Vater?" Mago blickte hinter sich, da sein Vater nicht einmal mit dem für ihn typischen Brummen geantwortet hatte. Verwirrt bemerkte er, wie Hanno halb im Boot stand, während er mit versteinerter Miene und weit aufgerissenen Augen gen Süden blickte.
"Vater? Was ist?" Dies schien Hanno aus seiner Starre zu lösen und mit verstörtem Blick sah er seinen Sohn an. "An die Ruder, Sohn, wir müssen nach hause, schnell!"
"Aber..."

"Keine Widerrede! Tu was ich dir sage!"
Selbst für Hanno war der Tonfall scharf, aber Mago hörte noch etwas anderes heraus. Besorgt setzte er sich jedoch an die Ruder, immerhin war er ein guter Sohn und es gab tatsächlich keine Widerrede, wenn sein Vater solch einen Ton anschlug, das wusste Mago. Trotzdem, Mago konnte sich eines Blickes nach Süden nicht erwehren und was er dort erblickte, schien ihm, wie seinem Vater zuvor, alle Glieder zu lähmen und ein ungläubiges Staunen zu entlocken, dem eine nicht zu leugnende Spur Angst anhaftete.
Hunderte, wenn nicht gar tausende große Schatten von mächtigen Schiffen zeichneten sich am südlichen Horizont ab. Mago erkannte mächtige gelbe, fast goldene Segel, die eine Art schwarz-weißes Wappentier in der Mitte trugen. Riesige Ruder, die jene an Hannos Boot mit endgültiger Winzigkeit straften, teilten das Meer und trugen die mächtigen Galeeren gen Norden, in ihre Richtung.
"Junge! Beeil dich!" Tönte die Stimme von Magos Vater und riss ihn aus seinem Staunen.
"Südländer?" Mehr brauchte Mago nicht zu fragen, während er all seine Kraft in die Ruder des lächerlich kleinen Fischerbootes stemmte. Südländer schien Mago die einzige Erklärung. Selbst die Flotte von Persepone war nicht so groß und die balmirer Kauffahrer würden sicherlich nicht in solcher Zahl eine Stadt 'überfallen'.
"Nein, sieht mir eher nach Seldariern aus."
"Seldarier? So weit im Süden? Und so viele Schiffe?" Unglaube drang mit jeder Silbe aus Magos Lippen, während er, ohne von den Rudern abzulassen, zu seinem Vater blickte.
"Ich weiß es nicht, Sohn. Aber ihr Wappen..."
Bei diesen Worten fiel Mago wieder ein, wo er dieses Tier auf den Segeln schon einmal gesehen hatte. Es war vor zwei Jahren, als ein kleines Handelsschiff aus dem seldarischen Fürstentum in Empa angelegt hatte.
"Aber was wollen die hier? Die sehen nicht wie Kauffahrer aus."
"Es sind keine Kauffahrer, Mago, es sind Krieger. Das sind Kriegsschiffe."
Mehr Worte mussten Vater und Sohn nicht wechseln. Mago wusste auch so, dass Empa nicht einem einzigen dieser Schiffe wirklichen Widerstand hätte leisten können, aber Mago wusste auch, dass ihr Boot zu klein und zu langsam war, um jemals vor diesen Schiffen ihr Dorf zu erreichen. Jede Warnung würde zu spät kommen...

Hunderte Meilen entfernt schlossen sich lidlose Augen, die nach Südosten geblickt hatten, in einer dunklen, steinernen Kammer. Ein leises, gequältes Stöhnen drang aus fahlen Lippen, das auf unnatürliche Weise tausendfach vom Stein der Kammer wiedergegeben wurde.
"Meister?"
Alagrim zuckte zusammen, als der dunkle Schemen, der neben ihm aufragte, mit seiner kalten Grabesstimme eine Frage an den Mann richtete, der sich dort vor ihm, in der Dunkelheit auf einem steinernen Stuhl sitzend, abzeichnete.
Er wusste nicht, wo er war, und die wenigen Lidschläge seit seinem Erwachen hatten zu einer Orientierung nicht viel beigetragen. Er kniete auf dem kalten, feuchten Stein, während seine eigene, dunkle und eng anliegende Robe, die einst aus edlem Stoff gefertigt worden war, nur noch in Fetzen an seinem gepeinigten Leib hing. Lediglich seinen Kopf konnte er bewegen, seinen Blick suchend durch die Finsternis schicken, aber auch dieses Unterfangen blieb erfolglos. Das wenige Licht, welches von einigen Talgkerzen aus einem anderen Raum in seinem Rücken gespendet wurde, konnte die allgegenwärtigen Schatten dieser Kammer nicht vertreiben.
Auch sein Gedächtnis war lückenhaft, sein einst überragender Geist, der andere beeinflussen, ja sogar kontrollieren konnte, war gelähmt, abgeschaltet. Nur Bruchstücke tauchten vor seinem inneren Auge auf, Teile einer Erinnerung an eine Nacht des Blutes, eine dunkle Gasse und zahlreiche Feinde. Jäger, die ihn gefangen hatten. Auch wusste Alagrim, dass der Schemen neben ihm einer dieser Jäger war, ein mächtiger, denn seine Gegenwart hatte ihn in die Knie gezwungen.
Doch wer dieser Mann auf dem steinernen Stuhl sein mochte, wagte Alagrim nicht zu hinterfragen. Er war in eine schwarze Kapuzenrobe gewandet, ebenso wie der Jäger neben ihm, wallend und weit, anders als Alagrims einstige Ordenskleider. Und doch gab es eindeutige Unterschiede, denn der Jäger hatte eine Art rotes Wappen auf dem Rücken seiner Robe, der Mann nicht.
Er schwieg und lauschte.
"Ithusat."
Alagrim schüttelte sich innerlich, als die unsagbare Kälte und Hitze, die gleichzeitig von dieser Stimme ausging, in seinen Geist drang. Die Stimme war männlich, doch schien das Wort, dieser Name, über die Lippen mehrerer, unsichtbarer Sprecher zu dringen. Gleichzeitig mit der männlichen Stimme sprach eine Frau, eine sehr tiefe Stimme, die einem Oger hätte gehören können, und eine, die Alagrim weder als männlich, noch als weiblich einordnen konnte.
"Was habt ihr gesehen, Meister?"
Langsam erhob sich die Gestalt auf dem steinernen, schlichten Stuhl, so langsam, dass Alagrim vermutete, der Träger dieser Robe müsse uralt sein.
"Güldene Nadeln im Süden, überall. Der Glanz des Drachen blendet uns. Unsere Zeit wird wie Sand in der Wüste hinfort geweht. Was bringt er uns, der Sohn des Betrogenen? Es ist nicht der silberne Schwan, wir sehen keine Schwingen."
"Nein, Meister. Es ist einer der Ordensführer. Jene, die sich angemaßt haben, uns jagen zu wollen."
"Ja, besser beraten wären sie gewesen, die Augensammler zu suchen."
Langsam näherte sich der Mann Alagrim, während dieser bemerkte, dass dessen Gang keinesfalls gebeugt war, wie im Alter oft der Fall. Zu seinem Schrecken konnte er im Dunklen Teile des fahlen Gesichtes unter der Kapuze ausmachen. So waren Wangen und Kinn von seltsamen, eingebrannten Runen übersäht, während die Augenhöhlen von den wie verwachsen wirkenden Lidern geschlossen waren und sich lange Narben um sie herum chaotisch in alle Richtungen abzeichneten. Eine Strähne von blondem, ausgebleichtem Haar fiel aus der Kapuze, als der Mann vor Alagrim aufragte und sein Haupt zu ihm herab neigte, so als könne er ihn auch ohne Augen sehen und mustern.
"Vadatajos..." Entfuhr es Alagrim und sein Schrecken kannte keine Grenzen.
"Nein, mein Kind, wir sind nicht Jäger, wir sind Apostel."
Und als die Stimmen in der steinernen Kammer verklangen, spürte Alagrim, wie sein Geist in eine finstere Leere geworfen und zerstört wurde. Keine Rettung und keine Rückkehr, lediglich der letzte Gedanke, alles, was er je gedacht, gefühlt, gehört und gesehen hatte, einer angenehm warmen Stimme offenbart zu haben, die seinem ihm zuflüsternden Henker gehörte.

Und wieder schweifte der lidlose Blick über das Land, durchdrang Stein und Fleisch, überquerte Seen, Flüsse und ein mächtiges Gebirge. Dort, am südlichen Ausläufer des mächtigen, steinernen Kamms, wachte in diesem Moment ein in weite, grüne und weiße Leinen gekleideter, in einen bronzenen Brustharnisch gehüllter Mann auf einer der Pallisadengänge eines südländischen Lagers. Schwer stützte er sich auf seinen Speer, schüttelte hin und wieder seine Beine durch, um die Hundeskälte des Morgens zu vertreiben, und sah nach Süden.
Und obwohl der Mann, der ein Sohn eines der mächtigeren nördlichen Wüstenstämme war, die Gerüchte über den Krieg im Süden vernommen hatte, von den vielen Opfern, vom Fall vieler mächtiger Reiche und dem Heraufziehen eines Feindes aus uralter Vorzeit, so schenkte er doch eher den unmittelbaren, profanen Problemen seine Aufmerksamkeit. Gerüchte und Tratsch lag eher den verweichlichten Händlern im Süden, nicht einem stolzen Wüstensohn, ein Angehöriger des Volkes aus Eroberern und Kriegern.
Viel öfter als nach Süden, schwenkte sein Blick nach Osten, dort, wo er die Feinde seines Stammes wusste, andere Wüsten- und die Orkstämme. Es würde nur eines Bundes zwischen ihren Feinden benötigen und das neu errichtete Lager, welches seinem Stamm die Kontrolle über den Zugang in die barbarischen Länder des Nordens garantierte, würde schneller fallen als es aufgebaut worden war.
Fünf Dutzend Krieger seines Stammes, etliche Sklaven, Diener und niedere Handwerker berherbergte das Lager, genug für die reich bestückten Karawanen, die hin und wieder aus dem Norden kamen, zu wenige für einen entschlossenen Angriff.
Auch nach Südwesten blickte der Krieger, der noch, im Gegensatz zum Osten, im Dunkel der Nacht da lag. Dort hinten, weit hinter der Wüste, war die Heimat der Geschuppten, wie der Wüstensohn wusste. Vor nicht allzu langer Zeit hatte etwas sie aufgescheucht, nachdem auch jene lächerlichen Gerüchte über den Fall des größten Reiches des Südens an die Ohren seines Stammes gelangt waren. Viele von diesen Abscheulichkeiten waren über die Wüste und die Stammesgebiete hergefallen wie unersättliche Fresskäfer, ehe sie in Richtung Küste verschwanden und die Stämme ihre zahlreichen Wunden leckten. Doch nun war es still geworden im Südwesten, vielleicht zu still.
Sein Stamm hatte am wenigsten unter der Zerstörungswut dieser Untiere leiden müssen, ein Grund, warum er in der Lage war, diese Schlüsselposition in den Norden einzunehmen.
Ein Alarmruf riss den Krieger aus seinen Gedanken und sein von der Kälte ungetrübt scharfer Blick richtete sich auf einen seiner Brüder, der in einiger Entfernung auf einem der Palisadengänge seinerseits Wache hielt. Dieser wies für seine Brüder die Richtung, nach Süden, in der er etwas entdeckt hatte.
Nichts konnte einen stolzen Wüstensohn, ein Sohn von Kriegern und Eroberern, so leicht schrecken. Nicht einmal die barbarischen Nordländer, nicht die verweichlichten Südländer und auch nicht die kampfstarken wie grausamen Orks des Ostens. Doch der Krieger bemerkte, wie er seit langer Zeit eben jenes unerwünschte Gefühl verspürte, wie es sich in seine Magengegend bohrte und die Kälte einer Wüstennacht durch seine Adern in Richtung seines Herzen schickte. Er war jedoch nicht allein.
All seine Brüder, die auf den Palisaden wache gehalten hatten, aber auch jene, die durch den Ruf geweckt worden und auf die Gänge gestürmt waren, schienen von dem gleichen, inneren Feind eines Kriegers für diesen kurzen Moment bezwungen worden zu sein.
Der Krieger verstand es nicht. Wie waren sie so schnell aufmarschiert? Und wie kamen jene, die das Banner des Unaussprechlichen trugen, vom Norden in den Süden? Nicht einmal die vereinten Wüstenstämme hätten solch einen Anblick aus einem Meer aus Flaggen und im schwachen Schein der Morgensonne glänzendem Metall geboten.
Ein weiterer Schrei eines Kriegers richtete seine Aufmerksamkeit auf den Himmel und er sah es bereits, ehe ein riesiger Schatten das Lager in Dunkelheit tauchte.
Nichts konnte einen Wüstensohn so leicht schrecken, doch als das Lager des Stammes in lodernden Flammen aufging, war der Lohn für die eigene Niederlage des Herzens das knappe, nackte Überleben, geschenkt durch die Kraft seiner flüchtenden Beine...