Humphrey Steintal

Started by Parat, 25. September 2006, 02:53:19

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Parat

"Scheiß-Regen", dachte sich der Held und schlug seinen Kragen höher. Missgelaunt trat er ein in den Letzten Heller, diesen schummrigen Schuppen, der für so viele Gescheiterte und Verlorene ein Fixpunkt war. Die Gerüche schlugen ihm entgegen. Erbrochenes, Verschüttestes und das billige Parfum abgetakelter Hafenhuren. War das auch sein Platz nun? Nein, nur eine Zwischenstation. Ein Halt auf seiner Reise, ein neues Kapitel. Eines, das er nicht selber geschrieben hatte, sondern dass sich formte, während mehr und mehr Bausteine dessen sichtbar wurden, was sein Leben aus seiner Beschaulichkeit gerissen hatte.

Alle Geschichten brauchen Helden, aber es ist ein Unterschied, ob sie als Helden in die Geschichte gehen, oder ob die Geschichte sie dazu macht. Wodurch wurde man zum Held? Durch sein Erbe, ein Geschehnis, sein Umfeld oder einfach nur dadurch, dass man zur falschen Zeit am falschen Ort war. Und was tut ein Held? Nun, er kann strahlen, keine Schwächen zeigen, immer siegen ... oder er lebt in einer realen Welt, eine, in der Schmerz noch Schmerz bedeutet und in der ein Held sich dadurch auszeichnet, wieviel das Leben ihm auf die Fresse geben kann, ohne dass er umfällt. Um so einen Helden geht es. Einer, der einer von vielen war, um einer von wenigen zu werden. Steintal sein Name, eigentlich Steinfeld, aber was bedeuten beschissene Namen.

Er knöpfte seinen Mantel auf, das nasse gewachste Leder ließ Rinssäle auf den Boden laufen, wo sich das Wasser mit dem Schmutz des Ladens vermengte. Das darunterliegende rote Hemd wurde sichtbar. Ein Hemd, das einer verzweifelten Seele gerecht wurde, die nach Aufmerksamkeit schrie. Er fand sie nicht. Die Leute übersahen ihn, was in seiner Situation wohl das beste war, was ihm passieren konnte. Keinen Trubel. Bereitsam fügte sich die graue Masse in der ihr zugedachte Statistenrolle. Aus irgendeiner Perspektive mag jedes Leben von Belang sein. Ja, es kümmerte jemanden, ob Lyri, die Hafendirne, noch stinkend nach ihren Freiern morgens besoffen die Tür ihrer billigen Wohnung fand. Irgendjemand fand sich da. Aber in den großen Geschichten bleibt sie eine Randnotiz, über die jedes Wort ein Wort zuviel wäre.

Und so stand er da, in seinem Hemd. Übernächtigte Augen erkundeten das Chaos rund um ihn herum, das sich vielen als Leben verkaufte. Die Pokerrunde in der Ecke. Ein Kreis versoffener Gestalten, von denen jeder den anderen betrügen würde, hätte er auch nur einen Funken Talent. Der gröhlende Hafenarbeiter. Seine groggeschwängerte Version von "Wir lagen vor Usu-Wha" war ein Schrei nach Liebe. Liebe, die er finden würde, solange er dafür bezahlte.

Die Augen von Steintal sahen das alles, doch nahmen sie es nicht wahr. Augen. Durch sie betrachtet man die Welt, bis man denkt sie zu verstehen. Doch hast Du sie erst verstanden, brennt sich das tief in Deine Augen ein. Leer werden sie. Sie blicken durch das Chaos, sehen schon längst nicht mehr das alltägliche Einerlei, sondern nur noch Entscheidungen. Auch schon längst keine Gefahren mehr, da Deine kleine Rolle in dem Spiel der Mächte dann endet, wenn dem so sein soll. Man sieht nur noch Wendepunkte, denn welcher Weg der richtige ist, das zeigt sich erst später. Ziert Dein Name am nächsten Tag einen Grabstein, dann wird's wohl falsch gewesen sein. Stehst Du am nächsten Tag als Held in der Zeitung, dann lass Dir besser eine verdammt gute Geschichte einfallen, wieso er da steht. Ein weiser Mann sagte einst: Du kannst einsam sterben und schnell vergessen werden. Oder Du stirbst einsam und vergessen, aber Dein Name stand noch einmal unter der Überschrift "Was wurde eigentlich aus..." in der Zeitung. Viel mehr Wahl ist da nicht. Nicht, wenn das Schicksal mit Dir Schlittenfährt, wie es das mit Steintal gemacht hatte.

Der kletterte auf einen Stuhl. Wahre Größe kommt von innen. Heißt es, doch wenn Du genauer drüber nachdenkst, dann erkennst Du erst, wie klein Du wirst, wenn Du Deine wahre Größe kennst. Steintal wusste Bescheid. Als Halbling bist Du es gewohnt, Teil der Masse zu sein. Umso schlimmer wirkt es, wenn Du die Masse nicht mehr verstehst. Nichtigkeiten. Alles wird unwichtig, wenn das wirklich Wichtige zeigt, wie unwichtig Du bist. Mit Bedacht gewählt war der Eckplatz. Halte Dir den Rücken frei, das ist eine wichtige Sache. Nur Schwachköpfe denken, dass man sowas tut, weil man länger leben will. Wenn die Zeit gekommen ist, dann bist Du der letzte, der sie anhält. Man sagt, dass in dem Moment, indem Du weißt, dass Du stirbst, Dein ganzes Leben wie ein Film vor Deinem inneren Auge abläuft. Schon scheiße, wenn man das verpasst. Daher Eckplatz.

Positiv denken. Sprichwort. Aufforderung. Gut gemeint. Doch wie willst Du positiv denken, wenn Du den Sturm siehst, der sich zusammenbraut. Mächte größer als Du. Du kannst sie anschreien, weglaufen, beten ... kurzum irgendwie so tun, als könntest Du etwas ausrichten. Das beruhigt. Aber mehr auch nicht.

Steintal stellte die kleine Flasche vor sich auf den Tisch. Allein. Allein würde er es machen müssen, aber irgendwann stellst Du fest, dass es nicht das verkehrteste ist, wenn Du Sachen mit Leuten zusammen machst, denen Du wirklich vertrauen kannst. Kannst Du Dir vertrauen? Natürlich nicht, aber es ist normal, sich das nicht zuzugeben. Und klar ist das Selbsbetrug. Ist es immer.

Hilfe. Hilfe hatte er bekommen. Ohne Meree, Sirio und Velahr hätte er den Weg nicht überstanden, und Delea hatte ihm diese Aufgabe gegeben, ihm gut zugeredet. Dass sie in der Sache nicht helfen konnte, weil sie in Hammerhütte helfen musste, zeigt nur, wie verlogen das ganze Helfen eigentlich ist. Dennoch nötig. Und sei's nur, um das eigene Gewissen zu beruhigen, das genauso brennen kann wie die Unsichrheit, die einen jeden befällt, wenn die Aufgabe größer ist als er sebst.

Und das war sie. Sein Auftrag bestand aus nicht weniger, als direkt in die Höhle der Löwin vorzudringen, aber es musste getan werden. Mut, Wahnsinn? Auch wenn es das zweitere war, so trank er sich das erstere an. Er nahm die Flasche wieder an sich. Stand auf. Es war seine Aufgabe und sie musste getan werden. Es hing so vieles davon ab. Nicht mehr für ihn. Für die anderen. Sein Leben würde nie mehr so einfach, so bunt werden können wie das Leben der Leute, für die er es tat. Selbst wenn es nur eine Illusion war. Lieber eine schöne Illusion, als das, was Du siehst, wenn Du beginnst zu wissen. Wissen. Er hatte zuviel davon. Und Wissen ist wie Essen. Bis zu einem gewissen Grad notwendig, einem anderen spaßig, aber irgendwann platzt Du. Er war kurz davor, aber machte sich mit der Flasche auf auf den Weg, der ihm vorbestimmt war, hinaus. In die Realität. Eine, in der es regnet.

Ein Held.

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