Hin und wieder - Erinnerungen

Started by Jamapi, 21. Januar 2006, 19:22:53

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Jamapi

Ein silbriger Mond schwamm schimmernd weiß und fast schon ein wenig gelblich in einem Meer aus Dunkelheit und leuchtenden, funkelnden Kerzen hoch oben am Firmament. Man könnte fast meinen, dass der Mond einsam dort oben in dem Ozean aus Lichtern segelte. Doch es schien als ob all diese Lichter die Einsamkeit vertrieben und die Fahrt des silbernen Schiffes in mancher Weise erst möglich zu machen schienen. Zwar waren sie keine Gesellschaft für den Mond, der strahlend, vielleicht schon ein wenig erhaben die Dunkelheit aus der Welt der Nacht verbannte. Dennoch schienen sie eine gewisse Gemeinsamkeit zu haben, ebenso Licht zu spenden, wie der Mond, wenn auch vielleicht nicht ganz so strahlend wie die thronende Mondenfrau, deren silbriger Körper langsam von ein paar durchsichtigen Kleidern aus Wolkenweiß bedeckt wurden, das strahlende Silber beschützend.

„Manchmal, Gwendolyn, manchmal fühlt man sich einsam. Es ist ein Gefühl, das auch wir Hin durchaus kennen. Aber wir sind nie allein, selbst wenn wir auf Reisen sind. Warum? Es ist schwer zu beschreiben, meine Tochter, sehr schwer. Eigentlich kann man den Grund nur fühlen und nicht in Worte fassen. So kann ich dir nur sagen, dass du dich niemals alleine fühlen wirst, auch wenn niemand bei dir ist. Und glaube mir, du wirst verstehen, was ich meine. Du wirst es verstehen, denn ich weiß, dass du Yondallas Segen hast, meine Tochter.“

Es war eine klare Nacht, vielleicht ein wenig zu klar für Wandernde, die in diesen kälteren Zeiten nicht das Glück eines prasselnden Feuers, einer angenehmen Kohlepfanne im heimeligen Bett oder das vertraute Gesicht eines lieben Verwandten bei sich wähnen konnten. Und auch die prasselnden Flammenzungen, die immer wieder unstet sich in den Ozean aus Dunkelheit und Kälte über sich streckten, konnten der Gestalt am Lagerfeuer nur wenig Wärme spenden, während diese sich immer näher an das Feuer vorsetzte, eingehüllt in einen grünen Umhang und unzählige Decken. Ein Wanderer, der zufälligerweise vorbeikommen würde, mag sich vielleicht auf den ersten Blick gefragt haben, was ein Kind zu dieser Jahreszeit hier draußen in dieser unwirtlichen Kälte suchte, doch auf den zweiten Blick, wenn die Augen sich neugierig unter die Kapuze vortasten würden, die leicht spitzen Ohren und den erwachsenen Blick darunter erkennen würden, würde er sich dies nicht mehr fragen – vielmehr würde der Wanderer sich nun wiederum fragen, was ein Halbling hier in der Kälte zu suchen hatte.

Haselnussbraune Augen würden dem Wanderer entgegen leuchten, in denen sich das Spiel der Flammen lebensfroh spiegelte. Ein junges Gesicht, für eine Hin wohl noch recht jung, vielleicht um die 20 Sommer, eingerahmt von dunkelbraunem Haar - und dennoch die Augen schon von einer Reife wie selten in diesem Alter. Die Hand der jungen Halblingsfrau, die eingekauert in einen Umhang und eine wärmende Decke am Feuer saß, zwängte sich unter den vielen Schichten Stoff hervor, suchte sich einen Weg durch die Zwiebel aus wärmendem Leinen, die sie umgaben, griff nach einem Ast und begann, gedankenverloren in der Wärme des Feuers zu stochern, einen sehnenden Blick in die Mischung aus roter Wärme, gelber Häuslichkeit und glimmender Heimeligkeit gerichtet. Ein Bett. Ein warmes angenehmes Bett. Und die Geborgenheit eines Hauses. Gwendolyn seufzte leicht.

„Heute ist mein 20. Geburtstag, liebe Eltern, liebe Familie, liebe Freunde und lieber Rest des Dorfes – auch wenn ich den Großteil bereits genannt hatte. Ich danke euch für dieses schöne Fest, ebenso wie ich meinen Eltern danke, für die vielen Jahre, die sie mir geschenkt haben, für die Weisheit und die Erfahrung, die sie mit mir geteilt haben, ebenso natürlich wie auch all ihr anderen. Besonders meiner Mutter möchte ich danken, besonders ihr und unser aller Mutter, Yondalla. Doch wie es üblich ist am 20. Geburtstag, so werde ich auch heute eine Entscheidung treffen. Ihr könnt es mir glauben, es fällt mir nicht leicht. Zu viel verbinde ich mit euch allen hier, mit dem Holz jeder Tür in diesem Dorf, mit dem Gras unseres Landes, in dem ich so häufig und gerne im Frühling sitze, mit all euren Erzählungen, Geschichten, Späßen, an denen ich teil haben durfte, mit jedem liebenswerten Hin, der hier vor mir steht, von denen ich nun lieber niemanden nennen will, da ich ansonsten wohl noch morgen, vielleicht sogar noch übermorgen hier stehen würde, um jeden Einzelnen gebührend zu würdigen und niemanden zu kurz kommen zu lassen. Zu viel verbinde ich mit euch allen, als dass mir diese Entscheidung einfach fallen würde und dennoch...ist es Zeit.“

Die junge Halblingfrau seufzte wieder tief und hob ihren wehmütigen Blick aus den Flammen der Erinnerung, die Bilder in ihrem Herzen auflodern ließen, die zwar Wärme gaben, aber eben auch Trauer darüber, dass dies nur Bilder waren und nicht mehr als diese. Gwendolyn legte den Ast wieder bei Seite und zog die Hand zurück in die nur kläglich wärmenden Stoffe, die sie um sich gewickelt hatte, dass man ihre eigentliche Statur kaum ausmachen konnte. Sie öffnete eine Tasche und griff dort hinein, tastend, suchend und jauchzte vor Freude fast auf, als sie das in den Tiefen der Tasche spürte, was sie gesucht hatte. Es war das letzte Stück, aber vielleicht war jetzt genau die richtige Zeit, um es aufzubrauchen. Diese Nacht, in der sie es doch nicht mehr bis zur nächsten wärmenden Wegstation geschafft hatte und nun draußen im Freien bei dieser Kälte übernachten musste, da es wohl Selbstmord wäre, in den dunklen Wald weiter zu gehen, der sich da vor ihr fast schon ein wenig drohend, wenn auch lockend auftürmte. Ja, vielleicht war dies die beste Gelegenheit dazu. Denn was könnte das Herz denn schon besser wärmen und vor dem Erfrieren in der Einsamkeit entfernt von Heimat und Familie schützen, als liebevoll zubereitetes Essen?

Gwendolyns feingliedrige Finger umschlossen den Teig, sie schloss die Augen und für einen kurzen Moment, vergaß sie die Umgebung um sich herum. Die Eindrücke der einsamen Nacht dort draußen versiegten, stürmten nicht mehr mit solcher Macht auf die junge Halblingfrau ein. Sie hörte nur das Prasseln des Feuers, spürte die Wärme, die es spendete und sah das Licht. Die Flammen des Feuers tauchten die Schwärze ihrer geschlossenen Augen in ein Farbenspiel aus feurigen und warmen Farben und dann biss Gwendolyn in das Kuchenstück hinein. Vor ihrem geistigen Auge sah sie die Obstbäume ihres Dorfes, roch fast den Duft der Äpfel, sah, wie sie ihrer Mutter beim Pflücken half und sah dann sogar, wie ihre Mutter dabei war, den Teig für den Apfelkuchen zu fertigen und wie dann ihre Schwester Cassandra schon durch die Tür durchlugte und sich die Lippen leckte - und natürlich in einem unbeobachteten Moment etwas von den Äpfeln und dem Kuchen mitgehen ließ. Vergessen war die Kälte der Nacht, vergessen war die Einsamkeit am Lagerfeuer, vergessen war der weite Wanderweg, der hinter ihr lag und auch vergessen war der Weg, der sich noch vor ihr erstreckte. Der Duft von Äpfeln, das Geräusch des Ofens, während die Backform mit dem Kuchen darin immer mehr begann zu glühen, der süßliche Geruch, der in der Luft elegant und heimelig schwebte, wenn der Apfel im Teig begann, gebacken zu werden, all dies konnte sie nun fast körperlich spüren – es war mehr als eine Erinnerung, mehr als die bloße Vorstellung von etwas, das sie vermisste, denn es schmeckte nach...zu Hause.

„Ich weiß, dass ihr wohl gehofft habt, dass ich bei euch bleibe. Ich weiß, dass viele gehofft hatten, dass ich vielleicht hier bleibe, um das Dorf zu beschützen, so wie ich damals den Wolf von uns Kindern vertrieben hatte. Und glaubt mir, nichts würde ich lieber machen, denn es wäre mir eine Ehre. Ich erinnere mich noch an dieses warme Gefühl, dieses Gefühl, dass dies richtig ist, dieses Gefühl, dass es nichts Anderes wohl geben wird, was mich derart erfüllt, wie euch – meine Lieben – vor Unbill zu beschützen, so wie Yondalla über uns alle ihr wachendes und fürsorgliches Auge ruhen lässt; denn unser' aller Mutter will ich dienen, so wie meine Mutter es mich gelehrt hatte. Doch ebenso spüre ich noch etwas Anderes, etwas, das mir sagt, dass ich von hier weg muss. Glaubt mir, es fällt mir nicht leicht – wirklich nicht. Und dennoch denke ich, dass ich noch so viel zu lernen habe, so viel zu erfahren habe, dass ich hinaus gehen muss und sehen muss, wie ich meinen Weg selbst finden kann, auch wenn ich nicht eure liebevolle Unterstützung habe.“

Gwendolyn erinnerte sich noch gut, wie sie bereits als kleines Mädchen mit ein paar anderen Kindern spielte und ein Wolf aus dem nahen Wald sie angriff. Ohne wirklich nachzudenken und ohne wirklich zu bedenken, dass dieses pelzige Ungetüm vor ihr, fast genauso hoch, wenn nicht sogar höher, wie sie selbst war, griff sie nach einem stabilen Stock, der in der Nähe lag und versuchte, den Wolf von den anderen Kindern abzuhalten. Die anderen Halblingskinder liefen schreiend weg, während sich die kleine Gwendolyn mühsam gegen den Wolf versuchte zu wehren, doch zu groß war der Wolf, zu gefährlich sein Biss. Hauptsache die anderen Kinder waren in Sicherheit. Dies waren zumindest ihre letzten Gedanken als der Wolf ihr eine große Wunde riss und der rote Lebenssaft viel zu schnell ihr entströmte. Hauptsache, die anderen waren in Sicherheit. Und dann überschattete eine wohlige Schwärze das Gekläffe des wilden Wolfs. Als sie damals danach aufgewacht war, war das besorgte Gesicht ihrer Mutter das Erste, was sie sah. Es hatte Gwendolyn damals sehr verwundert, da sie gedacht hatte, dass es aus gewesen wäre, aber wie sie später heraus fand, hatten die anderen Kinder versucht, ein paar Erwachsene zu holen, die zum Glück gerade noch rechtzeitig ankamen, um den Wolf mit ein paar Steinschleudern zu vertreiben, bevor dieser das junge Halblingmädchen zerfetzen konnte.

Ihre Mutter war damals übermäßig stolz auf ihre Tochter, sagte, dass sie wohl etwas ganz Besonderes sei und Yondalla mit ihr sei. Und Gwendolyn verspürte seit diesem Tag auch ein merkwürdiges Gefühl. Nein, „merkwürdig“ war das falsche Wort, es war eher...“ungewohnt“. Sie hatte das Gefühl, dass dies, was sie getan hatte, absolut das Richtige war und dass es nicht richtiger gewesen sein konnte. Wohl hatte seitdem die große Mutter des Halblingvolkes, Yondalla selbst, ein Auge auf Gwendolyn geworfen, hatte sie doch genau in ihrem Sinne gehandelt und das Halblingvolk ohne zu Zaudern geschützt. Es dauerte lange, bis sich Gwendolyn damals wirklich bewusst wurde, was dies alles hieß und erst ging das Leben auch für sie ganz normal weiter. Aber ihre Mutter, eine Priesterin Yondallas, erkannte wohl bald, dass ihre Tochter seit jenem Tag irgendwie anders war. Nicht nur, dass die anderen Kinder des Dorfes durchaus ein wenig bewundernd zu ihr aufblickten, selbst von so manchem Erwachsenen wurde ihr ein gewisser Respekt entgegen gebracht. Es schien, als ob die junge Gwendolyn das Wohlwollen Yondallas auf ihren Schultern hatte – eine große Bürde und Last, aber ebenso, wenn nicht sogar eher dies, eine große Ehre, vielleicht eine der größten, die sich so mancher Halbling vorstellen konnte.

Ein leichter Seufzer entfuhr Gwendolyn, als sie die Augen wieder öffnete, weiter den Apfelkuchen genüsslich essend. Doch auch dieses letzte Stück war bald aufgegessen, das letzte Essen, was sie von ihrer Mutter mit auf die Reise mitgenommen hatte. Es war schon irgendwie schmerzlich, darüber nachzudenken, dass dies das letzte Stück von ihrem Apfelkuchen war, und dass sie eine lange Zeit diesen nicht mehr essen würde. Sie leckte noch einmal über ihre frierenden Finger, legte ein paar Holzscheite nach, wickelte sich mehr in die Stoffdecken ein, rückte näher an das Feuer und legte sich dort etwas zur Seite. Während sie so dort lag und die Flammenzungen des Lagerfeuers ein fröhliches Schattenspiel mitten in der Kälte der Nacht zauberten, wunderte sich Gwendolyn jedoch, warum sie zwar traurig darüber war, das letzte Essen von zu Hause aufgegessen zu haben, aber dennoch nicht den Verlust verspürte, den sie erwartet hatte. Es war eines der letzten Dinge, die sie aus ihrem Dorf mitgenommen hatte. Und dennoch fühlte sie nun nicht wirklich das Heimweh, das sie erwartet hatte. Wieso nicht? Oder war dies vielleicht doch nicht das Einzige, was sie mitgenommen hatte? War da noch etwas?

Gwendolyns Finger umschlossen den Anhänger an ihrem Hals, den ihre Mutter ihr bei Gwendolyns Aufbruch mitgegeben hatte. Sie fuhr die Form des Schildes nach, spürte die Erhebung, die das Trinkhorn darstellte, in dem Früchte waren – das Zeichen Yondallas. Während sie das Symbol Yondallas mit ihren Fingern fast schon zärtlich entlang fuhr, und die Augen schloss, strömten Bilder auf sie ein. Wie eine Flut, wie ein Wasserfall, der nach unten stürzt, um sich in einem tieferen Flussbett wieder zu finden. Bilder von ihrem Dorf, von ihren Eltern, von ihrer Familie, von all jenen, die sie lieb gewonnen hatte, Bilder und Eindrücke, Feste, Geburtstage, Arbeit, Festessen mit ihrer Familie, Spiele mit ihren Freunden. All dies strömte auf die junge Hin ein und schien, sie zu durchfluten, gab ihr Geborgenheit. Sie spürte, dass dies alles mehr war, dass diese Bilder alle nicht nur in ihrer Erinnerung, sondern tief in ihr drinnen, in ihrem Herzen lebten.

„Und glaube mir, du wirst verstehen, was ich meine.“

Oh ja, Mutter. Ich glaube, ich verstehe jetzt, was du meinst. Ich verstehe, was du mir damals sagen wolltest, jene Lektion, die ich in unserem behüteten Dorf nur hören, aber nicht wirklich spüren konnte. Wir sind nie allein. Ich bin nie allein. Denn ich weiß genau, dass in diesem Moment nicht nur ein Halbling an mich denkt, sondern ein ganzes Dorf bei mir ist in Gedanken, im Herzen und mich in ihre Gebete einschließt. Ebenso, wie ihr an mich denkt, so denke ich an euch – jederzeit. Und so bin ich niemals allein. Das Geheimnis, warum wir Halblinge niemals allein sind, ist wirklich schwer zu beschreiben, fast unmöglich in Worte zu fassen, Mutter. Du hattest ja so recht. Es ist ein schönes Gefühl, ein Gefühl, das einen wärmt und selbst diese fröstelige Nacht überstehen lässt. Schwer zu beschreiben ist es, oh ja, aber müsste ich es beschreiben, so würde ich sagen, dass – auch wenn es vielleicht abgedroschen klingt – wir immer ein Stück Heimat in uns tragen, selbst wenn wir nichts außer unserer bloßen Haut hätten, selbst dann würden die Häuser, die Straßen, die Geschichten und die warmherzigen Seelen und Gesichter unseres Zuhauses, das so viel mehr ist als nur die Häuser, die Straßen und die Geschichten, immer auch in unserem Herzen wohnen, dort bei einem gastlichen Feuer sitzen und über uns wachen. Ja, so würde ich es versuchen zu beschreiben und würde dem dennoch nicht nahe kommen, denn es ist mehr. So viel mehr als ich es ausdrücken könnte. Danke, Mutter. Und danke dir ebenso, Mutter aller Halblinge. Dank euch für dieses Geschenk. Für das Geschenk der Heimat in unseren Herzen. Ich denke, ich weiß jetzt, warum Heimat für uns Halblinge immer so wichtig ist. Denn sie ist untrennbar mit uns verbunden und immerdar in uns eingebettet, kraftgebend, wärmespendend. Dank dir, Gesegnete. Dank dir, Yondalla.

Mit diesen Gedanken hatte aber der Schlaf die junge Hin bereits auch schon eingeholt. Das Lagerfeuer erstarb zwar nach einiger Zeit, da niemand mehr Holzscheite ins Feuer legte, aber Gwendolyn konnte schließlich nicht allein eine Feuerwache machen, um immer wieder neues Feuerholz nachzulegen. Es war zwar vielleicht keine angenehme Nacht und sie wachte zwischendurch auch immer wieder auf, wenn die Kälte begann, unter die Vielzahl an warmen Stoffdecken mit frostigen Fingern zu kriechen, aber auch diese Nacht musste vorbeigehen und am morgigen Tag würde sie wohl direkt eine Wegstation versuchen, aufzusuchen, um ihre durchgefrorenen Knochen zu wärmen. Aber so wie es schien, überstand die junge Halblingfrau die kalte Nacht ganz gut und hier draußen in der Kälte und in der Einsamkeit hatte sie vielleicht die erste Lektion gelernt. Eine jener Lektionen über die Kinder Yondallas, die sie nicht von ihrer Mutter durch Worte erlernen konnte, sondern eine von jenen, die man selbst erfahren muss und eine jener Lektionen, warum sie ihr Dorf verlassen hatte. Denn manches muss man wohl einfach gelebt haben, um es wirklich zu verstehen. Und so wie es schien, lagen wohl noch viele solcher Lektionen vor Gwendolyn...
Gwendolyn Lilienblatt: The Tenth Muse (Synchro: Yui Horie); Loss of Me FF9
Jeanne Boucherat: The Coquette (Synchro: Renée O'Connor); Eyes on me FF8
Araza'shasehnae: The Lady of Shalott (Synchro: Mira Furlan); Aerith's Theme FF7
Ranja: The Jungle Books (Synchro: Eliza Dushku); Cosmo Canyon FF7

Jamapi

Der dumpfe Klang von knarrendem Holz, das sich mühsam gegen Gewicht aufbäumt, riss Gwendolyn aus ihren Gedanken, während ihre kurzen Beine von der Brücke baumelten vor dem Gasthaus, in dem sie derzeit in Zelbross unterkam. Ihre sanften, aber dennoch zur Zeit tief nachdenklichen Augen blickten zu der Gestalt, die sich über die Brücke schleppte und ein leichtes Seufzen entglitt ihren Lippen, als sie es wieder sah – wieder eine jener düsteren Gestalten, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, das Gesicht, sofern man auch nur einen Hauch davon zu sehen bekam, mehr einem Toten denn einem Lebenden gleichend, bar jeder Emotion, bar jeder Freude, bar jeden Lebens – ausgelaugt, freudlos, trostlos, leblos, lieblos.

Bei Yondalla! Sind denn alle Menschen so? Gibt es denn kaum einen Menschen, der ein wenig mehr Gefühl zeigte? Da zeigten ja selbst zähnefletschende und eklig grüne Goblins mehr Gefühl als diese Langbeine. Yondalla? War es denn wirklich richtig, dass ich mich hier heraus wage?

Während die düstere Gestalt harten Schrittes fast zu schlurfen schien, Gwendolyn noch nicht einmal eine Blickes beachtend, blies ein frösteliger Wind der Klauen des Winters der jungen Halblingfrau eine Strähne ins Gesicht. Ja, nicht Alturiak war kalt und fröstelig, auch so mancher Klang der Seele war es, den sie hier manches Mal zu hören vermeinte, das Lied des Lebens schien aus manchen Augen gänzlich verbannt, verstummt und erloschen. Gwendolyns Augen folgten dem Menschen, wie dieser sich stumm und einsam in den Wald aufmachte. Einsamkeit. Es schien ihr fast, als ob man sie hier fast förmlich riechen konnte. Aber warum? Dies war doch sonst nicht die Art der Menschen, warum also hier? Wegen der Orks, die draußen lauerten?

Ein Krieg zieht hier auf, Küken, und du wirst keine Hilfe sein.

Sollte dies nicht eigentlich ein Grund sein, die Gemeinschaft zu suchen? War dies nicht, was Halblinge schon seit jeher unter der fürsorglichen Hand Yondallas so machten und war dies nicht auch der Grund, warum sie so einigem widerstehen konnten, auch wenn dieses dreimal so groß war, wie die kleinen Kurzbeiner? Tradition, Familie, Harmonie, Gemeinschaft, Freundschaft – dies sind die Tugenden für die Yondalla steht. Aber hatte Zelbross dies vergessen? Es war immerhin ein Menschendorf. Doch was war mit den armen Hin in Büttelheim, die von der Außenwelt abgeschottet und verbarrikadiert schienen? Das wusste die kleine Hin nicht, sie war ja erst vor kurzem hierher gekommen, aber ihr schien es fast. Jedes Mal erschien es ihr so, wenn sie irgendwo saß und sich aufmerksam umblickte und so manche Gestalt betrachtete, die ihre Wege hier zog. Aber diese Gestalten schienen auch Auswirkungen auf andere zu haben, andere zu verändern, sie mit sich zu reißen in einen Strudel, aus dem man nur schwer entkommen konnte und dieser Strudel der Einsamkeit und Verbitterung veränderte diese Leute – eine erschreckende Vorstellung für Gwendolyn.

Sie wand sich wieder dem kleinen, plätschernden Bach unter sich zu, blickte von der Mauer der Brücke herunter wie das eiskalte Blau von einem fast goldenen Schimmer der Sonne eingetaucht wurde und sprenkelnde Farben das Wasser zu etwas glänzendem, wunderschönem machten trotz der wintrigen Kälte, die ihm wohl derzeit innewohnte. Der Bach selbst war eiskalt und dennoch kämpfte die Sonne gegen diese Kälte an. Gwendolyn nahm ein kleines Steinchen, das neben ihr auf der Mauer lag und stieß es nachdenklich hinab. Mit einem ploppenden Geräusch traf der Stein auf, erzeugte Wellen, zauberte das Wasser mehr und mehr in fröhliches Sonnenfunkeln, doch dann fiel er herab, sank tiefer und tiefer, die Unruhe des Wasser begann zu versiegen, wurde stiller und stiller, während der Stein weiter und weiter sank, bis er aufkam, umgeben vom kalten Wasser des Baches. Die Wellen erstarben immer mehr. Was anfangs noch so schön und glitzernd aussah, wie der Tanz vieler kleiner Lichtfunken, war schon viel zu schnell erstorben und der Stein lag nun im Bach, erkaltend und fast hoffnungslos, dass er die Wärme der Sonne wiedersehen würde. Zwar erreichten die Sonnenstrahlen den Stein auch noch dort, aber kaum würde er die Wärme des Lichtes spüren inmitten des für den kleinen Stein sicherlich tosenden und viel zu großen Wasserlauf, der letzten Endes zwar nur ein Bach, aber dennoch für das kleine Steinchen doch viel mehr war. Und doch war es letztendlich nur eine Frage, wer den Stein wieder aus dem kalten Wasser nehmen würde, mehr verlangte es nicht, um ihn dort herauszuholen. Doch dazu musste jemand nach ihm greifen, was wohl kaum geschehen würde.

Die junge Hin hielt ihre haselnussbraunen Augen noch lange Zeit auf dem Stein, auf dem Bach, auf dem Plätschern, auf dem Funkeln der Sonne, spürte die Kälte eines fröhlichfrostigen Winterwindes an ihren Augen über ihr Haar streifen, während sie ihren Gedanken nachsann, die mehr wirr und konfus in der Gegend herum irrten, als zielstrebig irgendetwas suchten. Und dann...Küken. Wieder hörte sie das Wort wie einen scharfzüngigen Dolch durch ihre Gedanken zischen und einen Faden zerschneiden, der bisher mühsam einiges zusammen gehalten hatte. „Ich bin kein Küken! Und ich bin eine große Hilfe!“, platzte es dann auf einmal aus ihr heraus, sie zog ihre Beine hoch, stemmte sich mit ihren kleinen Händen ab und landete geschickt auf den Holzbrettern der Brücke. Sie griff nach dem Stein im Wasser und zeterte dann weiter „Ich bin kein Küken! Dieser ... Tinkle Flinkfuß!“ Sie schnaubte nochmals und stapfte den Weg entlang zu den Verteidigungsanlagen. „Dem werd ich's zeigen. Küken! Pah! Und der wird auch wieder gesund werden. Dafür werde ich schon sorgen, egal wie todessehnsüchtig der auch gerade ist. Das wäre doch gelacht.“ Oh ja, das wäre es doch, oder? Und selbst wenn hier fast jeder ein ersterbendes Gesicht ohne Gefühl hätte, das würde sie versuchen zu ändern und auf ihre Mit-Halblinge aufpassen, dass sie von dieser merkwürdigen Krankheit nicht angesteckt werden würden. Oh ja, das würde sie versuchen.

Doch, Gwendolyn, das dürfte schwerer werden als du gedacht hast. Glaube stark, glaube an Yondalla und ihre Kinder – und vielleicht, aber wirklich nur vielleicht, gelingt es dir dann, im Namen der Mutter wieder das zurückzubringen, was dir hier verloren scheint. Yondalla steh dir bei, Kleine.
Gwendolyn Lilienblatt: The Tenth Muse (Synchro: Yui Horie); Loss of Me FF9
Jeanne Boucherat: The Coquette (Synchro: Renée O'Connor); Eyes on me FF8
Araza'shasehnae: The Lady of Shalott (Synchro: Mira Furlan); Aerith's Theme FF7
Ranja: The Jungle Books (Synchro: Eliza Dushku); Cosmo Canyon FF7

Jamapi

...Es sind die Füße, die zum Tanzen, wie zum Stillstand bestimmt waren...

Der kalte Wind schlug gegen das Holz der Fenster und ein morriges Knarzen quoll durch den Schlafraum. Das silberne Mondlicht thronte als einzige Lichtquelle, die einige Betten in ein weißsilbriges Leuchten hüllte und brachte eine scheinbar, aber viel zu trügerische Ruhe in diesen frühen und kalten Monaten. Manches Mal schien es, als ob dieses Mondlicht zu tanzen schien, wenn sich flockige Wolken davor drängten. Doch dann erstarb dieser Tanz bald, endete und ließ nur Dunkelheit in das große Zimmer hinein, ebenso wie das Enden des Lebenstanzes Dunkelheit in unser Herz lässt, wenn wir beginnen am Ende dieses Tanzes die Melodie der Trauer zu hören - wenn wir den Verlust bemerken, wenn der Schmerz in unsere Seele kriecht und wir drohen, in einem Meer aus Einsamkeit und Stille zu ertrinken. So manchen ließ dieser schrecklich-schwarze Ozean nie mehr los. So mancher ertrank und wurde von den tosenden Wellen hinabgetaucht und liegt bis heute am Grunde der Verzweiflung. So mancher erlitt Schiffbruch, auch wenn das Schiff seines Glaubens noch so stark war. Doch jene, die wahrhaft glaubten, jenen gelang es manchmal mit einem kleinen Boot, sich an rettende Gestade zu schleppen. Doch niemals ließ diese Dunkelheit sie unverändert. Niemals ließ sie jemanden unberührt. Ob zum Guten oder zum Bösen, dies konnte man nie sagen. Und dennoch gingen jene, die nicht am Grund dieses tosenden und allesverschlingenden Meeres verloren gingen, gestärkt hinaus. Denn jene, denen dies nicht gelang, wurden zu ewigen Bewohnern in der Tiefe der Verzweiflung – einsam, gestrandet, verschollen, vergessen, verbittert, verbrannt. Das Ende des Tanzes.

...Es sind die Hände, die ihr Werk taten, die Welt zu verändern...

Die Worte des Kelemvor-Dieners hallten durch die dunklen Gewölbe der Erinnerung der jungen Hin, während diese vor ihrem Bett in der Taverne zum Kiemenschmeichler kniete, die Hände zusammengefaltet, die Augen zusammengepresst, fast schmerzhaft zusammengedrückt. Immer noch schmeckte sie ihre salzigen Tränen, immer noch spürte sie den Schmerz in ihren geröteten Augen, immer noch fühlte sie die Schnur, die um ihr Herz lag und sich immer mehr darum drückte. Und trotz ihrer zusammengedrückten Augen sah sie etwas, ein Farbenspiel aus Erinnerungen, eine Kaskade noch frischer Erinnerungen, die wie ein geschliffener Dolch in ihre Seele stach. Das kleine Mädchen, Tara. Ihr Weinen, als sie ihre Mutter aus den Augen verloren hatte. Und dann ihr Lächeln und ihr Strahlen, als sie sie wiedergefunden hatte. „Hat es sehr weh getan, als man dir deine Ohren abgeschnitten hatte?“ Ein Schluchzen schüttelte den kleinen Körper der Hin bei der Erinnerung an dieses Gespräch. Wie konnte so ein kleines Kind schon den Unterschied verstehen, den sie versucht hatte, ihr zu erklären? Wie konnte sie nur? So unschuldig, so klein, so jung, so lieb und nun so...

...Es ist das Herz in ihrer Brust, das für ihr kostbares Leben schlug...

Es war so schrecklich, so furchtbar. All das, was hier geschah. Nun hatte sie schon zum zweiten Mal in viel zu kurzer Zeit trauernd im Tempel gesessen. Sie, die nicht wirklich mit dem Tod zurecht kam. Sie, die Ihn-Der-Sein-Musste schon immer ein wenig skeptisch betrachtete, auch wenn sie wusste und ihre Mutter es ihr gelehrt hatte, dass Yondalla den Rat Urogalans sehr hoch einschätzte. Denn er war, er musste sein und er würde sie zurückführen in die Erde, auf dass sie in den Kreislauf einkehren mögen, um die Verbindung zwischen der Vergangenheit und der Zukunft zu schaffen, um jenen Boden zu geben, die danach kommen würden. Und dennoch war es so schwer – viel zu schwer für sie.

Erst der Verlobte Jessicas. Beide hatte sie nicht gekannt, ihn und sie nicht. Sie hatte nur den Schluss der Tragödie mit ansehen müssen und hatte es danach dann nicht mit ansehen können, wie scheinbar niemand sich um die Trauernde gekümmert hatte. Vielleicht hatten sie es sich einfach nicht getraut. Dabei war dies doch wichtig, so wichtig. Sie hatte Beide nicht gekannt, weder den Verstorbenen Nalo, noch seine trauernde Verlobte Jessica, aber dies war in solchen Momenten egal. Wichtig war, dass man nicht allein war, wichtig war, dass jemand da war. Und auch wenn es sie berührt hatte und sie auch zutiefst traurig gestimmt hatte, waren Beide ihr dennoch fremd und daher hatte sie die Kraft und Distanz dafür gehabt, der Hinterbliebenen vielleicht ein wenig eine Stütze zu sein.

Aber was heute geschehen war? Die arme, kleine Tara. Jenes kleine Mädchen, das sie noch zwei Tage zuvor wieder zu seiner Mutter gebracht hatte, da Tara diese aus den Augen verloren hatte. Es hatte sie so glücklich gemacht, als sie die Familie wieder zusammenführen konnte. Sie hatte das kleine Mädchen so sehr ins Herz geschlossen bei ihrer Unterhaltung, mit der sie versucht hatte, die Trauer des kleinen Mädchens, das durchaus größer gewesen war als die kleine Hin, abzulenken und ihr so Stärke zu geben. „Bist du auch acht Jahre?“ Wieder schüttelte ein aufkeimendes Schluchzen den Körper der kleinen Hin und mit leicht zitterndem Körper zog sie sich ihr kleines Leinennachthemd an und kletterte mit verweintem Gesicht in das für sie viel zu große Bett. Die arme Tara. Dieses noch so junge Leben, das noch so viel hätte erfahren können. Einfach ausgelöscht, zerstört, von...Wut. Wut keimte kurz in ihr auf, jedoch versuchte sie, dagegen anzukämpfen. Es half nichts, wenn sie wütend wurde und keinen klaren Kopf behielt. Es brachte nichts, wenn sie allein bei dem Gedanken wütend wurde, dass wohl Bane-Anhänger, Diener dieses schrecklichen Gottes der Menschen, diese arme Kleine getötet hatten, wohl um ihren bösartigen, widerwärtigen, grausamen Gott zu ehren. Nein, dies half nichts, wenn sie wütend wurde, zumal es nur so schien, aber...vielleicht schien es nur so.

...Es ist das Gesicht, das der Welt entgegensah und der Welt begegnete...

Dies durfte einfach nicht mehr geschehen. Sie hatte der toten Tara geschworen, dass sie alles in ihrer Macht stehende tun würde, damit dies nicht noch einmal geschehen würde. Sie hatte gedacht, dass zuerst es nur wichtig wäre, Büttelheim in Sicherheit zu wissen, da die Hin dort ihre zuerst-Schutzbefohlenen wären. Doch nun hatte sie neue Schutzbefohlene. Die Hin in Büttelheim würden wohl vorerst ohne sie zurecht kommen, ansonsten hätten sie sich schon bei ihr gemeldet. Sie würde ihnen auch helfen, sobald diese sich bei ihr melden würden. Doch vielleicht könnte sie Büttelheim ebenso helfen, wenn sie nun hier helfen würde, denn hier war Schutz von Nöten, wie sie gesehen hatte. Wenn es den Langbeinern nicht selbst gelang, hier Schutz darzustellen, dann würde sie ihnen zeigen, dass sie kein Küken war, wie sie Tinkle anfangs bezeichnet hatte. Nein, sie würde ihnen auch zeigen, dass Hin nicht unterschätzt werden sollten. Und sie würde ihnen zeigen, was es bedeutete, zu schützen, auch die Kleinen, vor allem die Kleinen. Natürlich war es nicht einfach für die Langbeiner, es gab wirklich einige, die ihr Bestes taten und gaben, aber...vielleicht gelingt einem manches nur aus einem bestimmten Blickwinkel. Vielleicht gelingt einem manches nur mit einer gewissen Größe. Und vielleicht gelang einem manches nur, wenn es einem an körperlicher Größe mangelte. Vielleicht war dies einfach wichtig, um anderes zu erkennen, was einem mit langen Beinen nicht auffiel. Die Welt einer Hin ist eben doch eine andere als die der größeren Völker. Und nun würde sie versuchen, die Welt der Langbeiner aus ihrem eigenen Hin-Blickwinkel zu sehen und zu sehen, wo und wie sie schützen konnte, was des Schutzes bedurfte und was es wert war, zu schützen.

...Unser Sein ist ein Nehmen. Unser Sein ist ein Geben...

Ja, der Krieg war aufgezogen, so wie es Tinkle gesagt hatte. Und auch ihn hatte sie schon seit Wochen nicht mehr gesehen. War er wirklich gestorben, wie er es gefühlt hatte? Was konnte man nur tun? Was konnte man nur dagegen machen? Ein Krieg. Orks, Untote, Bane-Kultisten – und sie eine kleine Hin mittendrin, jenseits ihrer Heimat, unter ach so vielen Langbeinern. Kaum ein Hin hier in ihrer Nähe. Büttelheim nicht erreichbar. Die Dunkelheit zum Greifen nahe. Und dennoch wusste Gwendolyn, dass sie nicht aufgeben durfte. Nein, dafür war sie nicht ausgezogen. Nein, sie war ausgezogen, um sich zu beweisen, um zu helfen, um nach den Tugenden Yondallas und ihrer Kinder zu leben. Sie war nicht ausgezogen, um gleich schlapp zu machen und aufzugeben. Nein. Sie war ausgezogen, um anderen ein Vorbild zu sein. Ein Vorbild und eine Inspiration, nach den Tugenden Yondallas und ihrer Kinder zu leben. Familie, Tradition, Kinder, Fruchtbarkeit, Großzügigkeit, Schutz, Sicherheit, Weisheit, Schöpfung, die Hin und Führung. Nein, sie würde nicht aufgeben. Dies waren die Tugenden Yondallas. Dies war, wofür sie eintreten wollte, wofür sie kämpfen wollte. Dies war, was ihr anvertraut war und dafür würde sie einstehen. Mit allem, was sie war, was sie ist und was sie jemals sein würde. Sie war eine Kriegerin Yondallas, sie lebte dafür, um zu schützen und diese Tugenden zu ehren. Und wehe denen, die diese Tugenden schändeten. Wehe jenen, die es wagten, sie gering zu schätzen. Wehe jenen, die es wagten, diese Tugenden zu unterschätzen. Und wehe jenen, die es wagen würden, diese kleine Hin zu unterschätzen.

Die Worte des Diener Kelemvors waren die ganze Zeit steter Begleiter zu ihren Gedanken, wenn auch eher im Hintergrund, wie das Rauschen eines fernen Flusses, wie die Geräusche eines fernen Wasserfalls. Aber dennoch wirkten sie beruhigend in Gwendolyns Gedanken, wie Balsam für die Seele, selbst für die kleine Hin, zu deren Pantheon Kelemvor nicht gehörte.

...Ein Nehmen. Ein Geben. Ich bin. Ihr seid...

Noch eine ganze Weile konnte man aus dem Bett der kleinen Hin in der Taverne ein leichtes Schluchzen hören, doch mittlerweile hörte es sich nicht mehr zuschnürend und erstickend an, nein, langsam aber immer mehr hörte es sich befreiend an, als ob mit eben jenen Tränchen, die die Wangen der jungen Hin hinunter kullerten, die Fesseln, die sich um ihr Herz gelegt hatten, gelockert und schließlich hinfort gespült wurden. Und nach einiger Zeit konnte man zwischen dem Schluchzen ein leises, nur sehr schwer hörbares Gebet an Yondalla vernehmen, das immer mehr an Festigkeit hinzugewann, immer sicherer wurde, immer leidenschaftlicher, immer gewisser.

...Namen verblassen vor den Wahrheiten hinter ihnen...

Manche Wahrheit kann schmerzend für das Herz sein, manchmal kann das Leben schmerzend für das Herz sein, doch nichts war ehrlicher und reiner, als ein Herz, das diesen Schmerz überwindet, übersteht und sich ihm entgegenstellt. Vor manchem, reinem Herz verblassen selbst die schmerzhaftesten Wahrheiten und vergehen, hören auf, so schmerzhaft zu sein. Denn manches Herz hat die Kraft in nie gekanntem Licht zu strahlen und Licht nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere zu spenden. Manches Herz ist dazu fähig, egal wie klein es ist...
Gwendolyn Lilienblatt: The Tenth Muse (Synchro: Yui Horie); Loss of Me FF9
Jeanne Boucherat: The Coquette (Synchro: Renée O'Connor); Eyes on me FF8
Araza'shasehnae: The Lady of Shalott (Synchro: Mira Furlan); Aerith's Theme FF7
Ranja: The Jungle Books (Synchro: Eliza Dushku); Cosmo Canyon FF7

Jamapi

Unruhig wälzte sich Gwendolyn in dem für sie riesigen Bett im Gemeinschaftsschlafsaal des Kiemenschmeichlers. Es war zumindest in dieser Hinsicht angenehm für die kleine Hin, dass die Menschen so große Betten bauten, denn genau diesen Platz brauchte sie gerade, so unruhig wälzte sie sich immer wieder von einer Seite auf die andere Seite, wälzte sich, die Bettdecke fest umschlungen, als ob sie diese nicht loslassen wollte und wenn jemand diese der kleinen Hin hätte entwenden wollen, hätte er wirklich gewisse Schwierigkeiten gehabt, auch wenn sie wirklich alles andere als stark war. Nein, sie war sogar sehr schwach, selbst für eine Hin – aber besser sollte man wohl gerade diese kleine Hin nicht unterschätzen. Gwendolyn klammerte sich an die Bettdecke, drehte sich unruhig um, während ein unruhiger Schlaf sie mit nebligen Klauen gefangen hielt. Und in diesem Nebel aus unruhigem Alb huschten Fetzen einer Unterhaltung hin und her, sprangen von einer Nische der Erinnerung in die nächste, Deckung suchend und dann wieder aufspringend, Fetzen einer Unterhaltung, an die sie sich noch zu gut erinnerte und auch dies wusste wohl jener Alb, der neckisch, vielleicht sogar schon höhnisch lachend auf ihr saß und der ihr immer wieder neue unruhige Träume einhauchte, unruhige Gedanken anstachelte, die Ruhe in ihrem Herzen ihr stahl.

...Nur ein weiterer Hin...

Aus den milchig-grauen Nebelschwaden der nächtlichen Traumgestade schälten sich ungenaue Konturen, klein, nicht sehr viel größer als Gwendolyn selbst und eine Stimme so vertraut mittlerweile. Neben dieser Gestalt, fast genauso hoch die Umrisse eines Wolfes. Unheimlichen Geistern gleich wallte die Stimme durch graue Wolken, schnitt durch die Luft wie sengende Messer, die Stimme gallopierte suchend durch den Schaum aus Albtraum, das Ziel suchend und – dann – dort, das Ziel nicht verfehlend.

...Für dich bin ich doch nur ein weiterer Hin...

Nein! Nein! Warte! Wieso? Was ist denn los? Du musst doch nicht gehen. Ich will doch nicht, dass du gehst. Ich will nicht, dass ihr beide geht. Ich mache mir Sorgen, wenn ihr im Wald seid. Ich will nicht, dass du und Tolossal in den Wald geht, wo es gefährlich ist. Ich mache mir Sorgen um euch. Im Wald kann ich euch schlecht beschützen, vor allem, wenn ich auch auf andere Hin aufpassen muss. Ich muss dich doch beschützen, du bist doch auch ein Hin.

Die Schritte der einen Gestalt verharrten, sie drehte sich langsam um und mit verletzter Stimme hörte sie wieder geschliffene Dolche, die in sie bohrten und die Wunde eines schlechten Gewissens hinterließen. Eiternd tropfte ein weiterer Satz aus den Trümmern, die jene Dolche hinterließen.

...Komm, Tolossal, wir wollen Frau Lilienblatt nicht im Weg stehen, wenn sie alle Hin beschützen will...

Nein, nein! Ihr steht nicht im Weg. Ihr seid doch der Weg, den ich gehen will, ihr gehört dazu. Ich habe es geschworen, alle Hin zu beschützen und dazu gehörst auch du. Du stehst sicherlich nicht im Weg – und Tolossal auch nicht. Hörst du? Hörst du mich? Warum bist du so merkwürdig in letzter Zeit? Warum? Sag es doch...

Nebelschwaden umtanzten die Konturen der beiden Gestalten, als die eine Gestalt resignierend den Kopf sank, diesen kraftlos schüttelte und sich umdrehte – lachend umschloss der Mantel aus grauem altptraumhaften Nebel die beiden Gestalten, umschloss sie immer mehr. Nein! Nicht! Geh nicht weg! Abermals schüttelte die Gestalt den Kopf, tauchte ein in Grau, wurde von diesem fortgetrieben, verscheucht, aufgesogen, aufgezehrt, aufgebraucht, verbraucht, vertrieben. Letzte Worte hingen wie letzte Wassertropfen in einer austrocknenden Wüste in der Luft, schmiegten sich bizarr an die spitzen Ohren der kleinen Hin, die verloren in ihrer Traumwelt stand, das kleine Händchen ausgestreckt in die Richtung, in die jene Gestalt verschwunden war, doch alles, was ihr kleines Händchen umfasste war ein kalter, grauer und leerer Nebelmantel, nur eine Erinnerung der Gestalt, die vorher dort stand. Nur das Streichen sanfter, aber verletzter Worte, die ihr spitzes Ohr umschmiegten, konnte sie hören - verletzt und dennoch sanft.

...Du verstehst es nicht, du verstehst es einfach nicht...

„Nein! Toladin!“, mit einem Schrei auf den Lippen wachte Gwendolyn auf und schüttelte den Alb nur mühsam von sich, langsam und nur sehr schwer wieder in diese Welt kommend. Scheinbar hatte sie niemanden sonst im Raum geweckt oder zumindest gab niemand dies zu erkennen. Das Pochen ihres Herzens klang wie die Kriegstrommeln der Goblins in ihre kleinen Ohren, ein Wummern und Schlagen. Obwohl es still in diesem Raum war, abgesehen von manch schnarchendem Langbein, waren die Geräusche, die Gwendolyn hörte überlaut, dieses Dröhnen, dieses Kriegsgeheul, dieses Jammern, das ihr vom Herzen in ihrer Brust bis in den Kopf schlug und wuchtig wie ein Streitkolben gegen ihre Stirn schlug.

Der Atem der kleinen Hin ging schnell und stoßweise, während sie sich hastig im Bett aufsetzte, sich an den Kopf fasste und ein wenig verloren inmitten des viel zu großen Bettes mit der viel zu großen Bettdecke und dem doch recht großen Kopfkissen wirkte. Ganz ruhig, Gwendolyn, beruhig' dich. Nur ein...Traum. Nur ein Traum. Immer wieder versuchte sie, sich mit diesen Gedanken zu beruhigen, doch das Wummern und Pochen und Schlagen bis hinauf in ihren Kopf nahm nicht ab. Nur ein Traum. Sehr langsam schwand das Kriegsgetrommel in ihrem Körper, auch wenn es durchaus immer noch hörbar war, mittlerweile jedoch eher wie ein Flüstern aus einem fernen Land. Wieso dachte sie nur so häufig an dieses Gespräch? Wieso ließ es sie einfach nicht mehr los? Und wieso hatte sie das Gefühl, dass etwas nicht richtig lief? Jetzt beschäftigte es sie sogar bis in ihre Träume hinein.

...Ach, wir sagen einfach, du gehörst zu mir...

Sie lächelte leicht, als sie sich an Toladins Worte erinnerte. Ja, sie gehörten zusammen, wie alle Hin. Oder doch irgendwie auch anders? War das, was er gemeint hatte? Aber durfte sie überhaupt einen Unterschied machen? Sollten nicht alle Hin für sie gleich wichtig sein? Schließlich war sie eine Kriegerin Yondallas, sollte die Kinder Yondallas, die Hin, beschützen. Ja, dazu gehörte auch er, natürlich. Aber dennoch wurde ihr so langsam bewusst, dass sie sich doch mehr Sorgen um ihn machte als um Andere. Und deswegen hatte sie ein schlechtes Gewissen, denn sie hatte das Gefühl, dass dies einfach nicht richtig war. Sie hatte ein schlechtes Gewissen dem Volk der Hin an sich gegenüber.

...Dafür...bin ich...mit dir...irgendwie verbunden...

Ja, das waren sie – irgendwie. Es war merkwürdig, aber dieses Gefühl hatte sie auch und das obwohl sie doch so vieles unterschied. Er liebte die Ruhe des Waldes, die Natur, kannte die Natur – sie hingegen liebte das Dorfleben, die Gemeinschaft anderer Hin, so gut wie er kannte sie sich bei weitem nicht aus in der Natur. Ihm war das Gleichgewicht wichtig, ihr war es wichtig, Güte zu zeigen und zu helfen, Gutes zu tun, egal ob das Gleichgewicht damit gefährdet war. Gwendolyn legte sich wieder langsam in das Bett und deckte sich zu.

Aber was machte sie sich überhaupt Gedanken? Es durfte und konnte ja sowieso nicht sein. Sie musste Vorbild sein, sie wollte andere Leiten, sie wollte für andere Hin der Schild sein, der sie beschützte, wollte für andere Hin das Heim sein, das ihnen Geborgenheit gab. Sie wollte geben - nur gab man nicht, wenn man nahm und daher durfte sie nicht nehmen – zumindest dachte die kleine Hin dies.

...Wenn Büttelheim mich hält oder es einen anderen Grund gibt - doch wenn ich nicht gebraucht werde...

Dieser Satz wehte noch wie die Spinnwebe einer Erinnerung durch ihre Gedanken, während sie versuchte, einzuschlafen. Doch, du wirst gebraucht. Mit Sicherheit wirst du gebraucht. Aber woher konnte sie wissen, was Büttelheim brauchte und was nicht? Machte sie sich nicht etwas vor, wenn sie einfach sagte, dass er mit Sicherheit dort gebraucht werden würde? War es nicht vielleicht etwas Anderes, was sie damit sagen wollte, auch wenn sie es sich selbst nicht eingestand? Was, wenn er wirklich gehen würde? Nein, das wollte sie nicht. Er sollte nicht gehen.

„Was soll ich denn nur machen, Mutter? Was soll ich nur machen?“, murmelte die kleine Hin vor sich her und wälzte sich noch eine ganze Zeit lang wieder weiter in dem riesigen Bett. Welche Mutter sie gemeint hatte, das wusste selbst Gwendolyn wohl nicht. Yondalla, die Mutter der Hin? Oder ihre eigene Mutter? Aber war das wirklich wichtig, welche sie meinte? Sie musste selbst diese Lektion lernen und beide Mütter, sowohl ihre eigene, wie auch die große Mutter, konnten vorerst nicht mehr tun, als in ihrem Herzen zu warten und auszuharren. Gwendolyn bat zwar um Rat, aber sie bekam keinen, nur Stille – denn eigentlich wusste Gwendolyn alles, was sie wissen brauchte und dieses Wissen wartete in ihrem Herzen, harrte der Erkenntnis. Manches Mal, muss man sich selbst entscheiden, auf sich allein gestellt, manche Lektionen kann man nur lernen, wenn man sie erfährt, wenn man sie lebt. Und war das nicht genau der Grund, warum die kleine Hin losgezogen war, um ihre eigenen Erfahrungen zu machen? Jetzt, kleine Gwendolyn, jetzt harre, horche in dein Herz und dann wirst du auch diese neue Lektion bestehen. Horche, lausche, erinnere dich an die Ideale deiner großen Mutter. Harre, horche, lausche und – glaube...spürst du nicht, was dein Herz dir alles sagen will? Vertrau auf dein Gefühl...

„Was soll ich machen, Mutter?"
Gwendolyn Lilienblatt: The Tenth Muse (Synchro: Yui Horie); Loss of Me FF9
Jeanne Boucherat: The Coquette (Synchro: Renée O'Connor); Eyes on me FF8
Araza'shasehnae: The Lady of Shalott (Synchro: Mira Furlan); Aerith's Theme FF7
Ranja: The Jungle Books (Synchro: Eliza Dushku); Cosmo Canyon FF7

Jamapi

...„Sieh mal, der Fels hier. Guck nur, wie er sich tief in das Gras gebohrt hat, wie er darunter alles Leben zermalmt hat. Gwen - es tut mir leid, du bist zu spät ihn auf zuhalten. Aber sag mal...da ist ja noch einer, der wird vielleicht auch bald runter kippen. Willst du jetzt hier stehen und warten, dass er es tut?“...
...„Ich muss.“...
...„Und wenn du es versuchst, dann tötest du dich mit. Er wird dich zermalmen!“...
...„Mich, ja...mich vielleicht, aber...das ist unwichtig, ob er mich zermalmen würde.“...
...„Du kannst nicht alles aufhalten.“...
...„Ich muss!“...


Fast schon unheilverkündend lag der Mantel der Nacht über Zelbross. Manches Mal schien dieser Mantel aus gütigem Dunkel zu bestehen, die Klänge der Trommeln des Krieges abdämpfend und vorrübergehende Geborgenheit zu geben – aber auch eine falsche Sicherheit. Doch manchmal, schien der Mantel der Nacht von sternenklarem Himmel durchlöchert. Aber es waren nicht nur die Trommeln des Krieges, die von außen auf das Dorf einhämmerten, es waren auch die Dolche der Verzweiflung, die in den eigenen Reihen Wunden schlugen. Manchmal waren diese Wunden ungesehen, manchmal so tückisch, dass man sie erst kurz vor seinem Dahinscheiden mitbekam, manchmal wusste man noch nicht einmal, dass es ausgerechnet diese Wunde war, die dazu geführt hatte. Doch dann, in anderen Momenten, machten sich diese Wunden bemerkbar, sie schmerzten und sie eiterten. In dieser Nacht war ein solcher Augenblick, in dem selbst der alles verhüllende und manchmal gnädige Mantel aus traurigem Schwarz und dunkler Stille selbst diesen Schmerz nicht überdecken konnte. In dieser Nacht drang ein Schrei des Schmerzes durch den Mantel der Stille, aufschreiend, flehend und dennoch...befreiend?

„Yondallaaaaa...“, ein Flehen, ein Hilfesuchen, gerichtet an ihre große Mutter, doch Gwendolyn saß schluchzend auf ihren Knien, ihr kleines Gesicht in ihren noch kleineren Händchen vergrabend. „Neeein!“ Ein Schluchzen durchzuckte ihren kleinen Körper, der in dieser Position um so erbärmlicher und kleiner wirkte, um so hilfloser, wie ein kleines Kind, das seine Mutter verloren hat.

Die kleine Hin vergrub ihr Gesicht in ihren Händen, presste so stark gegen ihren Augen mit den Händen, in der Hoffnung, Tränen zurück zu halten, doch dies war ebenso vergeblich, wie den Sand der Zeit mit den eigenen Händen aufzuhalten. Und so erzeugte der Druck auf ihre Augen nur ein Kaleidoskop bunter Farben und Formen, die sich zu ihren Erinnerungen mischten, zu ihrer aufgewühlten Seele. Miranda! Wieso? Wieso nur? Wieso nur konnte ich nicht zu dir durchdringen? Wieso konnte ich dich nicht zur Vernunft bringen? Nur ganz leise, irgendwo jenseits der bunten und traurigen Farben, jenseits des Schmerzes, der Verzweiflung und der Hilflosigkeit hörte sie die entfernte, wispernde Stimme Mirandas. Verzeih mir, Gwen.

Irgendwo, weit entfernt in der wirklichen Welt, irgendwo außerhalb der Verzweiflung, die die kleine Hin spürte, hörte sie nur die kalte Stimme des Menschen: „Ich suche niemanden mehr. Das wars. Ich werde jetzt noch etwas trinken gehn und mich dann der Miliz stellen.“ Es war ein Wunder, dass diese Worte überhaupt bis in Gwendolyns kleine Welt gelangten, schien die wirkliche Welt doch so weit entfernt in diesem Moment. Erst ihr Name rief sie langsam wieder zurück, nahm sie mit fester Hand, zerrte sie schon fast in die schmerzhafte wirkliche Welt zurück, in der es kein Verstecken hinter den eigenen Händen gab: „Gwen?“

Gwendolyns Augen waren mit Tränen überflutet, wie ein Bach, klein, aber dennoch stetig fließend. Sie hob ihren Kopf langsam an, einer Ewigkeit für sie scheinend, blickte zu dem Menschen und wisperte mit zittriger, ja, schon fast flehender Stimme: „Es..es tut mir leid...es...es tut mir so leid.“

„Gwen, mir muss es leid tun“, der Mensch stand fassungslos dort. Dann murmelte er eher leise und überraschend gleichgültig zu sich: „Sie werden mich Hängen, denke ich.“ Sein Blick ging wieder zu Gwendolyn: „Bitte tu mir den Gefallen und schau nach ihr, ja?“

„Das...das werde ich, ich...ich muss, wenn...wenn ich vor meine...vor meine Göttin überhaupt noch erhobenen Hauptes treten will. Iich...ich...das wollte ich alles nicht...das...das wollte ich alles wirklich nicht...das...das müsst ihr mir glauben“, flehend blickte sie zu dem großen Menschen hinauf, ihre Augen nass wie die See, ihre Seele schmerzend. „Ich...ich wollte...sie doch nur beschützen.“

Der Mensch lächelte leicht, es wirkte irgendwie ungewohnt, so häufig schien es, dass er eine versteinerte Miene aufsetzte, dass dieses Lächeln einfach nur ungewohnt wirkte: „Wir sehen uns wohl nicht wieder.“

„Aber...was...was ist mit euch?“, die kleine Hin rappelte sich auf.

„Ich... Ich werde mich jetzt betrinken. Dann stell ich mich der Miliz.“

„Aber...wieso...der Miliz stellen?“, man konnte in ihrer Stimme eine Mischung aus Verzweiflung, Unverständnis und Naivität erkennen.

Der Mensch zuckte mit den Schultern und sagte mit matter Stimme: „Was bin ich jetzt noch wert... Ich habe immer gesagt, dass ich am Galgen ende.“

„Aber...!“, Gwendolyn tappste vorsichtig dem Menschen hinterher, der sich bereits den Hügel hinab zum Gehen aufgemacht hatte und in Richtung der Taverne schlurfte. Es machte fast den Eindruck auf Gwendolyn, als ob etwas zerbrochen wäre in diesem Mann. „Wieso...Galgen?“

„Glaubst du ich verdiene mein Gold als Schmied, Gwen?“

„Ich...ich weiß es nicht.“

„Ich hab es doch schon so oft gesagt. Ich habe genug Mist gebaut. Es reicht sicherlich für drei Galgen.“

Die kleine Hin holte tief Luft, während sie mit kleinen Schritten dem Menschen hinterher tappste: „Es...tut mir leid, was geschehen ist und ich...weiß nicht, wer ihr seid oder was ihr getan habt, aber ich verspreche euch, dass ich sie finden werde und...ich denke, dass...es nie zu spät ist, zu bereuen, auch...wenn es wichtig ist, für...seine Taten einzustehen, denn auch Reue kann...nicht alles gut machen.“

Der Mann hielt inne, drehte sich nochmals um, ein tröstendes Lächeln lag auf seinen Lippen: „Es muss euch nicht leid tun... Ich werde nur ein Possenstück zu einem würdigen Ende bringen. Bitte sorgt nur dafür, dass sie es nicht zufrüh erfährt... Sie könnte mir meinen letzten Auftritt kaputt machen. Machts gut Gwen. Passt mir auf sie auf.“

„Ich...ich kann aber keinen Hin belügen, ich...ich darf nicht.“

„Sie wird in Ärger geraten wenn du es nicht tust, machs gut.“

Gwendolyn zog scharf die Luft ein: „Ich...wartet“. Sie beschleunigte ihre kleinen Schritte, um mit den für sie viel zu groß scheinenden Schritte des Menschen mithalten zu können.

„Was denn noch?“

Die kleine Hin stellte sich vor den Menschen und blickte zu ihm auf, umfasste dann etwas, das um ihren Hals hing, zog es über ihren Kopf und umschloss es mit ihrem kleinen Händchen: „Reicht mir eure Hand.“ Sie nahm die Hand des Menschen und legte das, was sie in der Hand gehalten hatte, auf seine Hand. Es fühlte sich metallisch an, wie eine Kette, ein Anhänger. Sie blickte zu ihm mit immer noch verweinten Augen auf, auch wenn mittlerweile der Schmerz, der in ihrer Seele vorher gehaust hatte, Platz in ihren Augen für eine gewisse Traurigkeit, aber auch Sanftheit gemacht hatte und mit genau jener sanften Stimme sprach sie dann: „Es ist nie ein Possenstück, wenn jemand durch die Güte Yondallas auf den rechten Weg geführt wird und für seine Taten einstehen will. Habt Dank, dass ihr auf sie aufgepasst habt, habt Dank, dass ihr uns Hin beachtet habt."

Der Mensch blickte auf das, was Gwendolyn in seine Hand gelegt hatte und das nun, nachdem sie ihre Hand weggezogen hatte, dort zum Vorschein gekommen war. Es war ein Anhänger. Ein Anhänger mit dem Symbol eines Schildes, auf dem ein Trinkhorn, gefüllt mit Obst zu sehen war – das Zeichen Yondallas, der Mutter der Halblinge. Es war jener Anhänger, den Gwendolyn von ihrer Mutter auf ihre Reise mitgegeben bekommen hatte – das letzte Andenken an zu Hause, das nicht in ihrem Herzen wohnte. Gwendolyn wusste, dass sie ihre Göttin in ihrem Herzen trug, dass sie die Kraft hatte, vorerst ohne dieses die nächste Zeit zu überstehen, bis man ihr in Büttelheim oder vielleicht woanders ein Neues machen konnte. Aber manchmal muss man Anderen etwas geben, an das man sich halten kann. Manchmal muss es etwas sein, das man umfassen kann - und nur dann lernt man, es auch in seinem Herz zu tragen.

„Macht es gut Gwen. Miranda hat euch verdient. Wir sehen uns nicht wieder“, der Mensch machte sich auf zum Gehen, während Gwendolyn ihm traurig hinterher blickte.

Gwendolyn schluckte schwer: „Wir werden uns wiedersehen. Irgendwann. Ich werde für euch beten und Yondalla wird ihre schützende Hand über euch halten. Habt keine Angst, sie wird euch leiten, denn ihr seid von den Hin berührt worden und gehört dazu.“

Ein trauriges Schmunzeln bildete sich auf dem Gesicht des Menschen: „Ich würde mich freuen wenn ihr mir am Galgen noch einmal zuwinken würdet.“

Die kleine Hin nickte nur stumm und traurig und setzte dann noch nach, als der Mensch bereits am Verschwinden im Mantel der Nacht war: „Und habt Dank, dass ihr uns anscheinend schätzen gelernt habt.“

„Lieben gelernt, Gwen, lieben gelernt...“, waren die letzten Worte, die sie von ihm hörte, als er sich aufmachte, um das zu tun, was er für richtig hielt. Gwendolyn schluckte schwer, während sie den verschwimmenden Konturen des Mannes hinterherblickte und salziges Nass wieder ihre Augen befeuchtete und kleine Halblingstränen ihr Gesicht herunterliefen.

„Ich werde für euch beten, habt keine Angst – ich denke, ihr tut das Richtige und für das Richtige ist es nie zu spät. Und ich werde Miranda finden, das verspreche ich euch. Ich werde nicht zu spät sein. Ich darf nicht zu spät sein. Nein, niemals wieder. Yondalla stehe uns allen bei.“

...„Du hast immer solche Angst vor dem zu spät.“...
...“Ja! Und weißt du warum? Weil ich bereits einmal zu spät war. Der Hin, von dem ich dir erzählt habe, er sagte mir, dass er nicht mehr lange leben würde. Ich versuchte alles, um ihn zu beschützen, um ihn wieder auf die richtige Bahn zurückzubringen. Doch dann sah ich ihn plötzlich nicht mehr. Kurz nachdem er sagte, dass er wohl bald sterben würde. Und...dieser Todessehnsucht konnte ich wohl nicht entgegen wirken. Ich...war zu spät. Das darf nicht wieder passieren. Die Hin müssen beschützt werden.“...
Gwendolyn Lilienblatt: The Tenth Muse (Synchro: Yui Horie); Loss of Me FF9
Jeanne Boucherat: The Coquette (Synchro: Renée O'Connor); Eyes on me FF8
Araza'shasehnae: The Lady of Shalott (Synchro: Mira Furlan); Aerith's Theme FF7
Ranja: The Jungle Books (Synchro: Eliza Dushku); Cosmo Canyon FF7

Jamapi

Lachen. Fröhliches, ausgelassenes Lachen drang durch die Dunkelheit. Viele fröhliche Kehlen stimmten in ein geselliges Lied ein, eine alte Hin-Weise und mit den warmen Tönen der Gastfreundlichkeit tauchten Farben aus dem Nichts, bildeten sich zu schummrigen Bildern, unklar, unwirklich, wie hinter Schaum, wie hinter einem undeutlichen Nebel, der selbst jenes alte Liedgut abdämpfte und nur dumpf aus den Farben und Bildern hervortreten ließ. So ist der Krug am Morgen gefüllt und am Tag und in der Nacht auf ewig. So lasset uns Trinken am Feuer z'sammen, es ist ein lustig Leben. Hier, hier in Büttelheim, lasset uns trinken und feiern und singen und einfach nur hier leben. Flötentöne zerrten sich mühsam und ächzend durch den Schleier und wurden der kleinen Hin gewahr, die auf der anderen Seite eines Flusses stand. Zielsicher steuerten sie auf das kleine Wesen zu, das allein und verlassen dort stand und dennoch mit einem seligen Lächeln über den Fluss hinüber blickte, glücklich dem Gesang lauschend, auch wenn sie nicht dort sein konnte.

Die Stille und Ruhe, die Freude, die Geselligkeit all das machte sie glücklich, erfüllte sie mit tiefster Zufriedenheit.
Lasset uns preisen und singen und tanzen und scherzen, bis dass der Morgen graut und bis zum nächsten Mor-gen. Ein leicht kühler Wind drang vom Westen langsam her, umspielte das dunkelbraune Haar der kleinen Hin, deren Blick in diese Richtung wanderte. Wie in einem Kontrast, der nicht größer sein könnte, türmte sich dort ein Wald auf, groß, tief und dunkel. Schwarz. Keine Nuance an Grün, nur schwarz und finster. Wieder wehte der Wind ihr entgegen und es schien fast, wie ein unangenehmes Ausatmen dieses Gebildes vor ihr, das sich hoch hinauf in den Himmel türmte und fast schon drohte, die herrliche Sonne zu verdecken. Finster und unheilschwanger atmete der Wald ein und aus, ließ einen Odem unangenehm brackig riechenden Wassers dem Dorf entgegen strömen. Gwendolyn schüttelte sich, als ein leichtes Schaudern ihren Körper durchflutete, woraufhin sie ruckartig ihren Blick wieder von dem Monstrum löste, das sich waldig und forstig dort aufbaute, wartete, lauerte, als ob es nur nach der passenden Gelegenheit suchte, sein dunkles Maul an Bäumen aufzureißen und das friedliche Dörfchen vor ihr zu verschlingen. Angewidert kehrte sie ihren Blick vom Wald. Nein, das würde nicht geschehen. Nicht solange sie hier stand, wachend auf der anderen Seite des Flusses. So hatte sie alles im Überblick, so konnte sie sehen, wenn Gefahr drohte. Und dennoch war es einsam hier, hier so nah dem Dorf und doch davon getrennt.

Der Blick der kleinen Hin wanderte gen Osten, dort wo die Sonne am morgen sich strahlend, leuchtend und lebensspendend über den Horizont hob – oder heben sollte. Drohend starrten ihr riesige Gebäude, eine Festung aus dunklem Stein entgegen, finstere Gesichter wie in den Stein der Mauer gewoben, wachend, starrend, verharrend, wartend und mit mordlüsternen und neidischen Blicken jenem ach so seligen Flötenspiel entgegen blickend.
So ist's uns einfach einerlei, solange wir sind zusammen. Denn das ist ihr Segen, den wir empfingen und Segen es ist fürwahr. Zusammen und in Gemeinschaft, Familienbande die schützen und nicht hindern, Freundschaft, die hält und nicht zerbricht. So steh'n wir all'm entgegen und feiern in den nächsten Tag. Ein Sog zerrte jene unheilschwangere Luft aus dem Westen hinüber zu den Stadtoren, die sich wie gähnende, hungrige Schlünde öffneten und den düsteren Atem des Waldes im Westen einsogen und mit diesem ebenso die Klänge, die Melodie, die Freude, die Sonne, bis nur noch ein müder Glanz schläfriger Freude sich matt im Tau des Grases widerspiegelte; verloren, wie der verlorene Sinn eines viel zu langen Streitgesprächs, an dessen Ende man sich nicht einmal mehr erinnert, warum man stritt, sondern der Streit lediglich zum Selbstzweck geworden war.

Gwendolyn wandt sich ab von diesem alptraumhaften Bild, kehrte diesem den Rücken, gen Süden blickend dort, wo die Sonne am strahlendsten stehen sollte, doch verlassen, verdorrt, verrottet lagen vor ihr nur Ruinen. Erinnerungen an Stein, Erinnerungen an Holz, mehr nicht, wie ein höhnisches Zerrbild des Dorfes, aus dem bis vor kurzem noch jene fröhliche Melodie drang und nun nur noch ein verzerrtes Wehklagen herrschte, wie eine Antwort auf die Erinnerungen, die vor der kleinen Hin verrotend am Boden lagen. Hastig drehte sie sich wieder um, das Atmen des Waldes wurde lauter, der Hunger der Stadt wilder, der Hass der Ruinen hinter ihr verletztender. Nur noch jenes Dorf war vor ihr, beraubt der Fröhlichkeit, beraubt der kraftgebenden Melodie, beraubt seiner Stärke – und dennoch stand es noch dort. Aber wie lange? Wie lange konnte es zwischen diesen Urgewalten klein und einsam stehen? Solange, wie sie hier stehen würde und auf dieser Seite des Flusses wachen würde, auch wenn es sie so sehr sehnte durch den Fluss zu waten, sich durchzukämpfen, um endlich dort drüben zu stehen und auch wieder Kraft schöpfen zu können aus der Geselligkeit und der Gemeinschaft, doch...das durfte sie nicht, egal wie sehr sie sich danach sehnte. Ihre Aufgabe war es, hier zu wachen und zu warten, zu wachen und zu schützen. Die einsame Wächterin hoch oben auf der Mauer, deren einzige Aufgabe es ist, sich gewiss zu sein, dass ihren Schutzbefohlenen nichts geschieht. Wie gerne würde sie dort hinüber, aber dies würde eben jene Distanz zerstören, die doch so wichtig war, um jemanden zu beschützen. Dies würde genau diese Distanz zerstören, die ihr einen ungetrübten Blick auf das Dorf geben konnte, mit dem sie alles im Blick hatte. Ja, alles.


Doch, oh, Gwendolyn, du siehst nicht alles, denn während du vor dir das Dorf im Auge behältst, siehst du nicht, welch Schatten sich hinter deinem Rücken so unaufhörlich aus dem Hass der verrottenden Ruinen aufbauen und geifernd auf dich zufließen. Das siehst du nicht, denn dir ist das wichtiger, was du vor dir siehst und dennoch begreifst du noch nicht das ganze Ausmaß. Oh, Gwendolyn, kleine, tapfere Hin, wir leiden mit dir.

Sie bückte sich, um ihr Gesicht mit dem Nass des Flusses zu benetzen, sprenkelte das erhofft erfrischende Wasser auf ihr Gesicht, doch...was schmeckte sie? Salz? Viel zu viel Salz als in diesem Wasser sein könnte, sein sollte. Sie hob irritiert ihren Kopf und blickte sich um. Dort, auf der anderen Seite, eine kleine Gestalt im Gras sitzend und dann vernahm sie, dass irgendwo jenseits des einst fröhlichen und nun verzerrten Liedes ein Schluchzen lag, ein Jammern, das genau dort seinen Ursprung fand. Es kam von genau jenen roten Haaren her, die dort drüben leicht verschwommen und kaum ersichtlich waren, eine kleine Hin saß weinend allein gegenüber von ihr. Einsam und allein an eben jenem selben Fluss. “Aber warum bist du nicht im Dorf? Warum bist du nicht dort, wo du in Sicherheit bist?“, fragte Gwendolyn die kleine Hin auf der anderen Seite entsetzt und zugleich über die Maßen besorgt. Warum war sie nicht dort? Im Dorf wäre sie in Sicherheit und dennoch war sie hier am Fluss bei ihr, wenn auch auf der anderen Seite. Ruckartig hob die Hin auf der anderen Seite ihren Kopf und in ihren grünen Augen funkelte leichte Hoffnung auf, als sie Gwendolyns Stimme hörte. Sie öffnete den Mund, doch kein Ton drang über den Fluss bis zu Gwendolyn hinüber, egal wie sehr sich Gwendolyn anstrengte, um sie zu verstehen. Verzweifelt schien die andere Hin schon fast zu schreien, wild, erschrocken, versuchte, Gwendolyn die Hand entgegen zu strecken, doch der Fluss war zu breit, der Fluss aus salzigem Wasser, zu breit als dass das kleine Ärmchen hinüberfassen konnte. „Lauf! Lauf! Bitte, ich flehe dich an, Miranda! Bring dich in Sicherheit, zurück ins Dorf!“ Doch diese schien nicht zu reagieren, wie wild gestikulierte sie, versuchte, nach Gwendolyn zu greifen, doch nur ins Leere, in die Luft. Dann weiteten sich ihre Augen vor Schrecken, während sie an Gwendolyn vorbeistarrte. Ja, sie hatte die Schatten entdeckt, die sich unheilvoll hinter Gwendolyn aufgebaut hatten. Wieder schrie sie, doch kein Ton drang über den Fluss. Sie deutete, gestikulierte, versuchte, Gwendolyn auf die Schatten aufmerksam zu machen, dass sie sich umdrehen solle. Doch Gwendolyn schüttelte heftig ihren Kopf, sie durfte sich nicht umdrehen, denn...was war das?

Gwendolyns Augen weiteten sich nun, während sie bisher die andere Hin auf der anderen Seite des Flusses beobachtet hatte, war ihr nicht aufgefallen, dass der unheilige Atem des Waldes ein dunkler Auswurf geworden war, der sich langsam auf das Dorf fortbewegte, krankhaft kroch, wie ein Geschwulst, das gehässig den Boden verdarb. Und ebenso hatte der Sog der riesigen Stadt sich zu einem Schlund geöffnet, Dächer und Mauersteine abtragend. Wild versuchte Gwendolyn zu gestikulieren, die andere Hin auf den Alptraum hinter dieser aufmerksam zu machen, doch auch diese reagierte nicht, wie ein unheilvolles Déjà-Vu der bereits vorher erlebten Szene, als jene Hin von drüben Gwendolyn auf die Schatten hinter ihr aufmerksam machen wollte - die Schatten!

Gehetzt blickte sich die andere Hin um, Verzweiflung und Hilflosigkeit in ihrem Blick. Doch dann erblickte sie noch jemand weiteren, einen weiteren Hin mit rot-grauen Haaren, an dessen Seite stolz und treu ein Wolf stand, dessen Augen ebenso stolz und treu wie die seines Herren schimmerten und über den Fluss blickten. Die andere Hin schrie, rief, deutete gehetzt auf Gwendolyn, woraufhin der andere Hin eilig nickte. Doch von all diesen Worten hörte Gwendolyn nichts, nur die verzerrte Melodie vom Anfang, wie ein Spott, der durch die Luft hallte.
Lasset uns preisen und singen und tanzen und scherzen, bis dass der Morgen graut und bis zum nächsten Mor-gen. Falsche Töne, Dissonanzen und schmerzhafte Töne durchkrochen ähnlich dem Geschwulst des Waldes die Luft, übertönten die Rufe der Hin auf der anderen Seite, so dass Gwendolyn diese nicht hören konnte. Doch hatte sich jener andere Hin schon längst auf den Rücken seines treuen Wolfs-Gefährten geschwungen, bereit in den Fluss zu springen und so sprang er. Doch auch das Platschen mit dem der Wolf in das salzige Wasser eintauchte, wurde abgedämpft, unhörbar – aber keineswegs unhörbar wurden die Schreie der Beiden, als das Salz in scheinbar bisher unerkannte Wunden drang und sich wie Gift dort hineinfraß. Doch trotz dieser Schmerzensschreie, die gewaltvoll über dem Strom des Flusses schwebten, versuchten sie, sich weiter vorzukämpfen durch den Fluss.

Gwendolyn starrte nur entgeistert auf den Fluss und auf die beiden anderen Hin, ebenso wie auf das Chaos, das sich hinter diesen ausbreitete in jenem, ach, damals doch so schön friedlichen Dorf. Sie konnte es nicht glauben.
„Was macht ihr? Toladin! Miranda! Kümmert euch nicht um mich. Dort! Dort hinten! Seht ihr nicht! Seht ihr denn nicht, wie...“ Der Hin im Wasser riss seine Augen auf, schrie und in jenem Moment merkte Gwendolyn, dass es kein Schmerzensschrei mehr war, nein, nicht mehr, es war nun ein Schrei der Verzweiflung. Ihr selbst jedoch entrückte nur noch ein Gurgeln, ein überraschtes Gurgeln, als schattenhafte Klingen sich von hinten durch ihren kleinen, zerbrechlichen Körper bohrten. Dem erschrockenen Gurgeln folgte Blut, das aus ihrem Mund tropfte, während weitere schwarze Klingen ihren Körper durchfuhren und sie dann losließen, wie eine lieblose Mutter. Vorne über fiel die kleine Hin, stürzte mitten in den Fluss, mitten in das Meer an Tränen, wo sich das Salz der Trauer in die dunklen Wunden schmerzhaft biss und das Gurgeln, langsam erstickte.

Eine Wächterin kann nicht überall ihre Augen haben. Eine Wächterin kann nicht immer zur Wand stehen. Eine Wächterin allein ist zu verletzbar, denn aus der Gemeinschaft kommt die Stärke.


Schweißgebadet wachte Gwendolyn mit einem verzweifelten, kämpfenden Schrei auf, der durch die kleine Höhle fuhr wie das ersterbende Gurgeln aus ihrem Traum. Dann Stille. Ein letztes Knistern des langsam ausgehenden Feuers, letzte tanzende Schatten, die sich in das Geräusch des nahen Wasser mischten und weiterhin salziges Wasser auf Gwendolyns Gesicht tropfte. Über ihr, irgendwo in der Höhlendecke drang Wasser hindurch, salzig und bittere Erinnerung, hatte ihr gesamtes Gesicht benetzt, die Matte, auf der sie lag dunkel-nass gefärbt. Der Atem der kleinen Hin ging schnell und stoßweise, während sie sich in der Höhle umblickte. Hatte sie die Anderen geweckt? Vorsichtig blickte sie zum Höhleneingang, an dem Saermos wachte. Ebenso vorsichtig, aber bei weitem sanfter und besorgter wanderte eben dieser Blick dann hinüber auf die andere Seite des Feuers zu Miranda. Hoffentlich hatte niemand von den Beiden ihren Alptraum mitbekommen, hoffentlich hatte sie sie nicht geweckt. Und während ihr Klopfen weiterhin so laut in ihrem Kopf hämmerte und sich mit dem Rauschen des Wassers und dem Knistern des Feuers vermischten, vernahm sie in ihrem Kopf wieder jene Melodie, wie aus weiter Ferne, wie eine Warnung, ein Mahnmal, eine Erinnerung. Leise säuselte die Melodie, lag in der Luft der Höhle und dennoch nur für Gwendolyn hörbar.

So ist's uns einfach einerlei, solange wir sind zusammen. Denn das ist ihr Segen, den wir empfingen und Segen es ist fürwahr. Zusammen und in Gemeinschaft, Familienbande die schützen und nicht hindern, Freundschaft, die hält und nicht zerbricht. So steh'n wir all'm entgegen und feiern in den nächsten Tag.[/b]
Gwendolyn Lilienblatt: The Tenth Muse (Synchro: Yui Horie); Loss of Me FF9
Jeanne Boucherat: The Coquette (Synchro: Renée O'Connor); Eyes on me FF8
Araza'shasehnae: The Lady of Shalott (Synchro: Mira Furlan); Aerith's Theme FF7
Ranja: The Jungle Books (Synchro: Eliza Dushku); Cosmo Canyon FF7

Jamapi

Nach einem langen Gespräch bei Tee und Kuchen kam Gwendolyn etwas erschöpft aus der Schneiderei der Fardorns. Lange hatten sie geredet und durch den Tee und den Kuchen war das Gespräch auch sehr angenehm und...sehr sättigend. Es war angenehm bei ein wenig Kuchen zu plaudern, besonders wenn es um solch wichtige Sachen ging. Man konnte dadurch einfach die beste Arbeitsatmosphäre erzeugen, denn was bringen einem schon Entscheidungen, die in Eile und Hast und dazu noch vollkommen ungemütlich getroffen wurden? Meist nichts, außer Ärger und den sollte man ja eigentlich versuchen zu vermeiden, was schließlich der Grund war, warum man bei einer solchen Sache versuchen sollte, alle Möglichkeiten abzuwägen und in Ruhe darüber nachzudenken – halt gemütlich bei Tee und Kuchen. Dennoch war es keine leichte Aufgabe, die die kleine Hin zu bewältigen hatte, immerhin hatte sie alle Hände voll damit zu tun, ein ungefähres Stimmungsbild des Dorfes zu erfahren, in Hinblick auf das Angebot des Fürsten, das er Gwendolyn vor einiger Zeit beim Fest des Konzils des Lichtes gemacht hatte.

Und so war Gwendolyn schon seit geraumer Zeit, sofern ihre täglichen Pflichten dies zuließen, dabei, sich bei den Familien Büttelheims umzuhören, wie die Bewohner es wohl aufnehmen würden, wenn Büttelheim nun in das Gesetzgebungsgebietes Lautwassers eingegliedert werden würde; langsam wusste sie sehr gut, welcher Kuchen von welcher Familie bevorzugt wurde und das tolle neue Rezept von Eldara Fardorn durfte sie auch probieren – sehr lecker. Es war nicht so, dass die Halblinge die Menschen aus Lautwasser nicht mochten. Nein, sie trieben ja sogar gerne Handel mit ihnen. Dennoch war das Volk der Halblinge ein stolzes Volk, klein aber stolz – und vor allem war es stolz auf seine Traditionen, den Banden und Verbindungen, die ein jeder mit dem Anderen hatte, die Bräuche, die sich über Jahrzehnte hinweg entwickelt hatten und eine Gemeinschaft geschaffen hatten, die so sehr zusammenhielt, wie wohl kaum ein Menschendorf. Halblinge waren zwar vielleicht klein, aber das war ihre große Stärke. Denn egal, wie klein sie waren, sie schlossen sich immer zusammen und halfen sich gegenseitig mit ihrem großen Herzen, was manches Mal ein größerer Schutz sein konnte, als eine kalte Mauer aus leblosem Stein.

Und so verlief auch das Gespräch mit den Fardorns ähnlich. Sie hatten nichts gegen Lautwasser oder gar gegen die dortigen Wachen. Aber ebenso hatten sie anscheinend eine gewisse unterschwellige Angst, dass ihre althergebrachten Halbling-Traditionen schwinden könnten. Nichts, was sie wirklich offen sagten und vielleicht deutete Gwendolyn es auch nur falsch, aber sie meinte zumindest dies aus ihren Worten herauszuhören. Und immerhin waren dies meist die gleichen Worte, egal ob sie nun bei den Fardorns zum Tee war oder die Landbüttels bei einem Rundgang durch Büttelheim begleitete (nicht ohne ein paar Zimt-Plätzchen dabei zu verspeisen, die Gwendolyn mitgebracht hatte), um das Thema zu besprechen oder wenn sie bei Elsa und Lando im Schweinchen saß und sich mit diesen über die neuesten Entwicklungen unterhielt. Elsa hatte einen sehr interessanten Kuchen anzubieten, vielleicht ein wenig gewöhnungsbedürftig, aber dennoch schmeckte er gut, zwar nicht wie der Nusskuchen der Fardorns oder Gwendolyns Apfelkuchen, aber was auch immer Elsa da reingetan hatte, es schmeckte pikant, fast schon würzig, also ungewöhnlich für einen Kuchen, und dennoch mild – ein Geheimrezept wie Elsa Gwendolyn mit einem verschmitzten Grinsen mitteilte.

Überall schien es fast schon einhellig durchzuschwingen, dass Büttelheim zwar nicht auf Lautwasser verzichten wollte, aber ebenso unabhängig bleiben wollte. Daher machte sich Gwendolyn auch dann, nach einem kleinen, nachdenklichen Spaziergang an den Ufern des Delimbiyr entlang, auf den Weg zu Gribbin Nelkenbaum, dem Bürgermeister, der sie gebeten hatte, in Erfahrung zu bringen, wie denn die Büttelheimer dies sehen würden. Zwar hätten sie sicherlich die Möglichkeit gehabt, es einfach so über die Köpfe der Büttelheimer hinweg zu bestimmen, aber das wollte niemand. Zu gut war die Gemeinschaft, zu sehr sahen sie sich als eine große Familie, als Yondallas Kinder, als dass sie nicht auf sich gegenseitig achten würden und die Meinung der Anderen respektieren würden – und außerdem mochte Gwendolyn Kuchen. Natürlich gab es hin und wieder Zwistigkeiten, Streitigkeiten über kleine, fast unbedeutende Dinge. Wie es eben normal ist in so einem Dorf. Aber dennoch wusste man, was man an seinem Nachbarn hatte und nachdem die ersten Meinungsverschiedenen verraucht waren, traf man sich dann meist zu einem guten Butterbier bei Lando im „Schweinchen“. Es war sicherlich nicht alles eitler Sonnenschein, aber...in dieser Sache, ob Büttelheim nun Teil Lautwassers werden sollte oder nicht, in dieser Sache schien es keinerlei Unterschiede in der Meinung zu geben.

Gwendolyn selbst war noch ein wenig unschlüssig, schließlich hatte sie den Fürsten als großen und weisen Mann kennengelernt, der sicherlich nur das Beste für Büttelheim wollte. Sie vertraute diesem Mann. Und dennoch konnte sie ihre Mit-Hin verstehen, vor allem Mirandas Worte waren ihr noch gut im Gedächtnis. Gwendolyn wollte nicht, dass sich irgendjemand aus dem Dorf schwach fühlen musste, denn sie waren nicht schwach. Sie waren vielleicht klein, aber sie waren zäh und raffiniert und gewitzt. Sie hatten an vorderster Front gestanden als die Orks gekommen waren, sie hielten die Feuerkäfer aus der nahen Höhle in Schach, kaum noch liefen Vermummte durch Büttelheim hindurch, all dies hatten die kleinen Halblinge erreichen können, trotz ihrer Größe – oder vielleicht gar wegen ihrer Größe? Gwendolyn hatte die Größe der Halblinge immer eher als ein Geschenk, einen Segen ihrer großen Mutter gesehen, denn durch diese Größe oder wohl eher Kürze war ihnen stets bewusst, dass sie nichts allein machen konnten, dass man niemals sich selbst als zu groß sehen sollte, denn wer hoch wächst, der kann auch tief fallen. Und so sah sie stets diese Kürze als ein Geschenk, etwas an dem man seelisch wachsen konnte, etwas das vielleicht ein besonders guter Nährboden für ein gutes Herz war.

Nein, sie wollte nicht, dass irgendeiner dieser Hin, besonders nicht Miranda, sich verletzt fühlen musste, weil sie als schwach angesehen würden. Natürlich war es nicht verkehrt, um Hilfe zu bitten, aber Gwendolyn war fest davon überzeugt, dass der Fürst von Lautwasser ihnen sicherlich auch helfen würde, selbst wenn sie dieses Angebot ausschlugen. Immerhin waren die Halblinge stets um gute Beziehungen zu Lautwasser bemüht. Aber...menschliche Gesetze? Und menschliche Wachen? Vielleicht war dies doch nicht so wirklich das Richtige, wer weiß. Gwendolyn wusste, dass dieses Dorf nicht bestehen konnte, ohne gute Beziehungen zu anderen Dörfern, Städten oder Orden zu haben. Aber das wollten sie auch nicht. Die Hin waren schon immer ein offenes Volk gewesen, das sich nicht verschließen wollte. Sie wollten dies wirklich in keinster Weise und dennoch wollten sie wenigstens zu einem gewissen Teil selbständig und unabhängig bleiben. Nicht, weil sie größenwahnsinnig waren, dass sie hier allein bestehen konnten, sondern weil so auch am meisten gesichert war, dass die Halblinge noch unabhängig genug waren, um nicht in einen Strudel von Ereignissen gezogen zu werden, die vielleicht das Ende ihrer geliebten Ruhe werden könnte. Natürlich würde es bedeuten, wenn sie das Angebot annehmen, dass es sicherer werden würde. Aber ebenso könnte dies unangenehme Folgen mit sich führen. Sie wollten sich nicht verschließen, keineswegs. Das Dorf sollte auch weiterhin stets offen für all jene guten und aufrichtigen Herzens sein, die sich nicht in den Schatten verstecken und ihr Gesicht verbergen mussten. All jene, egal ob Hin oder Nicht-Hin, die das Gastrecht zu schätzen wissen und ein gewisses Mindestmaß an Höflichkeit mitbrachten, sollten stets offen empfangen werden.

Und so hoffte sie, dass der Fürst das Ablehnen nicht falsch verstehen würde. Vielleicht sollte sie den Fürsten ebenfalls auf eine Tasse Tee und ein Stück Kuchen...? Nein. Ein Grinsen huschte über das Gesicht der kleinen Hin. Es wäre sicherlich nett, immerhin war der Fürst ein sehr netter und höflicher Mann, aber das wäre dann wohl doch unter seinem Stand. Zumindest würde Gwendolyn sich niemals trauen, dieses Angebot zu äußern. Wie klein und provinzial mussten die kleinen Halblinge doch auf den Fürsten wirken. Aber...wer weiß? Sollte der Fürst jemals Lust auf eine Tasse Tee und Kuchen aus meisterhafter Hin-Hand haben...? Jederzeit sollte er willkommen sein. Nein, nein, Gwendolyn. Sie schüttelte den Kopf, wie um diesen Gedanken wieder aus ihrem Kopf zu verbannen. Dazu wird es sowieso nie kommen. Jemand in einem so hohen Amt wird niemals zu Tee und Kuchen in so ein kleines Dorf kommen. Wichtiger war jetzt, wieder zu dem eigentlichen Thema zurückzukehren. Raus mit dem Kuchen aus dem Kopf und rein mit dem Angebot des Fürsten. Ob er wohl Apfelkuchen mit Zimt mag?

Es galt nun, zu überlegen, wie man eine Antwort an den Fürsten schreibt. Wohldurchdacht musste sie sein, wohlformuliert und diplomatisch, denn durch das Ablehnen des Angebotes wollte sie keineswegs diesen netten, besorgten Mann verärgern. Außerdem galt es, sich vielleicht noch Möglichkeiten für die Zukunft offen zu halten. Sie musste noch einiges mit Gribbin Nelkenbaum besprechen, ehe sie die Antwort aufsetzte. Es würde wohl auch wieder ein längeres Gespräch werden. Dabei hatte Gwendolyn eben sich schon recht vollgefuttert. Sie aß gerne, wirklich sehr gerne. Es konnte eigentlich nicht genügend Mahlzeiten geben und dennoch fühlte sie sich...satt - noch von eben. Die kleine Hin holte tief Luft. Naja, das waren wohl die kleinen Probleme, die dieser Beruf mit sich brachte. Und so langsam wusste sie auch, warum die meisten Hin-Matriarchen doch eher nicht zu den schlankesten zählten. Sie seufzte leicht. Naja, dann einmal auf in den nächsten Kampf, gegen Tee und Kuchen...
Gwendolyn Lilienblatt: The Tenth Muse (Synchro: Yui Horie); Loss of Me FF9
Jeanne Boucherat: The Coquette (Synchro: Renée O'Connor); Eyes on me FF8
Araza'shasehnae: The Lady of Shalott (Synchro: Mira Furlan); Aerith's Theme FF7
Ranja: The Jungle Books (Synchro: Eliza Dushku); Cosmo Canyon FF7

Jamapi

Ein neuer Morgen in jenem kleinen, noch ein wenig verschlafenen, Dörfchen an den Gestaden des Delimbyir zog einmal wieder in das Dorf ein – wie so ziemlich jeden Tag. Eigentlich nichts Besonderes. Was wäre ein Tag auch ohne einen Morgen? Da würden immerhin zwei Frühstücke fehlen. Wo wir auch schon eigentlich beim Thema wären, denn im „Lachenden Schweinchen“ dürften auch schon die ersten Düfte des nahenden Frühstücks aus der Küche dringen...also des ersten Frühstücks um genau zu sein und es schien irgendetwas mit Speck zu sein. Oder eben Speck mit irgendetwas, so genau war das noch nicht an Hand des Duftes auszumachen.

Geschäftiges Treiben war aus der Küche zu vernehmen und so langsam dürften dann wohl auch die ersten Hin eintrudeln, alle noch ein wenig verschlafen, es war schließlich auch noch früh. Eine Hin saß jedenfalls schon seit geraumer Zeit im „Lachenden Schweinchen“ und hatte sogar auch schon ihre erste Frühstücksportion verputzt. Kein Wunder für die meisten, Gwendolyn war eigentlich immer als eine der ersten wach, aber dies schien selbst für sie ein wenig früh gewesen zu sein. Oder war sie „noch“ wach? Naja, so genau konnte man das nicht erkennen. Für das „noch wach“ fehlte ein wenig der müde Ausdruck der Augen und vielleicht auch die ein oder andere Schattierung unter den Augen und vielleicht auch der ein wenig schwere Kopf. Das fehlte wirklich irgendwie bei genauerer Betrachtung ein wenig. Und während die anderen Hin ihr erstes Frühstück zu sich nahmen, spachtelte Gwendolyn genüsslich und fröhlich bereits ihr zweites Frühstück und dankte Lando sichtlich gut gelaunt, während sie sich aus einem Krug wieder ihren Milchbecher auffüllte.

Wenn man genau hinhörte, konnte man hin und wieder die kleine Hin eine Hin-Weise summen hören. All dies fing damit an, dass Gwendolyn während ihres Frühstückes die ersten Zeilen jener Hin-Weise leise vor sich hinsang, nicht besonders gut, vielleicht ein wenig kehlig, eine Gesangsausbildung hatte sie schließlich nicht und es erinnerte auch mehr an das Singen einer Mutter am Bett ihres Kindes: bemüht, ehrlich, herzlich, aber eben nicht sonderlich gut.

Früh, eines Morgens | Als die Sonn' erwachte | Hört' ich ein Mädchen singen im Tal dort unter mir.

Mit der Zeit wurde es mit zunehmenden „Frühstücksteilnehmern“ auch lauter im „Lachenden Schweinchen“ und natürlich auch belebter, womit dann jedes kleine Liedchen auch von diesen Lauten verschluckt wurde, was zwar nicht hieß, dass Gwendolyn es nicht mehr summte, aber es war nicht mehr hörbar – zumindest für den Großteil der Frühstückenden. Es wurde viel getratscht, viel geredet, so dass wohl dieser Lärm auch so langsam in den Keller dringen sollte, um auch die letzten Schlafmützen aufzuwecken. Wohl gemerkt, wohl immer noch recht früh, denn das kleine Dorf war sich durchaus seiner Arbeitsmoral bewusst – naja, zumindest große Teile des Dorfes.

„Oh, betrüg mich nicht | Oh, verlass mich nie | Wie nur kannst sein so hart zu einem Mädchen so arm?"

Wo wir auch gerade beim Keller sind, bleibt vielleicht noch eine Kleinigkeit zu erwähnen. Nämlich, dass sich interessanterweise hinter der Tür eines Zimmers ein Zettel auf dem Boden befand. „Hinter“ ist natürlich ein Wort, das zwei Seiten hat, eine davor und eine...nun, „dahinter“ eben. Die Seite des geneigten Lesers dürfte nun „vor“ jener Tür sein, sofern er dem Duft des gebratenen Frühstücksspecks und dem Lied in den Keller folgen würde. Im Gegensatz zu jenem Duft würde der geneigte Leser aber wohl eher nicht durch die Tür dringen können, womit wir dann auch bei dem „dahinter“ wären, das man jenem geneigten Leser dann auch erklären sollte.

Nun, das „dahinter“ - wie ich es im vorherigen Teil nannte – ist natürlich von jener Seite betrachtet das „davor“ und von dort kam der Duft des Frühstücksspecks, was man eigentlich nicht müde werden kann, zu erzählen. Nun „vor“ jener Tür (wie gesagt, es ist eine Frage der Sichtweise) war dann der Raum, in dem Tibor Steinfeld für gewöhnlich nächtigte. Ob allein oder nicht, das sollte man dann doch lieber der Tür und einem versperrten Blickfeld überlassen, also das wäre etwas, das man dem „dahinter“ zuordnen würde. Aber darum geht es nicht, auch wenn dieses Andere dennoch geklärt werden musste. Das eigentlich Interessante dürfte wohl eher jener Zettel sein (besonders Pfiffige erinnern sich vielleicht trotz jenes Perspektiven-Wirrwarrs daran), der so still, einsam und allein, aber dennoch erwartungsvoll auf dem kalten Boden lag.

Ich frag' die Rosen | Warum ich wurd' verlass'n. | Warum muss ich sein in Trauer hier so ganz allein?

Sofern man ihn aufheben würde, würde man erst einmal nichts sehen. Ich erspare mir nun wieder eine kleine Abhandlung über „drüber“ und „drunter“ und komme direkt zur Sache, dass man natürlich den Zettel erst einmal umdrehen müsste, um mehr als nur den Zettel zu sehen. Und „darunter“ (oder „darüber“...eher wahrscheinlich „darauf“, wenn ihn der pfiffige Zettelanwender gewendet hat) konnte man dann auch etwas sehen. Vielleicht im Großen und Ganzen enttäuschend, was man da sah. Eigentlich nichts Großes, sogar etwas richtig Kleines. Aber in einem Hin-Dorf war das mit Größen nunmal auch so wie mit „davor“ und „dahinter“ und „drunter“ und „drüber“. Alles irgendwie eine Frage der Sichtweise. Aber zurück zu jenem Zettel oder besser gesagt dem Geschriebenen „darauf“. Was man erkennen konnte war, dass die Schrift sehr schwungvoll und sorgsam ist. Allerdings nur ein Wort, kein Zeichen des Absenders oder Schreibers. Ein großes „D“ leicht verziert, mit ein paar Schnörkeln, wie man es so eben macht, wenn man sich ein wenig mit Kalligraphie auskennt. Der Verfasser (oder die Verfasserin, bei so einer Schnörkelschrift dürfte dies wohl auch eher im Bereich des Wahrscheinlichen liegen) legte wohl besonders viel Wert darauf, dieses „D“ vollkommen auszuschmücken, wie ein Initial, umwoben von kleinen Tintenranken, die sich dann zum nächsten Buchstaben hinstreckten, aber kurz davor aufhörten. Auch der Rest des Wortes war durchaus verziert, wenn auch nicht mehr in ganz so aufwendiger Weise wie das „D“, aber doch sichtlich ausgeschmückt. Doch all das bedarf wohl keiner genaueren Beschreibung mehr, womit wir auch diese kleine Situationsbeschreibung eines Morgens in Büttelheim beschließen könnten mit dem Anblick von fünf sorgsam, geschwungenden, verschnörkelten und reichlich verzierten Buchstaben und vielleicht gar einer leisen Melodie, vom Duft getragen...

So sang die arme Maid | Als die Sonn' erwachte...
Gwendolyn Lilienblatt: The Tenth Muse (Synchro: Yui Horie); Loss of Me FF9
Jeanne Boucherat: The Coquette (Synchro: Renée O'Connor); Eyes on me FF8
Araza'shasehnae: The Lady of Shalott (Synchro: Mira Furlan); Aerith's Theme FF7
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