Buch des Blutes

Started by Rictus, 03. Februar 2006, 23:52:02

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Rictus

Blutbücher sind wir Leiber alle;
wo man uns aufschlägt,
lesbar rot...


Sieh diesen Körper an. Sieh die Narben. Hörst du ihm genau zu, so erzählt er dir Geschichten. Jede einzelne Narbe eine Fabel, jeder gebrochene Knochen eine Moritat.

Zum Beispiel diese hier...

Er war noch jung. Seine Mutter hatte ihn bereits verkauft. Das war wohl sein Glück im Zazespur des Interregnums. Das Kind einer Hure hatte keine grossen Überlebenschancen im Chaos des Bürgerkriegs. Die Investition einer Diebesgilde dagegen durchaus.

Er war noch zu klein, um auf die Strasse zu gehen und das Geld der Gilde zu mehren. Noch war er nur ein weiteres Maul, das gefüttert werden wollte. Und dazu noch ein störrisches Maul, welches nicht lernen wollte, was es sollte. Doch die Herren der Gilde hatten ihre Mittel und Wege. Eines der einfachsten Mittel war ein Lederriemen...

Rafi sollte schon sehr bald eine äusserst innige Beziehung mit diesem Lederriemen eingehen. Und wie jede gute Beziehung, bestand auch diese aus Nehmen und Geben. Rafi nahm sich die Freiheit, seine Lektionen nicht zu erlernen und der Riemen gab ihm Schmerz. Keinen wonnevollen Schmerz, keinen Schmerz, der Erlösung bringt. Nein, er gab ihm einen einfacheren Schmerz. Schmerz, der bis ins Mark der Knochen schnitt, seine Haut in Fetzen riss und das helle Rot seine Hüften hinunter rieseln liess...

Dies war eine Lektion, die Rafi schnell lernte: Erledige deine Aufgaben und du entgehst Pein.


Und doch ist dies nur die erste von vielen Narben...
Mein Lieblingswein: Rheinhessen Fiesling
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Bandu Raeravar Lencalladae Süßzahn Riesentöter Gerrick: Der Name wird gekürzt *schnüff*
Sylar Melanthios: Haus der Schmerzen

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Eine weitere Lektion aus dem Buch des Blutes erzählt diese Narbe.

Rafi zeigte sich als zwar störrischer, doch auch gelehriger Schüler. Andernfalls wäre er wohl doch nicht bis ans Ende seiner Ausbildung gelangt. Doch bis dahin war es noch ein weiter Weg...

Er stahl sich eine junge Katze auf einem seiner Streifzüge. Sie sollte ihm geben, was er in seinem Leben oft vermisste. Wärme, Zuneigung, Ablenkung vom drögen Alltag, von der zermürbenden Strafe, die ihn fast alltäglich erwartete.

Er sorgte sich um sie, wie sich seine Mutter wohl nie um ihn gekümmert hat. Das war jedenfalls das was er glaubte, glauben wollte, glauben musste. Und auch das, was er tat, tun wollte, tun musste.

Und genau dies waren die Worte, die ihm seine Oberen der Gilde entgegenspiehen, als sie ihn zwangen, sein Tierchen in einen Sack einzunähen und in der Kloake der Unterstadt zu ersäufen. Natürlich weigerte er sich und diesmal war der Tanz des Leders auf seiner Haut tatsächlich nur das: ein kurzes Vergnügen, eine Ablenkung, die seinen Geist von der ihm gestellten Aufgabe abhielt.

Unter Tränen nahm er Garn und Nadel, verbarg die Katze im rauen Leinen und brachte sie schweren Schrittes auf die letzte Reise. "Zu hause" erwartete ihn keine Belohnung für den volllbrachten Auftrag und in seinem jungen Herzen hatte er schon lange vor seiner Rückkehr geahnt, dass es so sein würde.

Was auch immer ihn die Gilde, ausser absolutem Gehorsam, damit lehren wollte, er hatte wohl eine andere Erkenntnis: Verlust ist nichts Gutes, nichts, was man anbeten müsste.

Und in Zukunft würde nicht mehr er velieren, sondern nur noch die anderen...


Zwei Schritte auf dem langen Weg der Menschwerdung. Der Anfang ist gemacht...
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Eine weitere Seite, geschnitten aus Haut, beschrieben in Blut...

Eine dünne Klinge durchschnitt die stagnierende Luft einer heissen Sommernacht in der Unterstadt Zazespurs. Rafi kannte das Ziel der Klinge nicht, es war ihm eigentlich auch egal, es war ja nichts persönliches, nur ein weiterer Abend der Arbeit.

Die Spitze der Klinge durchdrang die Schichten aus leichtem Leder und Stoff, die sein Opfer sich als Ausgehanzug für einen Abend der Unterhaltung besorgt hatte. Vermutlich würde der junge Mann in diesen Gewändern nicht einmal begraben werden, das Chaos des Interregnums würde schon dafür sorgen, dass jemand anders besseres mit der Kleidung anzufangen wusste.

Ein kurzes Luftholen durch die freie Nase des zum Sterben verdammten Mannes, als die Klinge die obersten Schichten der Haut durchdrang und einen feinen Schnitt durch den Muskel tätigte. Der Schweiss machte Rafis Griff um den Mund seines Opfer etwas schwieriger, aber er verlor nicht die Kontrolle, nicht wie beim ersten Mal, als er von der Menge des hellen Rots, die sein ungeschickter Stoss zum Vorschein brachte, überrascht wurde.

Damals entfuhr der Frau ein kleiner Schrei und ihn übermannte die Panik. Wild schnitzte er an ihrem Hals herum, öffnete die Schlagader, spritzte ihr Blut in gleissenden Kaskaden an die dreckige Hauswand hinter ihnen und verpasste sich selbst noch dazu eine scharlachrote Maske, welche sein gesamtes Gesicht in das Antlitz eines infernalischen Dieners verwandelte. Er entkam wohl nur ungestraft, weil Tymora ihm nach Beshabas Segen wohl gesonnen war...

Nicht so diese Nacht. Die Klinge kratzte kaum über den Knochen, als sie ihren Weg in das Herz des Mannes fand und dort ihre tödliche Kunst vollendete. Das Licht in den Augen des Opfers brach, der Blick wurde stumpf und der Körper erschlaffte. Mit einer schnellen Bewegung des Handgelenkes brach Rafi die Klinge in der Wunde ab, um so den Blutfluss weiterhin klein zu halten. Mit geschickten Fingern erleichterte er den Toten um seine Wertsachen und schob ihm zu guter Letzt eine Spielkarte zwischen die halbgeöffneten toten Lippen. Ein kleines Zeichen für seine Kumpane, ihre Finger bei sich zu behalten.

In solchen Nächte erkannte er, dass den Tod nichts mystisches umgab. Nicht das Sterben, nicht das Töten mussten verehrt werden, auch nicht der gedungene Mörder. Was allerdings verehrt werden musste, das wusste er nun auch nicht. Noch nicht...


Fast da, fast da, aber einige Teile fehlen noch...
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Eine weitere Geschichte... doch eher wohl eine Randbemerkung, eine Marginalie, in spinnenkleinen Lettern verewigt im Buch des Blutes.

"Fasst den Dieb! Er hat mir mein Gold gestohlen!"

Wieder einmal gehetzt, wieder einmal ist er nicht unentdeckt davon gekommen. Nur sein kleiner, drahtiger Körper half ihm jetzt noch. Er schlängelte sich durch die Menge des Jahrmarktes, glücklicherweise bevor der Hilferuf grössere Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnte. Die herbei eilenden Wachen waren zu schwerfällig, blieben im Gewimmel des Marktes schnell eine komfortable Entfernung zurück.

Zivilcourage war nicht gerade eine Stärke der Bevölkerung Zazespurs und nur wenige beherzte Hände versuchten ihn zu erhaschen. Den meisten konnte er sich durch Ducken entziehen und die ein oder zwei, welche ihn dann doch am Schlaffittchen packten machten schnell unliebsame Bekanntschaft mit seinem zwar kleinen, aber doch geschärften Messerchen. Ein Werkzeug wie jener kleine Beutelschneider liess sich eben meist zu mehrenen Zwecken einsetzen...

Der junge Rafi machte nur kurz halt, als er die unmittelbare Gefahr hinter sich gelassen hatte und doch sollte ihm jener Halt zum Verhängnis werden. Als er in einem dunklen Hauseingang ein wenig nach Luft schnappen wollte, schloss sich mit kräftigem Griff eine schwielige Männerhand um seinen Mund.

"Na, Junge, was soll den nun werden, hm?" Die zweite Hand des Mannes fasste schnell nach Rafis Beutelschneider und wand dem Jungen das Werkzeug aus den Fingern. "Hast dich mal wieder zu Extratouren aufgemacht, hm?"

Der Druck auf seinem Mund nahm nicht ab, dafür der an seiner Hand zu. "Der Nachthüter hat dir doch eindeutig gesagt, was passiert, wenn du ausserhalb deiner Gildenaufgaben arbeitest, Kleiner. Und glaub mir, deine Bestrafung hat er mir auch schon mitgeteilt... und sie wird dich ganz sicher mehr schmerzen als mich, Junge."

Quälend langsam bog der Scherge Rafis kleinen Finger in Richtung Handrücken und der Junge musste stark an sich halten, weder in Ohnmacht zu fallen noch ein Wimmern vernehmen zu lassen. Beides hätte nur dazu geführt, dass seine Bestrafung durch die Gilde länger und härter ausfiel.

"Sieh es als Test, Kleiner. Wenn dein Finger wieder richtig zusammen wächst, wirst du unser Gewerbe wohl noch weiter ausführen können..."

Ein leises Knacken, das im Vergleich zu den Schmerzen gerade zu lächerlich schien. Er konnte nicht mehr anders, Rafi ging in die Knie und der Mann entliess ihn schon fast sanft aus seinem Griff. Noch ein schneller Tritt ans Kinn, damit Rafi auch sicher keinen Mucks von sich gab.

Bevor ihm die Sinne schwanden, spürte Rafi noch wie die rauhen Hände des Mannes ihm sein hartverdientes Geld abnahmen.

"Oho... das wird dem Nachthüter gefallen... eine schöne Kollekte..."

Als er wieder zu sich kam, fand er sich in seiner Zelle im Gildenhaus wieder, der Finger gerichtet und geschient. Sein Geld, nicht nur die Beute aus dem letzten Streifzug, sondern auch das vorher erarbeitete, war - natürlich - verschwunden. Wohl gedacht als Opfer für einen Gott, der ihn mal wieder nicht unterstützt hatte. Ein weiterer Gott, dem er sein Vertrauen nicht mehr schenken konnte. Ein weiterer Blender, dem nur Narren dienten.


Des Pilgers Weg ist lang und von Dornen und Entbehrungen gespickt. Doch schliesslich wird auch ihm sein gerechter Lohn zu teil. Nur, wer wird ihn gewähren..?
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