Miana Liando - Drachenblut & Schwertklingen

Started by Alaska, 03. November 2007, 03:48:59

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Alaska

„Verdammte Hexe!“ – „Verbrennt sie!“ – „Ja, sie soll brennen!“
Atemlos hetzte das junge Mädchen durch den Wald. Sie konnte den heißen Atem ihrer Häscher fast im Nacken spüren, oder war es doch die Hitze des Feuers, das sie verursacht hatte? Mit ängstlichem, gejagtem Blick versuchte sie die Dunkelheit der Nacht zu durchdringen, die nur vom fahlen Mondschein zurückgedrängt wurde. Sie wußte, sollte sie eine aus dem Boden ragende Wurzel übersehen und darüber stolpern, wäre es ihr Ende, denn der wütende Mob hinter ihr dürstete nach Blut. Aber wie es so oft ist, wenn einem etwas Schlimmes passieren kann, passiert es auch. Eine Wurzel durchbrach mit ihrem Rücken kaum das Erdreich. Moos bedeckte die Wurzel und macht sie so in dieser Situation fatal rutschig, als die Kleine drauftrat und mit erstauntem Blick den Boden auf sich zukommen sah.
Schmerzhaft schürfte sie sich Hände und Knie auf und Tränen schoßen ihr in die Augen. Als sie versuchte sich wieder aufzurappeln wurde sie unsanft zurückgestoßen, der Mob hatte sie eingeholt und bildete nun einen undurchdringlichen Kreis um sie, einige der Bauern hatten sogar ihre Mistgabeln dabei und natürlich durften auch ein paar Fackeln nicht fehlen, um das Szenario komplett zu machen. Hasserfüllte Schreie gelten ihr entgegen. „Jetzt haben wir dich, Hexe! Du wirst büßen!“
Als einer der Männer seine Mistgabel wie einen Speer hob und das kleine Mädchen bereits weinend mit dem Leben abgeschlossen hatte, ertönte über den Köpfen der Menschenmasse eine amüsierte Stimme: „So... ich denke ihr habt der Kleinen jetzt genug Angst eingejagt.“
Die Blicke richtet sich nach oben und erspähten einen Mann, der auf einem Ast hockte. Und er befand sich tatsächlich in der Hocke, berührte den Ast in einem beeindruckenden Balanceakt praktisch nur mit den Zehen und hatte die Arme locker über die Oberschenkel gelegt.
Einer der Männer, der jetzt für alle sprach, runzelte die Stirn und gab zur Antwort: „Das hier hat euch nicht zu interessieren Fremder, verschwindet!“
Mit einer geschmeidigen Bewegung sprang der Fremde vom Baum genau in die Mitte des Menschenkreises und dreht sich langsam, um alle einmal mit dem Blick taxieren zu können. Ruhig und ohne dieses schon fast beunruhigend amüsierte Lächeln abzulegen sprach er: „Wie wär’s; wir beruhigen uns jetzt alle und gehen nach Hause.“
Der Fürsprecher des Mobs meldete sich wieder zu Wort: „Welches Zuhause? Sie hat unsere Häuser angezündet, diese kleine Hexe hat sie mit ihrer verfluchten Magie in Brand gesteckt!“
Nur kurz bedachte der Fremde das wimmernde Häufchen Elend mit einem Blick und antwortete im leicht spöttischem, halb vorwurfsvollem Ton: „Und da jagt ihr lieber das kleine Mädchen durch den Wald, anstatt zu versuchen euer Hab und Gut zu retten...“
„Verschwindet endlich oder teilt ihr Schicksal!“ Auf diese Worte hin hoben einige drohend ihre Waffen, größtenteils Mistgabeln, aber dazwischen auch einige Sensen und Dreschflegel.
Ein zufriedenes Grinsen legt sich auf das Gesicht des Mannes, als wenn er nur darauf gewartet hätte. Während er sein Schwert aus der Scheide zog, eine Mischung aus Langschwert und Rapier, sagte er in aller Seelenruhe: „Ihr werdet sicher nicht über das Schicksal der Kleinen oder das meine entscheiden.“
Mit einem guturalen Knurren stürzte einer der Männer sich von hinten auf ihn und Blut schoß durch die Luft, als diesem vom Schwertknauf die Nase gebrochen wurde.
„Netter Versuch, wer will als nächstes?“ Mit seinem spöttischen Grinsen schaute er sich um und beobachtet die Männer, die deutlich in der Überzahl waren. Von zwei Seiten stürtzten sie sich auf ihn, einer schwang einen Dreschflegel und zielte auf den Kopf des Fremden, traf jedoch seinem Mitkämpfer, als sein eigentliches Ziel sich unter dem Schlag hinweg duckte und wurde gleich darauf durch einen Ellenbogen, der ihm von unten tief in die Magengrube getrieben wurde, zu Boden geschickt.
„Hm... ich glaub ich hät mein Schwert auch stecken lassen können, was meint ihr?“
Zornig griff der Mob nun als eine Einheit an, doch da keiner der Bauern ein erfahrener Kämpfer war, behinderten und verletzten sie sich teilweise gegenseitig. Den Rest erledigte der Fremde mit erschreckender Präzision, entwaffnete manche und schlug andere bewußtlos, ohne auch nur einen zu töten.
Der blutige Tanz dauert wohl nicht länger als eine Minute und die, die danach noch auf den Beinen waren, suchten ihr Heil in der Flucht.
Bedächtig scheidete er sein Schwert und wandte sich dann dem kleinen Mädchen zu. Vorsichtig nahm er sie auf den Arm, da sie immer noch regungslos zusammengekauert lag und anscheinend nicht bemerkt hatte, dass sie ihr Leben behalten durfte, zumindest vorerst.
Als er davon ging, macht er noch neben einem der Bewußtlosen halt, klemmte den Fuß unter dessen Goldbeutel am Gürtel und beförderte ihn mit einem Ruck in die Luft. Mit einem lakonischen „Aufwandsentschädigung...“ ließ er ihn in die ausgestreckte Hand fallen, ohne dabei das Mädchen von den Armen zu lassen.
Aria Fhirnriveien

Alaska

Als sie die Augen aufschlug war es schon weit nach dem Morgengrauen, zumindest nahm sie es aufgrund des Sonnenscheins an, der durch die provisorische Zeltplane schimmerte. Irgendwer hatte sie zum Schlafen hier hergebracht und ihre Schürfwunden gesäubert, ohne dass sie etwas davon mitgekriegt hatte. Der angenehme Duft eines Bratens ließ das Wasser im Mund zusammenlaufen und lockte sie nach der Orientierungsphase rasch nach draußen.
Vor dem Zelt, das sich am Rande einer Waldlichtung befand, erspähte die Kleine einen ihr mit dem Rücken zugewandten, dunkel, ja fast düster gekleideten Mann. Dazu noch das halblange schwarze Haar und die wettergegerbte, sonnengebräunte Haut ließ ihn für sie nicht gerade vertrauenserweckend wirken. Bestimmt ein umherziehender Räuber, dachte sie bei sich. Aber der Hase, den er auf dem Spieß über einem Lagerfeuer drehte, drängte erstmal jegliches Mißtrauen in den Hintergrund. Zudem wurde sie ohnehin von ihrem knurrenden Magen verraten, worauf hin der Mann am Feuer sich zu ihr drehte. Nun konnte sie auch sein Gesicht erkennen. Es wurde von einem dünnen Schnur- und Kinnbart verziert, auf dem Rest der Kinnpartie lag ein schwacher Drei-Tage-Bart. Zumindest verblasste dadurch der anfängliche Eindruck eines Schurken und macht dem eines windigen Freibeuters auf Landgang platz. Aber nicht nur der Bart zierte sein Gesicht, auch einige Narben, die stummen Zeugen überstandender Kämpfe. Die auffälligste erstreckte sich senkrecht ungefähr 4 Fingerbreit lang neben seinem rechten Auge, eine weitere blass zu sehen quer über seine rechte Wange und noch eine waagerecht verlaufend über seiner linken Augenbraue.
Er setzte ein einnehmdes Lächeln auf und entblößte damit zwei Reihen gepflegt weißer, gerader Zähne, keiner davon golden. Zumindest in der Hinsicht erfüllte er nicht das Piratenklischee.
„Ist die schlafende Prinzessin endlich aufgewacht...“, sagte er mit schwach spöttelndem Unterton. Mit geschmeidigen Bewegungen stand er auf und ging zu ihr rüber. Die Scheu saß noch tief in ihr, die Ereignisse der letzten Nacht, die Flucht lagen noch nicht weit genug zurück. Dennoch blieb sie am Zelteingang stehen, auch wenn sie kurz versucht war zurück ins Innere zu flüchten.
Als er dann direkt vor ihr stand, betrachtete er sie aufmerksam aus seinen wachen, graugrünen Augen, blickte auf das kleine Mädchen herab, das unter seinem rot-blonden Haarschopf aus strahlend blauen und im Moment etwas unsicheren Augen zu ihm hochblickte. Und diese Kleine mit den Sommersproßen und der Stupsnase sollte eine Brandstifterin sein?
Mit einer knappen Geste wies er auf einen der beiden Baumstämme, die als Sitzgelegenheit am Feuer dienten. „Setz dich, ich glaube wir beiden haben uns einiges zu erzählen.“
Zuerst schaute sie nur und er wollte sich bereits mit etwas Nachdruck wiederholen, doch dann setzte sie sich langsam in Bewegung und tappste zu dem Baumstamm rüber. Als sie sich niedergelassen hatte nickte er zufrieden und setzte sich auf den anderen. Er beugte sich etwas vor um weiter am Spieß zu drehen und schaute sie über das Feuer hinweg an, wie sie eingeschüchtert dasaß.
„Ich bin Darvos, Darvos Drachenklinge...“, brach er das Schweigen, das sich für einen Moment über die beiden gelegt hatte. So wie er sich vorstellte, schien er ziemlich stolz auf seinen Namen zu sein, auch wenn es wohl kaum sein wirklicher war. Und er handelte sich damit im ersten Moment einen verständnislosen Blick ein.
„Hm...? …Oh..... Mi..Mi..Miana... Liando…”, antwortete sie kleinlaut.
“Gut, Mimimiana…”, wieder mit diesem spöttischem Unterton, “oder soll ich dich Mimi nennen...?“
Er setzte wieder sein einnehmdes Lächeln auf und seine Stimme klang nun etwas milder, ohne Spott: „Naja... ich werd es bei Mia belassen, wenn du nichts dagegen hast, das passt wohl eher... Also Mia, wie alt bist du?“
Miana blickte auf und antwortete leise: „... 10 Sommer ...“
Ihre Antwort wurde von einem schwachen Nicken seinerseits quittiert und nach einer Weile fügte er an: „... recht jung für eine Brandstifterin.“, und beobachtete genau ihre Reaktion, die darin bestand dass sie zusammenzuckte und schuldbewußt den Blick senkte.
„Also stimmt es... keine Sorge, ich mach dir sicher keine Vorwürfe. Wir haben alle unsere Leichen im Keller, und bei dir gilt wohl früh übt sich...“
„Ich... ich wollte das nicht... ich weiß gar nicht wie das passiert ist...“
„Deine „netten Begleiter“ gestern Nacht meinten durch Magie... siehst mir aber nicht gerade wie eine Magierin aus, hm?“
Leicht schüttelte sie den Kopf auf diese rhetorische Frage.
„Dann erzähl doch mal was passiert ist, Mia.“
Etwas unentschlossen blickte sie ins Feuer und antwortete dann leise: „Ich war in der Scheune... da.. hat sich eine Spinne auf meine Schulter gesetzt und ich hab mich furchtbar erschrocken...“
Ihr Zuhörer konnte sich ein schwaches Schmunzeln nicht verkneifen, unterbrach sie aber nicht und sie erzählte weiter: „Ich hab versucht sie wegzuschlagen und im nächsten Moment brannte der Heuhaufen...“
„Einfach so? Ist vielleicht eine Öllampe umgekippt?“
„Hm... nein... alle Lampen und Fackeln dort waren gelöscht... mir reichte auch das Mondlicht.“
„Und du sagst du hast keine Magie benutzt?“
Wieder ein Kopfschütteln. „Ich wüßte gar nicht wie.“
„Ist sowas ähnliches früher schonmal passiert?“
Sie zögerte etwas, bevor sie antwortete: „Mama und Papa meinten seitdem ich bei ihnen bin, sind viele seltsame Dinge passiert...“
„Was für Dinge?“
„Geräusche... Lichter...“ Sachte biss sie sich auf die Unterlippe und schaute ins Feuer. „Ich glaub...“, fuhr sie leise und stockend fort, „sie hatten überlegt mich wegzugeben... sie sagten ich würde mit irgendwelcher Funkensprüherei Unheil bringen... und das ich sowieso nicht ihre richtige Tochter bin...“
Feucht glitzerten ihre Augen im Schein des Feuers und Darvos verbarg seine kurz aufkeimende Bestürzung nur mit Mühe. Dennoch fuhr er weiterhin im ruhigen Ton mit den Fragen fort: „Haben sie dir das so gesagt?“
„... nein... ich hab sie belauscht... sie dachten ich würde schon schlafen...“ Sie kaute etwas unsicher auf der Unterlippe, bevor sie fortfuhr. „Als ich hörte das sie mich weggeben wollen... bin ich aus dem Haus gelaufen und in die Scheune... dann ist das mit dem Feuer passiert... alle kamen zur Scheune gerannt und als sie mich rauskommen sahen... haben sie mir gleich die Schuld gegeben...“ Nach einem kurzen, unbehaglichen Schlucken sprach sie weiter. „Als meine Eltern dazukamen... erzählten sie den anderen ich wäre eine Hexe und dann fingen plötzlich alle an mich anzuschreien...“ Während des Erzählens zog sie die Beine an, legte die Arme drum herum. Über die Knie hinweg blickte sie gedankenverloren ins Feuer. „Einige warfen sogar Steine... ich wußte nicht was ich tun soll, das Feuer griff immer weiter um sich und dann bin ich davon gelaufen...“ Darvos lauschte dem Ganzen schweigend, während sein Gesichtsausdruck immer härter wurde. Leise und bedrückt murmelte sie: „Was mach ich jetzt ohne Mama und Papa...?“
Mit einem leisen Seufzer lockerten sich seine Züge wieder. „Miana, du musst diesen Leuten keine Träne nachweinen. Sie waren wirklich nicht deine richtigen Eltern, wie sie sagten...“
„W-was?“ Ungläubig blickte sie ihn an.
„... ansonsten hätten sie dich nicht so verraten. Sie hätten dich beschützt.“ Er unterstrich die Selbstverständlichkeit dieser Aussage mit einer wegwerfenden Geste. Für einen Moment hielt er inne und betrachtete sie abschätzend. „Und nochetwas... Sie hatte nicht unrecht, ich denke du bist wirklich eine Hexe.“
Erschrocken starrte sie ihn an, als hätte er gesagt: ‚Übrigens, ich bring dich nachher um. ‘ Er deutete ihren Blick richtig und lächelte ihr beruhigend zu. Damit hätte er rechnen müssen, schalt er sich insgeheim, sie wußte wohl kaum was das zu bedeuten hatte, nur Schauermärchen und was diese Bauerntölpel ihr hinterhergeschrien hatten.
„Bleib ruhig Kleines, du hast deswegen nichts von mir zu befürchten... Weißt du was es bedeutet eine Hexe zu sein?“
Leise murmelnd antwortete sie: „Ich weiß nur, dass die Leute einen dafür jagen...“
Mit einem zustimmenden Nicken fügte er hinzu: „Hier in Amn schon, ja... aber es heißt auch, dass dir große Macht innewohnt. Es gibt Menschen, denen liegt die Magie im Blut, es ist ihnen sozusagen angeboren Magie zu wirken.“
„Aber... ich kann doch gar keine Magie wirken...“
„Ich glaube schon, du weißt nur noch nicht wie du es kontrollieren und lenken kannst.“
Über seine Worte grübelnd blickte sie ins Feuer, während er den Hasen vom Spieß nahm und ihn mit seinem Dolch zerteilte.
„Hier... iß etwas.“ Er reichte ihr ein Stück vom Braten rüber. Sie biss etwas Fleisch ab und kaute halbherzig darauf herum.
„Du solltest erstmal eine Weile bei mir bleiben. Ich mein in dein Dorf wirst du wohl nicht zurückkönnen und ich kann dich hier unmöglich allein herumirren lassen.“
Überlegend blickte sie ihn an und nickte dann schwach, immerhin hatte er ihr das Leben gerettet, bei wem wäre sie im Moment wohl besser aufgehoben?
Beide aßen für eine Weile stumm und hingen jeweils ihren Gedanken nach, als ein lautes Geräusch sie plötzlich aufschrecken ließ. Hektisch blickten sie sich um, Darvos sprang auf, ließ seinen Braten achtlos fallen und griff zum Schwert. Am gegenüberliegenden Rand der Lichtung schienen die Büsche und kleineren Bäume in Bewegung zu geraten, als wenn etwas Großes aus dem Unterholz brechen würde. Und dem war auch so, wie beide feststellen mussten.
Aria Fhirnriveien

Alaska

Ein riesiges Ungetüm stürzte aus dem nahen Wald auf die Beiden zu. Darvos sprang sofort auf, als er den alten Braunbären heranstürmen sah. Das Biest musste verdammt hungrig sein, entweder das oder es war von Sinnen, sich ihnen so zu nähern, wobei Darvos mit Letzterem rechnete. Je näher es kam, desto sicherer wurde er sich dessen sogar. Der schäumende Geifer ließ keinen anderen Schluß zu, der Bär war von Malar besessen. Er warf dem zotteligen Ungeheuer seinem Braten entgegen, um es so zumindest etwas abzulenken und auszubremsen, aber das Untier schien sich nicht allzu lange damit abzugeben, im Gegenteil, es schluckte ohne zu kauen und schien Geschmack an dem knusprig gebratenen Fleisch gefunden zu haben. So hielt es weiter auf die Beiden zu, vorallem auf die kleine Miana, die immer noch unverändert mit der anderen Hälfte vom Braten dasaß und das Geschehen perplex beobachtete. „Mia, lass das Fleisch fallen und verschwinde!“ Sie schaute ihn perplex an, wie er mit dem Schwert dastand. Sie hatte nichtmal gemerkt, wie er es gezogen hatte, so schnell war es in seiner Hand gewesen.
Breitbeinig machte er sich bereit den Ansturm zu stoppen. Mit dem Schwert in der Rechten versuchte er dem riesigen Bären in die Kehle zu stechen, konnte dann aber nur ein ersticktes Keuche von sich geben, noch bevor er den Schwertstreich auch nur zur Hälfte ausgeführt hatte. Er hatte die Schnelligkeit des behäbig erscheinenden, bepelzten Riesens unterschätzt. Eine gewaltige Pranke traf ihn genau auf die Brust und schleuderte ihn mit zerrissenem Hemd, einer klaffenden Wunde und einem unheilverkündenden, leisen Knacksen, das im Moment aber das lauteste Geräusch für ihn zu sein schien, wenn nicht gar das Einzige, aus dem Weg des Bären. Den Aufprall spürte er kaum noch, da der Schmerz seine Sinne überschwemmte und ihm die Schwärze vor die Augen trieb. Der Gedanke, dass wenn er hier liegenbleibt, er früher oder später als Bärenmahlzeit enden würde, schärfte seine Sinne allerdings rasch wieder, zumindest schnell genug, um zu sehen, wie das Untier sich vor Miana aufbaute.
Innerlich machte er sich schon für den unschönen Anblick bereit, der er gleich zu Gesicht bekommen würde, da sie vor Schreck immer noch wie erstarrt dasaß und dem Bären praktisch nichts entgegenzusetzen hatte, was ihrem sicheren Tod bedeutete. Naja... dann würde er eben ein weiteres Mal in seinem Leben eine übel zugerichtete Leiche sehen, oder das was davon übrigbleiben würde, wenn der Bär mit ihr fertig war und er selbst immernoch hier. Da sollte er wohl schon eher die Chance zur Flucht nutzen, seine eigene Haut retten, solange der Bär mit ihr beschäftigt wäre.
Kaum war der Gedanke durch seinen Kopf geschossen, verfluchte und verabscheute er sich selbst dafür. Er versuchte sich aufzurappeln, doch der Schmerz in seiner Brust hatte etwas dagegen und machte ihm die Sache so schwer wie möglich, sodass er nur langsam und mit zusammengebissenen Zähnen hochkam. Halb sitzend sah er, wie der Bär ein weiteres Mal die riesige Pranke hob, diesmal um Miana zu treffen, und Darvos wußte sie war nicht mehr zu retten, egal wie sehr er jetzt noch kämpfte oder ob ihr endlich einfallen würde, wie praktisch es verdammt nochmal ist, die Beine zur Flucht zur benutzen!
So schloß er die Augen, um es nicht mitansehen zu müssen...
Und öffnete sie wieder, als er einen markerschütternden Schrei vernahm. Aber es war nicht der schmerzerfüllte Schrei von Miana, die ihr Leben aushauchte. Es war der gequälte Aufschrei eines Tieres im Todeskampf, des Bären. Fassungslos sog er das Szenario mit seinem Blick auf, die kleine Mia, die mit schreckgeweiteten Augen dasaß, eine Hand von sich gestreckt, deren Handfläche zu der brüllenden, auf die Hinterbeine zur vollen Größe von fast 2 ½  Steinen aufgerichteten, lebenden Fackel gerichtet war. Der Bär hüpfte herum wie eine Jahrmarktsattraktion. Wäre da nicht diese unerträglichen, kreatürlichen Schmerzensschreie und der Geruch vom verbrannten Fell gewesen, hätte der Anblick direkt etwas befremdlich Komisches gehabt.  Allerdings wenn man mit ansah wie das Tier sich hin und herwarf, auf der nun freigelegten Haut Brandblasen platzen und die Augen in den Höhlen zu kochen anfingen, gab es an dem Anblick wirklich nichts Komisches... aber für Darvos war er auf eine gewisse Art und Weise befriedigend.
In den letzen Zuckungen befindlich, lag der Berg verbrannten Fleisches vor Miana. Der nun makaber erscheinende Geruch eines wohlschmeckenden Bratens legte sich über die Lichtung und Mia, die das ganze verursacht hatte, konnte nicht anders als sich umzudrehen und dann mit leisen, würgenden Geräuschen das Bißchen von sich zu geben, das sie heute schon zu sich genommen hatte. Auch Darvos Magen krampfte sich leicht zusammen, aber er konnte sich beherrschen, er hatte schon schlimmeres miterlebt. Er kämpfte sich auf die Beine und stützte sich dabei auf sein Schwert, wie auf einen Gehstock. Vorsichtig begann er dann seine Brust abzutasten. Es schmerzte zwar, ließ sich nun aber aushalten. Glück im Unglück, es schien wohl nur eine seiner Rippen angeknackst zu sein, nicht gebrochen, wie er im ersten Moment befürchtet hatte. Er würde daran nicht sterben, wenn dann eher an einer Infektion der Wunde wenn er sie nicht auswaschen und verbinden würde.
Aber erstmal sah er wieder zu Miana, die nun einige Meter weit weg hockte, dem toten Bären den Rücken zugewandt und die Arme um sich selbst geschlungen. Sie war eben noch ein kleines Kind, aber verdammt, dass sie so mächtig ist, damit hätte er nicht gerechnet; was für ein Potential mochte noch in ihr schlummern? 
Bedächtig ging er zu ihr rüber und legt ihr sanft eine Hand auf die schmale Schulter, sie zitterte wie Espenlaub. „Keine Angst... jetzt ist alles vorbei. Aber wir sollten weiter, bevor - “ Er wurde mitten im Satz unterbrochen, als sie sich umwandte und ihn mit feuchten, verängstigten Augen ansah, nur um ihm danach schutzsuchend an die Brust zu fallen und sich an ihn zu drücken. Im ersten Moment war er zu überrascht, um zu reagieren, dann verzog er das Gesicht, als sie ihre Arme um ihn legte, wobei sie nicht ganz um den Brustkorb rumkam, und leicht drückte. „Mia, du tust mir weh.“
Wie von einem Peitschenhieb getroffen zuckte sie zurück und senkte den Blick. „T-t-tut mir leid...“, sagte sie kleinlaut und leicht weinerlich. Er setzte ein mildes Lächeln auf und wuschelte ihr durch die Haare.
„Wir müssen schnell aufbrechen, bevor andere Tiere angelockt werden, hilf mir die Sachen zusammenzupacken.“
Nur kurz wagte sie einen Blick zu dem Fleischbrocken an der Feuerstelle, um die herum der Großteil von Darvos’ spärlichem Besitz verstreut war, und meinte in den Augenhöhlen noch ein wenig Glut aufglimmen zu sehen, als wenn das Biest sie aus dämonisch roten Augen anblicken würde und fuhr erschrocken zusammen, widerstand aber dem Drang wieder bei Darvos Schutz zu suchen.
„Kümmer dich am besten um das Zelt“, schlug er ihr vor und ging dann zu der Feuerstelle rüber um seine Habseligkeiten einzusammeln und im Reisegepäck zu verstauen. Miana tappste zum Zelt rüber, zum Glück musste sie dabei weder an dem Bären vorbei oder ihn auch nur angucken. Etwas unbeholfen versuchte sie dann es abzubauen.
Darvos beobachtete sie eine Weile dabei und bemerkte auch, wie sie konsequent jeden Blick zu dem erlegten Tier vermied. Sie ist eben doch noch ein kleines Kind, sagte er sich wieder im Stillen, daran würde er sich noch gewöhnen müssen.
So brachen die beiden kurze Zeit später auf und ließen den Kadaver zurück, die Natur würde sich auf ihre Weise darum kümmern.
Die Wanderung zum nächsten Ort nahm einige Stunden in Anspruch und wurde nur von einer Rast unterbrochen, die die beiden am nächsten Bach einlegte, damit Darvos seine Wunde versorgen kann. Sorgfältig wusch er sie aus, während Mia mit den nackten Füßen im Wasser am Ufer saß und auf seinen vernarbten Rücken schaute. Was mochte dieser Mann schon durchgemacht haben? Manche muteten wie sich überkreuzende Striemen von Peitschenhieben an. Auch seine Arme und sein restlicher Oberkörper waren gezeichnet. Blasse Narben von Schnitten an den Armen, an der Schulter eine leicht längliche Einbuchtung, die nur von einem Schwert stammen konnte, das ihm jemand dort hineingetrieben hatte, auf der rechten Brust das milchige Narbengewebe einer Verbrennung und jetzt schräg daran vorbei noch drei lange, tiefe Wunden, die wohl auch dauerhaft seinen Körper prägen werden.
Aber bevor es dazu kommen konnte, musste er die Wunde erst noch verbinden, was sich gar nicht so einfach gestaltete, da er dazu seinen gesamten Brustkorb mit dem Verband umwickeln musste, und ihm jedesmal ein Schmerz durchzuckte, wenn er sich drehte oder die Arme nach hinten nahm, der ihm die Zähne zusammenbeißen ließ.
„Kann... kann ich vielleicht helfen?“, fragte Miana vorsichtig, nachdem sie ihm eine Weile bei seinem unbeholfenen Versuchen zugeschaut hatte. Er war nicht gerade bester Laune, sparte sich aber den zynischen Kommentar, der ihm auf der Zunge lag und zwang sich dazu ruhig zu sprechen. „Ja... das kannst du... du musst mir den Verband anlegen...“
„Ich... werd es versuchen...“ Sie nahm den Verband entgegen, und betrachtete für einige Augenblicke mit ängstlichem Erstaunen seine unzähligen Narben, bevor sie sich dann daran machte, ihm den Verband um den Brustkorb zu wickeln. Sie hatte zwar nicht viel Erfahrung in solchen Dingen, aber Darvos stellte fest, das sie ein recht cleveres Mädchen war, das seine Anweisungen und Ratschläge schnell umsetzte.
Es dauerte zwar etwas, aber am Ende hatte er einen straff sitzenden Verband, der sich bis knapp unter die Rippen um seinen Oberkörper legte.
Kritisch musterte er den Verband. „Das hast du gut gemacht, Kleine.“ Ein schüchternes, aber fröhliches Lächeln legte sich auf ihr Gesicht und sie war sichtlich stolz auf ihr Werk und über sein Lob, und es sollte nicht das letzte Mal bleiben, das sie die Gelegenheit dazu erhalten würde, seine Wunden zu versorgen.
Aber fürs erste war alles getan, was getan werden konnte und so setzten die beiden ihren Weg fort, der am Anfang einer langen Wanderschaft stehen sollte.
Was beide nicht bemerkten, war die dunkle Gestalt, die sie aus ihrem Versteck heraus beobachtete, und ihnen unentdeckt ein Stück des Weges folgte, um dann bei ihrer nächsten Rast rasch an den beiden vorbeizuziehen und ihnen in die nächste Ortschaft vorrauszueilen. Wobei Ortschaft wohl der falsche Ausdruck ist, Metropole wäre für eine Stadt wie Atkatla zutreffender.
Aria Fhirnriveien

Alaska

Atkatla, die Stadt des Goldes, Sündenpfuhl Faerûns. Hier begannen schon viele Geschichten und mindestens ebenso viele fanden ein teils abruptes Ende. Schöne oder auch abstoßende Geschichten, wie zum Beispiel die des Mörders im Brückenviertel, der seine Opfer häutete. Und auch tragische, eine solche war erst vor kurzem in aller Munde. Die beiden Kinder zweier verfeindeter Adelshäuser hatten sich ineinander verliebt und wurden durch die Rivalität ihrer Familien in den gemeinsamen Tod getrieben. Die Familien erkannten dadurch ihre Narretei und beendeten die Fehde. Da trennt sich die Geschichte von der Realtität, in Wirklich war die Feindschaft der beiden Familien jetzt noch größer als vorher, da jede Familie der anderen die Schuld an dem Unglück zuschob und daran, dass sich die anderen Adelshäuser das Maul über sie zerreissen und ihr schwer erarbeitetes Ansehen in der Gesellschaft ruiniert war.
Aber vieles davon kriegen die meisten Leute in Atkatla gar nicht mit, weil sie mit ihren eigenen Problemen, ihren eigenen Geschichten beschäftigt sind. Ebenso die beiden, die gerade erst in die Stadt gekommen waren und sich jetzt auf dem Weg zu Waukeens Promenade befanden.
Mit großen Augen bestaunte Miana alles um sich herum, die vielen, großen Häuser aus Stein, das rege Treiben der Menge, die dicht an dicht gedrängten Marktstände und schillernden Gestalten dazwischen, in ihren bunten Sachen aus feinem Stoff. Sowas alles hatte sie vorher noch nie gesehen, allein in die Promenade hätte ihr Heimatdorf mehrere Male reingepasst.
Darvos hingegen nahm sich nicht die Zeit irgendetwas zu bestaunen, er beobachtete; beobachtete wie ein kleiner Taschendieb seinem Tagewerk nachging, während ein anderer das Opfer ablenkte; beobachtete zwei finstere Gestalten in einer dunklen Ecke, die immer mal wieder einen Blick zu einer bestimmten Tür warfen, wahrscheinlich jemanden auflauernd oder auf den richtigen Zeitpunkt zum einbrechen wartend; beobachtete einen Hütchenspieler und schien als einziger zu bemerken, wie dieser die Kugel verschwinden ließ, was die Chance das richtige Hütchen zu finden drastisch reduzierte.
Eigentlich war diese Stadt gar nicht so schlecht, wenn man das alles nicht sah, aber er konnte seinen Augen nicht verschließen und es schien seine geschulten Sinne geradezu anzuspringen. Er wollte diese Stadt nie wieder betreten, aber Miana hatte seine Pläne geändert. Außer den Sachen am Leib besaß sie nichts und das musste geändert werden, wenn er sie mit auf Reisen nehmen wollte, zudem musste seine eigene Ausrüstung auch wieder aufgestockt werden. Und wo hätte man das besser tun können, als hier, an einem Ort, wo praktisch alles für Geld erstanden werden konnte. Außerdem hoffte er hier jemanden zu treffen, der ihm mit der „Ausbildung“ half, die er mit Miana vor hatte. Wenn ihre Kräfte weiter so unkontrolliert hervortraten, könnte es leicht zu einem Unglück kommen.
„Mia, versuch bitte, dir das Landei nicht ganz so sehr anmerken zu lassen. Muss ja nicht jeder wissen, dass du noch nie in der Stadt warst.“ Sie klappte den Mund zu, der ihr vor Staunen ein wenig offen stand, als sie die ganzen Waren betrachtet hatte, die überall auslagen. Natürlich konnte sie nicht einschätzen, dass wohl mehr als die Hälfte davon nur billiger Ramsch war. Darvos, der etwas schroffer gesprochen hatte, als es seine Absicht war, schob einen allzu aufdringlichen Händler einfach beiseite. Er war angespannt, diese Stadt ließ seine Maske der Ruhe und Überlegenheit bröckeln.
Allmählich steuerte Darvos zusammen mit Miana auf einen Laden zu, Abenteurers Allerlei. Sobald sie den Laden betreten hatten, fing Miana auch schon an, aufgeregt wie ein kleines Kind, das war, hin und her zu wuseln und sich alles staunend anzugucken. So ein Sortiment hatte sie in dem kleinen Krämerladen in ihrem Dorf schließlich noch nie bewundern dürfen. Sie bestaunte einige blank polierte Schwerter mit erstaunlich scharfen Klingen. Mit einem verschmitzten Funkeln in den Augen schaute sie kurz verstohlen nach links und rechts und zog dann eines der leichten Kurzschwerter aus dem Waffenregal. Während sie damit in der Luft rumstach, gab sie sich einen Moment ihren kindlichen, romantisch verklärten Phantasien von Rittern, Drachen und Jungfrauen hin, oder doch lieber die Phantasie eines vagabundierendes Räubers, der trotz seines selbstgewählten Lebensweges viele Heldentaten vollbringt und Abenteuer besteht.
Eine penetrante Stimme riss sie aus ihren Tagträumereien. „Leg das Schwert zurück!“, drang es zu ihr durch. Es war die Stimme eines Mannes, der sich allein schon vom Reden den Schweiß von der Stirn tupfen musste und bei dem man befürchtete, er würde jeden Moment an einem Herzschlag sterben. Was vermutlich auch in den nächsten 1 oder 2 Jahren passieren würde, sofern er sich vorher nicht einfach in seiner Maßlosigkeit überfrisst. „Sagt ihr, sie soll das Schwert zurücklegen!“, wandte er sich an Darvos. „Sie wird es mit ihren kleinen, schmutzigen Händen ganz dreckig machen. Bei diesen Bälgern weiß man doch nie, wo die mit ihren Händen waren.“ Er betupfte sich die Stirn mit einem weißen Tuch. „Dreckige Schwerter will niemand kaufen. Jetzt leg es zurück, du Göre!“ Er tupfte wieder. Darvos blickte ihn missmutig an, dieser Mann war ihm sichtlich unsympathisch.
„Hütet eure Zunge, sie ist mit Sicherheit sauberer als so manch anderer, dessen Gold ihr nehmt.“ Dann wandte er sich an Mia: „Behalt es ruhig, wenn du magst.“
Fröhlich grinsend steckte sie das Schwert verwegen-schief hinter ihren Gürtel, wie sie es aus Erzählung von Kämpfern und Helden kannte und setzte dann sogleich ihren Erkundungsgang weiter fort. Darvos hatte sich wieder abgewandt, um mit dem Händler über den Preis des Schwertes und einiger andere Sachen zu verhandeln. Er hielt ihn für halsabschneiderisch hoch, der Händler hingegen für viel zu niedrig und unsagbar günstig.
Während die beiden weiterstritten, kam Miana in den hinteren Teil des Ladens, der mit Bücherregalen vollgestopft waren. In ihnen waren nicht nur Bücher aufgereiht, sondern auch Unmengen an Schriftrollen, Gläsern mit seltsam anmutenden Zutaten und anderen für sie unidentifizierbaren Dingen. Sie schritt die Regalreihen ab und war ganz vertieft in darin, die ausgestellten Waren zu betrachten, sodass sie gar nicht merkte, dass da plötzlich ein paar Beine vor ihr waren, gegen die sie frontal prallte. „Pass doch auf, du kleine Kröte!“, wurde sie von oben angeschnauzt. Als sie hochblickte, um zu sehen wer zu den Beinen gehörte, blickte sie in ein pocknarbiges Gesicht, aus dem sie wütende Augen anfunkelten. Der Mann vor ihr war in eine typische Magierrobe gekleidet, was vermuten ließ das er entweder Magier war oder einen verschrobenen Modegeschmack besaß.
„Es... es tut mir leid...“, brachte sie kleinlaut hervor.
„Ja ja...“, murrte er und wollte sich schon abwenden, als er über sie hinwegblickte. „Darvos?“
Miana blickt bei seiner Frage über die Schulter zu Darvos, der sich den beiden näherte.
„Fingil, alter Funkensprüher und Gauner!“, sprach er überschwenglich und die beiden schüttelten sich mit festem Druck die Hände, wie alte Freunde.
„Wer ist hier der Gauner? Mich wundert es, dass sie dich noch nicht aufgeknüpft haben.“
„Ja, und mich das die Verhüllten dich noch nicht verschleppt haben.“
„Tja, man muss eben nur für die richtigen Leute arbeiten... Aber sag, was machst du in der Stadt? Ich hätte nicht gedacht, dass du dich nochmal hier blicken lässt. Du weißt hoffentlich das Aarin verdammt sauer auf dich ist und wie nachtragend er sein kann.“
„Sauer ist untertrieben, aber egal... ich bleib nicht lange, ich wollt nur ein paar Sachen für die Kleine besorgen.“ Er nickte gen Miana, die ein wenig beiseite getreten war und den beiden neugierig lauschte.
Fingil musterte sie kurz und grinst dann breit gen Darvos. „Ich wusste gar nicht, dass du Vater geworden bist. Hatte dich ja immer gewarnt, dass sowas mal passieren würde. Na wenigstens scheint sie Glück gehabt zu haben; ist nach der Mutter gekommen und nicht nach dir.“
„Sagt der Kerl mit ’ner Kraterlandschaft im Gesicht. Sie ist nicht meine Tochter, ich hab sie... naja... aufgesammelt. Aber ich könnt deine Hilfe gebrauchen, du kennst dich mit Magie und dem ganzen drumherum besser aus als ich.“
„Was hat das jetzt mit Magie zu tun?“
„Das erklär ich dir später, ich muss mir nur etwas Wissen aneignen. Gibt es die blitzende Klinge noch? Dann treffen wir uns heute Abend dort.“
„Die gibts noch... gut, heut’ Abend dann.“
„Perfekt... ich muss noch ein paar Sachen besorgen, bis dann.“
Fingil nickte Darvos zum Abschied zu und schaute ihm nach, als er ging. Miana zögerte mit dem Folgen noch einen Moment und betrachtete ihn. Irgendwie war dieser Mann ihr nicht geheuer, aber sie konnte nicht genau sagen warum. Als Darvos sich nach ihr umdrehte folgte sie eilig.
Aria Fhirnriveien

Alaska

Der Tag neigte sich dem Abend entgegen. Darvos war schon viel länger in dieser Stadt, als es ihm lieb war. Eilig schritt er aus und musste sich ein wenig zügeln, damit die kleine Miana noch schritthalten konnte. Sein Ziel war die Taverne „zur blitzenden Klinge“. Soweit er es in Erinnerung hatte neutraler Boden, aber das konnte sich schon längt geändert haben.
Er betrat die Taverne und rannte gegen einen Wall abgestandener und nach Alkohol und Schweiß riechender Luft. Manches ändert sich eben nie, wie in den guten, alten Zeiten, dachte er sarkastisch. Miana verzog angewiedert das Gesicht dabei und wäre wohl am liebsten sofort wieder rausgegangen, aber sie wollte Darvos nicht allein lassen oder besser gesagt nicht allein gelassen werden.
In einer dunklen Ecke des Schankraumes stand Fingil auf und blickt zu Darvos rüber. Als dieser sich sicher war, dass er bemerkt wurde, ging er langsam die Treppe hinauf. Darvos folgte und ihm dicht auf Miana. Das Mädchen wirkte hier recht fehl am Platze, bekam daher den meisten der zwielichtigen Gestalten auch einen kurzen Blick zugeworfen, von einigen wenigen sogar einen etwas längeren, der eher an den Blick eines Tieres als an den eines Mannes erinnerten und obwohl sie es nicht deuten konnte, ihr ein unangenehmes Gefühl bereitete.
Als die drei oben ankamen, warf Fingil den beiden nur ein knappes „Da rein...“ zu und schloß eine Zimmertür auf. Der Raum dahinter schien komplett im Dunkeln zu liegen, die Fensterläden waren geschlossen. Fingil trat ein und griff eine Kerze. Hastig winkte er Darvos rein und ließ dabei die Kerze  fast fallen. Zögernd tratt Darvos ein und legte Miana eine Hand auf die Schulter. Er beobachtete, oder vielmehr lauschte wie Fingil versuchte mit Hilfe eines Zaubers die Kerze zu entzünden, anfangs ohne Erfolg, weil er sich bei dem Spruch wohl immer wieder verhaspelte, und das bei einem so einfachen.  Warum nur war er so nervös? War irgendwas passiert, seit ihrem Treffen?
Als es ihm dämmerte flammte die Kerze auf, heller als es eine normale Flamme vermocht hätte und mit einem Wink von Fingils Hand knallte die Tür hinter Darvos und Miana zu. Darvos begriff sofort die Lage, er sah sich mit zwei auf seine Brust gerichteten Armbrüsten konfrontiert, die einen Mann flankierten. Großgewachsenen, schwarzes Haar, das zu ergrauen beginnt, gepflegeter Schnauzbart und zwei eiskalt blaue Auge, die Darvos gelassen kühl anblickten.
Darvos schob Miana hinter sich und warf Fingil noch einen kurzen, verächtlichen Blick zu. „Verräter!“ Dieser zuckte unter der Anschuldigung sichtlich zusammen.
„Gerade du solltest im Glashaus lieber nicht mit Steinen werfen... schließlich hast du uns auch verraten, Darvos.“ Die strenge Stimme durchschnitt die Luft und es schwang soetwas wie Genugtuung mit, wie bei einem Jäger, der seine Beute endlich in die Ecke gedrängt hatte, bereit ihr den Gnadenstoß zu versetzen. „Schon als ich hörte, dass du auf dem Weg in die Stadt bist, hab ich mich auf deinen Besuch gefreut, aber von allein wärst du ja wohl nicht zu mir gekommen.“
Ganz langsam senkte sich Darvos’ linke Hand auf seine Schwertscheide, seinen Daumen unter die Parierstange geklemmt, und schob das Schwert ein kleines Stück heraus. Die beiden auf ihn gerichteten Armbrüste zuckten ein Stück hoch, aber die Schützen warteten wohl noch auf einen Schießbefehl.
Allerdings schien Darvos sich davon nicht einschüchtern zu lassen. Anfänglich pulsierten Wellen heißer Wut durch seinen Körper, augrund des Verrats eines angebliches Freundes und seiner eigenen Leichtsinnigkeit, als wäre er ein blutiger Anfänger. Aber jetzt machte diese Wut fast erschreckender Ruhe Platz.
„Mia, rühr dich nicht von der Stelle, egal was passiert...“ Es tat ihm in dem Moment schon leid, was sie gleich würde mit ansehen müssen, aber es ging nicht anders, für ihn gab es nur einen möglichen Ausweg aus der Situation.
Mit unverändert kühlem Blick beobachte der Schnauzbärtige Darvos. „Es ist immer schade gute Männer zu verlieren, vorallem wenn sie so überaus fähig sind, wie du. Wirklich bedauerlich dass es wegen so einer Lapalie dazu kommen musste.“ Allerdings klang seine Stimme nicht bedauernd, sie hatte eher etwas lauerndes, wie eine unausgesprochene Drohung, eine Kampfansage.
Darvos schob sein Schwert mit dem Daumen noch ein Stück weiter aus der Scheide, es wartete nur noch darauf gezogen zu werden, eine unausgesprochene Drohung als Antwort auf die andere. Im Moment wurde der Kampf noch mit Blicken ausgetragen. Die Spannung zwischen den beiden war fast greifbar, wie die drückende Schwüle eines Sommertages, bevor ein tobender Gewittersturm losbricht.
Darvos’ Gegenüber ließ ein kurzes, humorloses Schmunzeln erkennen. „Immer noch derselbe ungebrochene Kampfgeist, selbst in ausweglosen Situationen. Denk bitte daran, dass ich dich bereits vor Jahren besiegt habe.“
„Das waren Übungskämpfe, dies hier ist ernst, Aarin. Und du bist alt geworden.“
Aarin lächelte herausfordernd und selbstsicher, fast ein wenig überheblich, allerdings blieben seine Augen die ganze Zeit über eiskalt und ließen Darvos keinen Moment unbeobachtet. „Komm doch und probier aus, ob das Alter mir so zugesetzt hat. Mich haben die Jahre sicher nicht so weich gemacht, wie dich. Aber.. zur Feier des Wiedersehens, will ich mich großzügig zeigen. Anstatt dich zu töten, wie du es verdient hast, wäre ich gewillt, dir die Gelegenheit zu geben, wieder für uns zu arbeiten.“
„Fick dich…“, kam die recht eindeutige Antwort auf das Angebot, etwas unbedacht, da ja ein Kind anwesend war.
Ein übertriebener Seufzer entfuhr Aarin, er lächelte bedauernd. „Ich wußte du würdest soetwas sagen. Nungut, dann wirst du eben hier deinen Tod finden, das hat ja auch etwas für sich.“ Sein kühler, abschätzender Blick richtet sich auf Miana, die unschlüssig hinter Darvos stand. „ ... Aber keine Sorge, ich werde mich dafür auch gut um dein kleines Mädchen kümmern. Sie wird mal ein hübsches Ding, bringt sicher eine Menge ein... einige würden wohl jetzt schon eine nette Summe bezahlen. Manche mögen es, wenn sie noch jung und unschuldig sind.“ Seine Augen richteten sich wieder auf Darvos und er gestattete sich ein zufriedenes Lächeln, als er sah, wie dessen Ruhe bröckelte. Mit einem Wink richteten sich die Armbrüste der Schützen auf Miana, die erschrocken aufkeuchte und einen Schritt zurücktrat.
Dies war das Startzeichen für Darvos. Schnell und routiniert zog er sein Schwert und stürmte los. Die Schützen, die sich eben erst auf das neue Ziel eingestellt hatten, schwenkten wieder um, legten auf ihn an und drückten ab.
Das Blut pochte in seinen Schläfen und mit jedem Pochen schoss mehr Adrenalin durch seine Adern, schärfte seine Sinne, verbesserte seine Reflexe und ließ ihn alles wie in Zeitlupe erleben. Er kannte dieses Gefühl, diesen Kampfrausch von etlichen Kämpfen, die er ausgefochte hatte und begrüßte ihn wie einen alten Freund. Er ging dazu über seine Handlungen und Bewegungen nur noch im begrenzten Maße bewußt zu lenken und reagierte beinah instinktiv auf die auf ihn einströmenden Reize.
Reflexartig drehte er sich zur Seite weg und schien die Bolzen geradezu zu umtänzeln, nur haarscharf schoßen sie an ihm vorbei. Er spürte einen sogar noch über seine Haut streifen. Aus der Drehung heraus schwang er sein Schwert und traf den ersten, völlig verblüfften Schützen. Blut spritzte wie eine Fontäne und der Schütze riss vor Panik und Schmerz die Augen weit auf, während ihm die Armbrust aus der noch verbliebenen Hand fiel.
Der zweite Schütze versuchte hektisch seine Armbrust nachzuladen. Er schaffte es auch, bevor Darvos sich ihm zuwandte. Danach ging alles viel zu schnell für ihn und auch er musste erkennen, dass man eine schwere Armbrust mit nur einer Hand kaum ordentlich halten, geschweige denn abfeuern konnte. Beide Verletzten entfernten sich fluchtartig von diesem menschlichen Monster mit Schwert und drückten sich in die entlegenste Ecke des Zimmers, in der Hoffnung zumindest ihre restlichen Gliedmaßen noch an einem Stück behalten zu dürfen.
Darvos beachtete sie nicht weiter. Mit Schwung führte er einen Hieb von unten, aus der Abwärtsbewegung, der er gerade gemacht hatte, heraus und versucht damit Aarin zu treffen und wenn möglich in der Mitte zu spalten. Doch sein Hieb wurde frühzeitig gestoppt und der hohe, metallische Klang erfüllte den Raum, der so charakteristisch für den Zusammenprall zweier Klingen ist.
Aus dem Tritt gebracht fluchte Darvos still in sich hinein, er hatte ihm zuviel Zeit gegeben, seine Waffe zu ziehen. Hastig trat er einige Schritte zurück und verharrte in lauernder Verteidigungsposition. Sein Gegner schwang angriffslustig und mit übertriebenen weiten Bewegungen das Schwert vor dem Körper und macht ein paar seitliche Schritte nach links, auf die Darvos sofort mit der gleichen Anzahl an Schritten nach rechts antwortete. Die beiden umschlichen sich wie zwei hungrige Raubtiere, jeder wartete darauf, dass der andere sich eine Blöße gab.
Als Aarin einen Halbkreis vollendete hatte, setzte er ein eiskaltes Lächeln auf und Darvos erkannte, dass er einen Fehler gemacht hatte. Aarin hatte sich zwischen ihn und Miana gedrängt. „Fingil, kümmer dich doch bitte um die Kleine, damit unser lieber Darvos sich keine Sorgen um sie machen muss, solange er beschäftigt ist.“
Darvos Blick huschte von Miana zu Fingil, die beide nur angespannt dastanden, Miana verängstigt, Fingil nervös, und das Geschehen beobachteten. Auf diesen winzigen Moment der Unachtsamkeit hatte Aarin gewartet und mit einem raschen Ausfallschritt stieß er die Spitze seines Schwertes direkt auf Darvos Brust zu. Dieser konnte gerade noch im letzten Moment parieren und den tödlichen Stoß beiseite schlagen. Er sprang ein Stück zurück, um sich in Sicherheit zu bringen. „Du hinterhältiger Bastard!“
Aber Aarin ließ ihn kaum Zeit für einen weiteren Fluch, sondern nutzte die Chance um Darvos gar nicht erst wieder aus der Defensive herauskommen zu lassen und drang gnadenlos auf ihn ein, immer und immer wieder. Er gewann immer mehr an Boden und drängte Darvos auf die Wand zu. Dieser wollte es ihm nicht so einfach machen und setzte sich verbissen zur Wehr. Der Kampf wogte hin und her, Stoß, Parade, Gegenstoß, die beiden schienen sich fast ebenbürtig zu sein, doch Darvos verlor zusehens an Kraft, sein Atem ging schneller, seine Schläge kamen nicht mehr ganz so schnell wie zu Beginn und auch die Paraden wurden immer enger, dazu kam noch, dass die noch frische Wunde auf seiner Brust wieder aufriss und zusätzlich noch an seinen Kräften zerrte. Wenn er nicht bald einen entscheidenen Schlag ausführen würde, wäre das sein Ende. Ein wenig von Mianas Magie wäre jetzt wohl nicht schlecht gewesen, aber am Ende hätte sie noch das ganze Zimmer abgefackelt, vom Regen in den Hagelsturm.
Außerdem wollte er sie nicht noch weiter mit hineinziehen, diesen Kampf würde er aus eigener Kraft gewinnen. So parierte er Schlag um Schlag, Hieb um Hieb, wich immer wieder zur Seite aus und versuchte den Kampf in die für ihn passende Richtung zu lenken. Unter beständigen Klirren der Klingen und ächzen der Kämpfer bewegte sich das Kampfgeschehen langsam auf Miana zu, die immer weiter zu Wand zurückging, bis es nicht mehr weiterging. Sie befürchtete schon Darvos würde über sie stolpern.
Als Aarin dann einen weiteren Hieb von der Seite ansetze, parierte Darvos nicht, sondern duckte sich einfach darunter hinweg und führte dann seinerseits einen Hieb aus. Er schwang das Schwert im Halbkreis vor sich und drehte sich mit Schwung auf den Fersen einmal um die eigene Achse. Aarin sprang einfach über den Hieb hinweg und hob das Schwert um es auf Darvos herab sausen zu lassen. Dieser schlug die Klinge beiseite und setzte dann zum hoffentlich finalen Angriff an.
Miana beobachtete wie erstarrt das Manöver von Darvos. Erst die Drehung, der niedrige Angriff zur Ablenkung, wie sein Schwert beim vollenden der Drehung nur knapp an ihr vorbeisauste und er mit einer Schnelligkeit, die man ihm nach so einem langen Kampf kaum noch zugetraut hätte, das Kurzschwert aus ihrem Gürtel zog.
Nachdem er Aarins Klinge beiseite geschlagen und damit dessen Deckung aufbrach, schnellte er hoch und trieb ihm das Kurzschwert bis zum Heft in den Bauch. Mit Ruck drehte er es nochmal um dessen Längsachse. Beide Kämpfer hielten inne, blieben wie erstarrt stehen und wechselten einen durchdringenden Blick. Die Kälte wich langsam aus Aarins Augen und machte einer matten Leere Platz. Als sein Schwert in der plötzlich eingetretenen Stille überlaut polternd zu Boden fiel, nahm Darvos dies als Zeichen und schubste seinen besiegten Kontrahenten nach hinten, wo dieser leblos der Länge nach hinfiel und reglos liegen blieb. Ein Abgang ohne große, letzte Worte, Aarin starb mit einem vollkommen überraschten Ausdruck auf dem Gesicht und starrte jetzt verwundert die Decke des Zimmers an.
Erleichtert atmete Darvos auf und verschnaufte erstmal einen Moment. Er blickte an sich runter und machte Bestandsaufnahme. Ein paar kleiner Schnittwunden, der Verband auf seiner Brust war durchgeblutet und musste erneuert werden, aber ansonsten war wohl noch alles dran und vollständig. Dann ließ er den Blick über die restlichen Anwesenden schweifen. Ein neutraler Blick galt den beiden ehemaligen Schützen, die leichenblass versuchten die Blutungen zu stoppen. Wahrscheinlich würden sie verbluten, vielleicht auch nicht, es scherte ihn nicht. Ein hasserfüllter Blick traf Fingil, der unter diesem fast wie unter körperlichen Schmerzen zusammenzuckte. Und zum Schluß fiel ein um Verzeihung flehender Blick auf Miana. Wieviel mußte das Mädchen, aus ihrer heilen Welt gerissen, in so kurzer Zeit schon mitmachen?
Er wischte das Kurzschwert am Hosenbein Aarins ab und steckt es hinter seinen Gürtel. Langsam trat er zur Tür und fühlte sich aufeinmal unsagbar müde und erschöpft.
„Komm Mia... wir sollten besser gehen.“ Er öffnete die Tür und blickte zu ihr. Die Unsicherheit war ihr deutlich anzusehen, was war hier eben geschehen? Darvos hatte vor ihren Augen einen Mann umgebracht, zwei weitere verletzt, und das war sicher nicht das erste mal gewesen. Sollte sie jetzt wirklich mit einem Mörder mitgehen? Aber er hatte sie gerettet und was sollte sie sonst tun? Bei einem Verräter, zwei Einhändigen und einer Leiche bleiben?
Sie folgte ihm, halb unter Schock, aber er spürte, dass sie sich gleichzeitig von ihm entfernte. Es würde wohl eine Weile dauern, bis er das bisschen bisher aufgebaute Vertrauen wiedergewann.
Aria Fhirnriveien

Alaska

Die beiden ließen die Stadt so schnell wie möglich hinter sich und zogen weiter. Darvos drängte zur Eile, da er fürchtete, verfolgt zu werden. Seine Pläne schoß er damit erstmal in den Wind.
Als er meinte weit genug von der Stadt entfernt zu sein, machte er Rast und setzte sich mit Miana an ein Feuer. Er wußte, dass es nach den Geschehnissen nötig war zu reden und auch dass er dabei ehrlich mit ihr und sich selbst sein musste.
Sie führten ein langes Gespräch, dem noch viele folgen sollten. Hauptsächlich erzählte Darvos von sich, seinem Leben, seiner Vergangenheit und Miana hörte ihm zu. Manchmal macht sie es ihm mit ihren Zwischenfragen und der naiven Weltsicht eines Kindes doch recht schwer, ließen ihn aber auch nachdenklich werden. Er musste sich eingestehen, dass er in seinem Leben wohl nicht immer richtig gehandelt hatte.
So berichtete er von seiner Vergangenheit als Auftragsmörder. Da hatte sie erstmal dran zu knabbern, als sie das erfuhr. Ihr verwegener Retter war ein skrupelloser Meuchler. Ganz so skrupellos war er allerdings doch nicht, wenn man ihm Glauben schenken durfte, was auch der Grund für all den Ärger gewesen sein soll. Er arbeitete für einen mächtige Verbrecherorganisation in Atkatla und schaffte unliebsame Konkurrenten aus dem Weg, freischaffende Diebe, Mörder, die sich das falsche Opfer ausgesucht hatten, korrupte Erpresser, kurz: Abschaum, fast wie ein Wachmann, nur auf der falschen Seite des Gesetzes. Bei seinem letzten Auftrag, der wie jeder andere zu sein schien, sollte er mal wieder einen Dieb zur Strecke bringen, der meinte unbedingt unabhängig seiner Tätigkeit nachzugehen und so rechtschaffenen, hart arbeitenden und gut organisierten Dieben die Beute wegzuschnappen. Darvos verfolgte sein Opfer bis zu dessen Unterschlupf und trat einfach ein. Er war überheblich, der Auftrag erschien ihm zu einfach, um unnötig Energie in Heimlichkeiten zu verschwenden. Doch der Dieb war dort nicht alleine, wie Darvos bemerken musste.
Mit im Zimmer war ein kleiner Junge, wohl nicht viel älter als 3 Sommer. Der Dieb flehte Darvos an, er könne mit ihm machen was er will, aber sollte seinen Sohn verschonen. Schließlich hatte nur geklaut um ihn durchbringen zu können.
Darvos brachte es einfach nicht fertig, dem Jungen vor dessen Augen den Vater zu nehmen, geschweige denn beide umzubringen. Er verschonte den Dieb und ging sogar noch einen Schritt weiter, indem er beiden half aus der Stadt zu verschwinden. Allerdings blieb sein Verrat nicht lange unbemerkt, sodass er ihnen schon bald folgen musste, um nicht als erledigter Auftrag eines Kollegen zu enden. Da er in der Stadt und dem Untergrund recht bekannt war, verbreitete sich die Kunde von seinem Fall derart schnell, dass er ein toter Mann gewesen wäre, wenn er in der nächsten Zeit die Stadt betreten hätte, es herrschte eben eine Null-Toleranz-Politik gegenüber jedem noch so kleinem Verrat.
Es waren seitdem ein paar Jahre vergangen und er hatte gehofft, unbemerkt aus der Stadt rein und wieder rauskommen zu können. Das hätte wohl auch geklappt, wenn er nicht so dumm gewesen wäre, seinem alten „Freund“ zu vertrauen.
Das war seine Geschichte, zumindest ein Teil davon. Alles sollte Miana niemals erfahren, obwohl er ihr im Laufe der Jahre viele Geschichten aus seinem Leben erzählte, von denen nicht wenige frei erfunden klangen.
Er war also kein strahlender Held, eher im Gegenteil, aber durch seine Offenheit und Ehrlichkeit hatte er sich dennoch zumindest ein klein wenig Vertrauen zurückverdient. Miana blieb trotz der Sache in der Taverne bei ihm, sie hatte sonst auch niemanden und mit der Zeit fand sie auch das restliche Vertrauen in ihn wieder und festigte es noch.
In den Jahren der gemeinsamen Reisen wurde er eine Art Vaterersatz für sie, ein Freund und Mentor. Sie lernten beide viel voneinander, sie mehr von ihm, als er ihr von ihr. Er lernte hauptsächlich, wie schwierig es doch sein kann, sich noch um jemand anderes als sich selbst zu kümmern, vorallem bei so einem jungen, unbedarften Ding, aber auch wie schön es ist, nicht ständig allein sein zu müssen.
Dafür brachte er ihr zu Beginn das Lesen und Schreiben bei. In ihrem Dorf hatte es niemand für nötig erachtet ihr solche eine Bildung zuteil werden zu lassen, schließlich sollte sie auf dem Hof helfen und nicht ihre Nase in Bücher stecken. Sie war sehr gelehrig und aufgeweckt und eignete sich schnell neues Wissen an. Danach überlegte er sich, wie er ihr im Umgang mit ihren Kräften helfen konnte. Hilfe von einem erfahrenen Magieanwender einzuholen, endete ja leider im Desaster. Also sammelte er all sein rudimentäres Wissen über Hexen, Magie und alles was dazu gehörte zusammen um es ihr zu vermitteln. Gleichzeitig versuchte er auch ihre Konzentrationsfähigkeit zu verbessern, damit sie sich darauf konzentrieren konnte, ihre Magie im Zaum zu halten in die richtigen Bahnen zu lenken. Dies erreichte er mit einem einfachen Trick, nämlich indem er ihr das Spiel auf der Geige beibrachte, damit sie das Konzentrieren auf komplexe, aber dennoch intuitive Handlungen erlernte. Sie zeigte schnell großes Talent und überflügelte in ihren Künsten schon bald ihren Lehrmeister.
Als ihm sonst nichts mehr einfiel und sie sich irgendwie die Zeit vertreiben mussten, lehrte er sie Drakonisch in Schrift und Sprache, was ihr erstaunlicherweise noch einfacher fiel als alles andere, so als würde Darvos lediglich verschüttetes Wissen wecken. Fragen woher er denn diese Sprache beherrscht, wich er lediglich mit einem „Aufgeschnappt.“ aus.
Er unternahm auch noch den Versuch ihr den Umgang mit den gebräuchlichsten Waffen näherzubringen. Aber das Zeug zu einer guten Kämpferin schien nicht unbedingt in ihr zu stecken und so beließ er es dabei ihr zu zeigen wie man ein Schwert richtig rum hält und sich nicht selbst damit absticht. Ihre Magie war, wenn sie sie richtig einsetzte, ohnehin stärker als jedes Schwert.
Aria Fhirnriveien

Alaska

So zogen die Jahre ins Land und die beiden mit ihnen, mal hier hin, mal dorthin. Miana, das kleine Mädchen, wurde zum großen Mädchen und danach zur jungen Frau. Darvos blieb wie er war, nur ein Stück älter.
Es war ein beschaulicher Tag in einem kleinen Örtchen an der Schwertküste. Miana hatte vorrübergehend eine Stelle als Köchin in der örtlichen Taverne angenommen und versorgte Darvos so auch kostenlos mit Essen. Er saß gerade in einer ruhigen Ecke der Taverne. Gedankenverloren kaute er auf seinem Braten rum, der im weitesten Sinne gut durch war, das heißt außen sowie innen schwarz, übertrieben ausgedrückt. Sie übte halt noch. Außer ihm schien niemand sonst in der Taverne zu sein, wenn man von Martin, dem Dorftrunkenbold absah, der seinen Tag wie fast jeden anderen begann, bewußtlos unter dem Tisch, aufgrund übersteigerten Alkoholkonsums.
„Darvos Darascaex?“ Darvos schreckte auf. Er war in Gedanken zu sehr mit der Frage beschäftigt gewesen, ob er diesem Küchenjungen, der Miana immer solch lüsternen Blicke zuwarf, wohl noch die Finger brechen musste. Daher hatte er nicht bemerkt, dass jemand in die Taverne gekommen war. Darascaex? Er zog die Brauen leicht zusammen, mit diesem Namen hatte ihn seit einer Ewigkeit niemand mehr angesprochen. Den kannte doch höchstens noch „Sir Vhaegar?“ Die Überraschung war ihm deutlich vom Gesicht abzulesen.
Der Mann, der an seinen Tisch getreten war, stellte eine stattliche Erscheinung dar. Er hatte zweifellos schon ein gewisses Alter erreicht, die Falten in seinem Gesicht und das graue aber immernoch volle Haar zeugten davon. Trotzdessen wirkte er in keinster Weise gebrechlich oder schien vom Alter geplagt, im Gegenteil, seine charismatische Ausstrahlung zeugte von Kraft und Selbstsicherheit. Auch sein Körperbau und die geschmeidigen Bewegungen, mit denen er sich Darvos gegenüber an den Tisch setzte, ließen vermuten, dass man ihn nicht unterschätzen sollte. Die strahlendblauen Augen blickten milde, hellwach und ungetrübt zu Darvos hinüber. „Das riecht gut, dürfte ich mal probieren? Ich hab das Gefühl ich hab seit einer Ewigkeit nichts mehr gegessen.“, schmunzelte er in Darvos Richtung und schaute dabei auf den Braten.
Darvos schob ihm den Teller rüber. Vhaegar nickte dankend und probierte von dem Braten.
Mit leicht gehobenen Brauen, blickte Darvos sein Gegenüber an, der sich so vertraut gab, als wenn sie sich erst am Vortag getroffen hätten. „Sir... was macht ihr hier?“
„Essen...“ Wieder schmunzelte er, setzte aber gleich nach, bevor Darvos etwas erwiedern konnte. „ Ich habe dich gesucht, ich denke du weißt warum?“
Darvos nickte leicht und blickt an ihm vorbei zur Küchentür, hinter der er Miana wußte. „Wollt ihr sie mit euch nehmen?“, fragte er mit leicht bitterem Unterton.
Der Alte lächelte beschwichtigend. „Ich würde es wirklich gern, aber nein... eigentlich will ich mich nur vergewissern, dass es ihr gut geht, einen kurzen Blick auf meine Tochter werfen, das verstehst du sicher…? Für alles andere komme ich wohl um Jahre zu spät. Außerdem ist es vielleicht besser, wenn sie von ihrer Herkunft und von mir nichts erfährt, das könnte alles verkomplizieren.“
Wieder nickte Darvos. „Zumindest komplizierter als es für sie mit ihren Kräften eh schon ist.“
„Ja...“, seufzte der Alte, „ ... die waren schon immer der Fluch und der Segen meiner Familie. Deshalb hab ich dich ja auch ausgesandt, um sie zu suchen und zu beschützen. Du bist als ihr... Hexenritter auserkoren, um sie vor Gefahren zu schützen... und vor sich selbst. ... Es ist ja leider häufig so, dass eine Hexe, die sich selbst überlassen wird, entweder jung stirbt oder von der Macht besessen wird, die in ihr schlummert.“
„Warum habt ihr sie dann weggeben...?“
„Es war nötig damit sie einigermaßen sicher aufwachsen kann. Ihre Ur-Großmutter, meine Großmutter... ihre Macht, die sie besaß, reichte ihr nicht aus. Sie sorgte dafür, dass das Drachenblut stark in den Adern der Nachkommen bleibt, ihrer Meinung nach ist es im Laufe der Zeit zu dünn geworden. Und das ist genau das, was ich meinte, sie war von ihrer Macht besessen und ist... naja... wahnsinnig geworden. Ich mag mir gar nicht vorstellen, was sie in ihrem Wahn mit meiner Tochter alles angestellt hätte.“ Er schwieg daraufhin und ließ das Gesagte ersteinmal wirken.
„... Was ist jetzt mit ihr?“
„Tot. Sie hat sich selbst schlussendlich zugrunde gerichtet, wie alle, die nach mehr Macht streben, als sie verkraften können. Wurd‘ aber auch Zeit, bei der alten Wachtel.“
Die Küchentür schwang auf und Schweigen senkte sich über die beiden Männer. Miana kam aus der Küche geschlendert und trat munter lächelnd zu Darvos an den Tisch. Als sie den Fremden bemerkte, schenkte sie auch ihm ein freundliches Lächeln und wünschte einen „Guten Morgen.“
Er nickte und erwiederte: „Guten Morgen, hübsches Kind.“ Die Blicke der beiden strahlend blauen Augenpaare trafen sich. Sie blickte den Fremden an und schien für einen Moment wie erstarrt, etwas an ihm bannte ihren Blick, ein merkwürdiges Gefühl erfüllte sie, aber sie konnte es nicht genau bestimmen.
„Mia, könntest du für uns beide noch schnell ein paar Eier und gebratenen Speck machen?“
„Hm?“ Sie riss den Blick von dem Fremden los. „Oh... äh… ja, natürlich, ich mach mich gleich dran.“ Sie nahm den leeren Teller vom Tisch und verschwand rasch wieder in der Küche.
„Bei Bahamut, sie ist wirklich hübsch geworden.“ Väterlicher Stolz war auf dem Gesicht des alten Mannes abzulesen.
„Ja... gut dass sie keine Schuppenhaut und ein Echsengesicht bekommen hat, hm?“
Der Alte lächelte milde. „Du wirst dich wohl nie ändern, Darvos.“ Danach blickte er aber gleich wieder ernst. „Darvos, du musst mir einen allerletzten Gefallen erweisen.“
„Wird das ein Befehl oder eine Bitte?“
„Eine Bitte, du bist schon seit langem von dem Dienst entbunden, den deine Familie meiner seit Generationen erweist. Ich weiß, dass es dir nie gefallen hat, durch die Tradition daran gebunden zu sein, aber du hast deine Pflicht trotzdem erfüllt, solange ich es für nötig erachtet hatte, und dafür respektiere ich dich.“
„Ich frag mich schon seit langem, wieso ihr mit dieser Tradition gebrochen habt.“
„Weil wir beide zwei Relikte sind, machen wir uns nichts vor. Dein Geschlecht stirbt mit dir, oder irre ich mich? Hast du vielleicht noch irgendwo Frau und Kind?“
„Dafür hab ich nicht das richtige Leben geführt...“
„Ja... ich find es bedauerlich, dass ein Mann mit solchen Fähigkeiten und solch einem Können so einen Weg eingeschlagen hat, aber es sind deine eigenen Entscheidungen gewesen, die du gefällt hast. Jedenfalls... du bist der letzte Zweig im Stammbaum deiner Familie, und Mera... Mia... ist der letzte bei meinem, jedenfalls solange, bis sie Mutter wird und das Erbe meiner Familie noch für eine Generation weitergibt. Aber mit dir und mir wird auch das Wissen um unsere Familien sterben und eventuell nur noch als kleine Passage in dicken, staubigen Wälzern überdauern. Wir könnten es zwar weitergeben, aber ich denke alles muss einmal ein Ende haben und man muss es ja nicht unnötig bitter machen.“
„Wahre Worte... langatmig, aber wahr...“
Der Alte schmunzelte nur kurz über den leicht sarkastischen Einwurf. „Nun zu dem Gefallen, um den ich dich bitten will, ich möchte von dir eigentlich nichts anderes, als du schon die ganze Zeit gemacht hast. Beschütze meine Tochter, solange es dir möglich ist. Und nochetwas...“ Er nahm ein großes, in weißes Leinen gehülltes Schwert vom Rücken.
„Gib ihr dieses Schwert, wenn du die Zeit für richtig erachtest. Ich ließ es kurz vor ihrer Geburt schmieden. Ich hatte eigentlich fest mit einem Jungen gerechnet, der einmal ein großer Kämpfer wird. Gut dass ich die Gravur erst nachträglich beenden ließ.“
Während dieser Ausführung wickelte Darvos das Schwert vorsichtig aus und hielt es behutsam mit beiden Händen, das Leinen noch dazwischen, als würde er befürchten die Klinge sonst zu beschmutzen. Die angesprochenen Gravuren waren gut sichtbar und von Verzierungen umrankt, die sich über die gesamte Klinge zogen. Die Gravurlinien waren sehr zart, fast hauchdünn, wirkten allerdings trotzdem kräftig und ließen das dargestellte Zeichen ohne Probleme erkennen. Es waren drakonische Symbole, die drei Namen darstellten: Firgas Vhaegar, Mera Vheagar, Kelina Vhaegar. Ein kleiner Ausschnitt eines Stammbaums, begriff Darvos. Vorsichtig wickelte er es wieder ein und lehnte es über den Stuhl neben sich. In dem Moment kam Miana wieder aus der Küche raus, zwei Teller mit gebratenen Eiern und Speck balancierend, und stellte jedem einen hin. „Bitte sehr, ich hoffe es schmeckt.“, sagte sie mit freundlichem Lächeln.
„Bestimmt, wie immer wenn du kochst. Komm, setz dich zu uns.“ Darvos winkte sie auf den freien Stuhl. Sie setzte sich, während er zum Alten rüberblickte und dessen fragenden Blick bemerkte. Er deutete ihn richtig und nickte nur knapp, als Antwort auf das unbeendete Gespräch und als Bestätigung, dass er seine Bitte erfüllen würde. „Mia, ich möchte dir jemanden vorstellen. Das ist Sir Vhaegar. Sir Vhaegar – Miana Liando.“
„Sehr erfreut, Fräulein Liando.“
Sie nickt scheu lächelnd und fragte dann vorsichtig: „Sir...? Bedeutet das ihr seid ein Ritter?“
„Naja...“ Er wiegte den Kopf ein wenig hin und her, als wenn er sich da nicht so sicher ist. „So könnte man es wohl bezeichnen.“
„Einer von der drachenbekämpfenden Sorte?“, fragte sie neugierig, woraufhin Vhaegar ein herzhaftes Lachen ausstieß. Sie schaute fragend zu Darvos, der aber nur schmunzelnd den Kopf schüttelte.
Das Gespräch dauerte noch ein wenig an, eher belanglose Themen. Miana schien sich richtig mit dem Alten anzufreunden und die beiden löcherten sich gegenseitig mit Fragen. Allerdings offenbarte keiner der beiden Männer ihr, was es mit ihrem Gesprächspartner auf sich hatte.
Vhaegar verabschiedete sich nach einer Weile und reiste am nächsten Tag schweren Herzens weiter. Auch Darvos und Miana setzen ihre Reise kurz darauf fort. Miana hatte ihre Stelle verloren, weil dem Tavernenbesitzer die Rußflecken an den Wänden und an der Zimmerdecke nicht passten. Wo gehobelt wird, da fallen Späne und wo Magie zum Kochen und Braten benutzt wird, gibt es eben Rußflecken und manchmal auch andere überaus interessante Effekte, aber das ließ er nicht als Ausrede durchgehen.
Aria Fhirnriveien

Alaska

Einige Zehntage später ereignete sich eine Begegnung, die einen Schlußstreich unter ihre gemeinsame Reise setzen sollte.
Darvos und Miana saßen in einem gutbesuchten Gasthaus, schon seltsam, wie viele wichtige Ereignisse in Tavernen, Gasthäusern oder Tavernen stattfinden. Die letzten Tage waren sehr ruhig gewesen und trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen, beschlich Darvos ein ungutes Gefühl. Aber vielleicht war er auch einfach nur zu sehr Pessimist und ging immer vom Schlimmsten aus. Er entschuldigte sich kurz bei Miana und verließ das Gasthaus dann durch die Hintertür um in einer Seitengasse auszutreten. Als er gerade fertig war, hörte er, wie sich Schritte näherten. „Bei den Göttern, nichtmal in Ruhe pinkeln kann man“, murrte er leise vor sich hin. Mit der Hand am Schwert und der Absicht, diesem Abschaum, der in so einer Gasse sicher an sein Gold wollte eine Lektion zu erteilen, drehte er sich um.
„Darvos, alter Gauner, lang ist’s her.“, grinste die pockennarbige Fratze ihn an. „Schön dich mal wiederzusehen.“
„Ahja? Ich hätte gut darauf verzichten können.“ Mit diesen Worten zog er sein Schwert halb aus der Scheide. Sein Gegenüber war unbewaffnete, verfügte mit seiner Magie aber eventuell über mehr Kampfkraft als er. „Ich bin fertig mit euch, verschwinde!“
„So... wir aber noch nicht mit dir.“, schmunzelte Fingil selbstsicher.
„Wir wissen beide, dass ich dich ohne Probleme umbringen könnte.“ Zumindest hoffte Darvos das.
„Sicher weiß ich das... aber weißt du auch, was das für Konsequenzen hätte? Es war nicht leicht dich aufzuspüren, aber du hast dir ja netterweise eine hübsche Schwachstelle zugelegt.“ Die Betonung lag auf hübsch. Er nickte zur Hintertür der Taverne, in der Miana immernoch saß und auf Darvos wartete. Sofort flackerte das Verstehen in Darvos’ Augen und er steckte ruckartig das Schwert zurück in die Schwertscheide.
„Scheiße!!“ Wutentbrannt trat er einen Müllkübel beiseite. „Verdammt! Und jetzt?!“
„Jetzt nehm ich dich mit nach Atkatla, sie wollen dich lebend haben. Sollst wohl noch ein wenig dafür leiden, dass du ein hohes Tier umgebracht hast. Obwohl ich dir dafür ja sogar fast dankbar bin... hat mir ungeahnte Aufstiegsmöglichkeiten geboten.“
„Und was wird mit Mia?“
Fingil zuckte mit den Schultern. „Nichts, sie ist dann raus aus der Sache. Entscheide: du kommst mit – sie lebt, du kämpfst – sie stirbt.“
„Verdammter Bastard...“ In einer hilflosen Geste ballte er die Fäuste. Im Geiste ging er alle Alternativen durch, aber bei den Vorbereitungen, die Fingil und seine Hintermänner mit Sicherheit getroffen haben, fand er bei keiner eine realistische Chance, dass sowohl er als auch Miana überleben würden. Gepresst brachte er hervor: „Ich komme mit... um ihretwillen... Aber gib mir noch die Möglichkeit mich zu verabschieden.“
„Bekommst du, alter Freund, ich bin ja kein Unmensch… aber versuch keine Tricks, aus dieser Falle kannst du nicht entkommen.“
Was Darvos dabei am meisten gegen den Strich ging, war dass er Fingils Gerede nichtmal für einen Bluff hielt. Als die beiden die Taverne betraten, und er wußte, worauf er zu achten hatte, fielen ihm plötzlich ein Dutzend Personen auf, die auffällig unauffällig zu ihm rüberschauten und auch ein paar, die die arglose Miana im Auge behielten, die schönen Jahre hatten seine Sinne sowas gegenüber wohl stumpf werden lassen. Darvos ging ruhigen Schrittes zu ihr rüber, Fingil verblieb im Hintergrund und schien sich seiner Sache absolut sicher zu sein.
„Miana... komm mal mit nach oben.“
„Hm? Was ist denn?“
„Nichts, komm einfach mit.“
Sein ernstes Gesicht beunruhigte sie, was könnte passiert sein? Wann hatte er sie überhaupt das letzte Mal Miana genannt und nicht Kleine oder Mia? Die Neugier und Hoffnung auf eine Erklärung ließen sie folgen. Sie gingen in Darvos’ Zimmer. Ihr Weg durch den Schankraum wurde von etlichen Augenpaaren verfolgt.
Miana trat hinter ihm ein und schloß die Tür. Darvos war ans Fenster getreten und spähte hinaus. Was er dort sah, schien ihm nicht sonderlich zu gefallen. Sie ließ den Blick durch seinen Raum schweifen und blieb bei dem großen, in Leinen gewickelten Gegenstand auf dem Tisch hängen, dieses große Schwert, das Darvos seit der Begegnung mit dem alten Ritter mit sich rumschleppte.
Ihre Aufmerksamkeit wurde wieder auf Darvos gezogen, als dieser leise seufzte und immer noch zum Fenster gewandt fragte: „Wie lange sind wir schon zusammen unterwegs? 8 Sommer?“ Hätte er ihr nicht den Rücken zugedreht, hätte sie sein wehmütiges Lächeln sehen können. Da sie nicht wußte, worauf er hinauswollte, ging sie erstmal zu seinem Bett, setzte sich auf die Kante und wartete ab.
„Eine lange Zeit...“, setzte er fort. „Aber alles muss einmal enden...“
Miana, die mangels Beschäftigungsalternativen sich damit befasste, den Weichheitsgrad der Matratze abzuschätzen, blinzelte überrascht und blickte zu ihm auf. „Was... was meinst du?“ Ihr Herz krampfte sich zusammen und wollte die Antwort eigentlich gar nicht hören.
„Ich meine damit, dass es Zeit wird, dass du deinen eigenen Weg gehst, ohne mich.“
„Aber... wieso?“ Sie blinzelte mehrmals schnell hintereinander, um die aufsteigenden Tränen zurückzuhalten und biß sich leicht auf die Unterlippe, sie wollte nicht wie ein kleines Mädchen anfangen zu heulen.
„Vertrau mir bitte einfach, dass es das Beste ist...“
Die Welt verschwamm, als sie durch den nassen Schleier von Tränen blickte. Sie schüttelte uneinsichtig den Kopf und brachte mit gebrochener Stimme nur ein leises, schluchzendes „Nein...“ hervor.
Er drehte sich zu ihr um und trat auf sie zu. Aus feuchten Augen blickte sie zu ihm auf. „Mia, Kleine... du brauchst mich nicht mehr, schon lange nicht. Du bist stärker, als du es dir vielleicht eingestehen willst. Ich kann nicht ewig auf dich aufpassen. Ich bin mir sicher, du wirst auch ganz gut ohne mich zurechtkommen.“
Da konnte sie nicht mehr an sich halten und sprang vom Bett auf und klammerte sich an ihn. Sie erwischte ihn überrascht und deckungslos, schlang die Arme um ihn und legte den Kopf an seine Brust. Sie konnte seinen Herzschlag spüren und wäre sie nicht so aufgewühlt gewesen, hätte sie wohl bemerkt, dass er weit über dem Ruhepuls lag. „Ich will aber nicht, dass du gehst... bitte...“, wimmerte sie leise. Sie wirkte so schutzbedürftig, wenn er nicht gleich abblockte, wüde er nicht einfach so verschwinden und offenen Auges in seinen Tod gehen können. Also drückte er sie sanft, aber bestimmt von sich und sie löste sich leicht widerwillig. Er legte ihr sacht eine Hand auf die Schulter und versuchte seiner Stimme einen ruhigen Klang zu verleihen.
„Es tut mir wirklich leid, aber ich kann nicht anders. Ich muss das tun. Aber in Gedanken werd ich immer bei dir sein und ich bin sicher, wir werden uns irgendwann wiedersehen.“ Ja, sehr gut Darvos, es reicht nich dass du die Wahrheit verschweigst, jetzt lügst du sie auch noch an, schalt er sich selbst in Gedanken. Bevor sie noch irgendwelche Widerworte hervorbringen konnte, nahm er seinen Goldbeutel vom Gürtel und drückte ihn ihr in die Hand. „Nimm das, das dürfte für eine Weile reichen. Ich werde jetzt gehen, mach’s gut, gib auf dich Acht und mach nichts unüberlegtes, während ich weg bin.“ Er sagte bewusst nicht ‚Leb wohl‘.
Er drehte sich um und wollte zur Tür eilen, bevor sie noch was sagen konnte, aber sie hatte sich seine Hand geschnappt und hielt ihn fest. Als er stehenblieb und sich zu ihr umdrehte, trat sie ein Stück näher und sah ihn flehend an. Sie wollte gerade zum Reden ansetzen, da verschloß er ihr ohne Vorwarnung die Lippen mit den seinen und verhinderte so jegliche Widerrede. Er legte ihr sanft eine Hand in den Nacken und zog sie noch ein Stück näher zu sich heran. Sie war im ersten Moment zu überrascht um irgendetwas zu machen, geschweige denn überhaupt einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Ihr Herz schien völlig aus dem Rhythmus zu geraten und wäre wohl über die eigenen Füße gestolpert, wenn es welche gehabt hätte. Dann gab sie sich einfach hin, schloß halb die Augen und genoß den Kuss. Der Kuss war gewiss keiner, den ein Vater seiner Tochter gegeben hätte, aber auch nicht mit dem eines Liebhabers zu vergleichen, es war schwer zu beschreiben, es war etwas Einzigartiges. Das ganze dauerte nur zwei, drei, sich zu einer scheinbaren Ewigkeit dehnende Sekunden, die doch viel zu schnell vorbei waren. Als er sich von ihr löste, schaute sie ihn im ersten Moment nur perplex an.
Er blickte ein wenig unsicher zurück und rieb sich den Hinterkopf. Und während er sie anblickte, bemerkte er, dass er sie wohl zum ersten Mal seit Jahren wirklich betrachtete. Ihm wurde jetzt erst bewußt, wie groß sie doch geworden war, nicht mehr das kleine Mädchen, das er damals aufgegriffen hatte, das er die meiste Zeit immernoch in ihr gesehen hatte. Dann entschied er sich, den Moment lieber zu nutzen und schnell zu verschwinden, solange sie noch derart neben sich stand.
An der Tür hielt er kurz inne. „Das Schwert auf dem Tisch gehört dir, pass gut darauf auf.“ Damit ließ er sie allein zurück in dem Zimmer, das jetzt plötzlich viel kleiner und dunkler auf sie wirkte, erdrückend leer.
Mit schnellen, weiten Schritten durchquerte Darvos den Schankraum, lief schon fast und achtete kaum auf Fingil, der sich an seine Fersen heftete. Als beide auf die Straße traten, fragte Darvos knurrig: „Wer garantiert mir eigentlich, dass ihr sie leben lasst, wenn ich mitkomme?“
„Ich geb dir mein Ehrenwort darauf.“
„Da kannst du mir genausogut eine Handvoll Scheiße geben.“
Fingil lachte leise. „Ich kann dich verstehen, aber keine Sorge, solange sie dich haben, ist das Mädchen wertlos... Ich hoffe mal für dich, du hast die Chance genutzt... die Kleine ist wirklich süß. Hast du sie nochmal richtig gef-“ Darvos’ Faust riss ihm das letzte Wort und das anzügliche Grinsen förmlich von den Lippe. Schmerzerfüllt schrie er auf und wischte sich dann wehleidig stöhnend das Blut von der Lippe. „Du Miftkerl... ich hab mir auf die Funge gebiffen!“
„Vielleicht hälst du jetzt wenigstens das Maul, solange wir unterwegs sind.“
„Hrmpf...“, war alles, was er als Antwort erhielt. So gingen die beiden weiter Richtung Hafen und von dort aus per Schiff nach Atkatla. Sie schwiegen sich den gesamten restlichen Weg an. Je näher sie ihrem Bestimmungsort kamen, desto ruhiger wurde Darvos. Diese kühle Ruhe, die er schon so lange nicht mehr verspürt hatte, die Ruhe, die ihm im Angesicht des Todes erfüllte. Seine Gedanken waren bei Miana...
Aria Fhirnriveien