Thalyc Varnasson

Started by Stormlord, 26. Januar 2008, 20:05:17

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Stormlord

1: Das Glück des Waldes
(Pre-Weltentor)

Die Welt stand still für diesen einen Augenblick. Alle hatten es vorausgesehen, sahen das Glück kommen dass auf Alain und Talitha zukommen würde und nun war es endlich soweit. Thalycs Freund und wohl zuverlässigster Mitstreiter kniete vor ihr und hielt um seine Hand an – hier in Ebersweil, in der einzigen Schänke weit und breit und zudem noch dem Ort an dem sich um diese Zeit alle Bewohner des kleinen Dorfes, ja vielmehr einer kleinen Siedlung, versammelt hatten. Alle sollten es sehen und damit das Getuschel, die Heimlichtuerei zum Schweigen bringen, die sich um diesen einen Bund rankten, zum Schweigen bringen. Was Thalyc – und natürlich auch der Rest der Gesellschaft – jedoch am meisten zu schätzen wusste, war wohl die Tatsache dass jede Runde des Abends (und derer würden es eine Menge werden) auf den baldigen Ehemann gingen. Ja fürwahr, selten erlebte dieser kleine Ort am Rande des Mantelwaldes einen glücklicheren Abend.

Ebersweil – der Name klang für Außenstehende nach tiefster Provinz und in der Tat konnte man die kleine Siedlung weit südlich von Baldur's Tor und nördlich der legendären Akademie von Kerzenburg nicht einmal mehr das nennen. Und doch waren die Bewohner dieser Siedlung zufrieden und an manchen Tagen – wie dem heutigen – sogar glücklich. Es war die Zufriedenheit des Einfachen, die Tatsache im Einklang mit der Natur und ihren Bewohnern leben zu können, die ihnen allen gemein war. Die Abgeschiedenheit gab ihnen den Frieden, der nötig war um die daraus resultierende Gelegenheit zu nutzen: Einen Teil der Fehler, den das Stadtvolk im Umgang mit der Natur begangen hatte, wieder rückgängig zu machen. Die Sagen, die sich um den Mantelwald rankten, trugen nicht unerheblich zu dieser Abgeschiedenheit und lediglich die Zauberer Kerzenburgs waren seltene, aber regelmässig wiederkehrende Gäste von Ebersweil, die mal hier und mal dort von Portalen und Toren gehört hatten. In andere Ebenen sollten diese führen, worunter sich die meisten Einwohner der Siedlung eher einen Platz auf einem hohen Berg vorstellten, anstatt der göttllichen und jede Vorstellung überragenden Orte, die es ausserhalb des materiellen Planums zu entdecken gab. Wozu auch die astrale Planum erkunden, sich im Limbus verlieren oder die Wunder von Celestia sehen, wo es doch im Hier und Jetzt genug unerforschtes gab, der Wald oft genug Irrwege für den Unvorsichtigen bot und jede Geburt eines neuen Menschen in diese Gemeinschaft als eines der größten Wunder gehandelt wurde – auch die Anwesenheit von tatsächlicher, echter Magie änderte nichts an diesen einfachen Dingen.

Und so kam es, dass sie an diesem Abend das Wunder der Liebe

,,Könnt ihr Schmalz sagen, Freund Alain, denn ihr habt die Seele eines Romantikers.."

und zweier Menschen

,,... und klammert doch an dieser Frau wie kein Zweiter."

erleben durften.

Dass Parvo, ein allzu verträumter Minnesänger, sich an diesem Abend das Recht nicht streitig machen ließ für das baldige Paar etwas anzustimmen, verstand sich von selbst. Und dass die Anzahl zusammenhängender Laute mit jedem Glas Wein konsequent abnahm, verbesserte die Stimmung nur noch weiter.

,,Ja" - mit dieser einfachen Antwort hatte die gute Talitha die kleine Gemeinschaft in Freude versetzt und noch lange würde man von dem Tag reden, an dem diese Antwort für die größte Trauer in der Geschichte von Ebersweil sorgte. Die Schatten dieser Trauer würden auf Generationen anhalten und das große Sterben nie vergessen. Das große Sterben, welches zwischen Alain Drym und Talitha, geborene Larn, niemals eine Drym, trat.

Thalyc selbst würde ihren Schatten nachjagen und die Sünden und Rastlosigkeit der anderen beenden – aber nicht an diesem Abend. Hier, unter den Augen der Götter, hatten sich zwei Menschen gefunden und sie waren glücklich. Nicht einmal die Frage, wann es denn für Thalyc soweit sei seinen alten Herren mit Enkeln zu segnen, änderte nichts an der Ausgelassenheit des Jägersmannes – was sonst die übliche Reaktion gewesen wäre. ,,Bald und im Auge hätte er da schon jemanden, war die Antwort gewesen" und konnte sich dabei des Blickes dieser einen, ganz bestimmten Person sogar sicher sein.

Und so sollten die Vorbereitungen für die Festlichkeiten beginnen und das arme Landvolk blenden – denn was eintrat, schon längst eingetreten war, war die Ruhe vor dem kurzen aber heftigen Sturm, der in Blut regnen und in Trauer heulen würde. Blind vor Freude, blind vor Selbsteifer, entging ihnen allen dieses flaue Gefühl, welches jeder Fremde zu diesen Zeiten am Rande des Mantelwaldes gehabt hätte. Das flaue Gefühl von etwas, das bald passieren würde. Ein kriechendes, unschönes Gefühl, das einem ganz deutlich anzeigt, dass jegliches Vertrauen in die Fassade der Welt fehl am Platze sei. Mit ihrer Freude hatten sie dem Grauen eine Maske aufgesetzt und wenn die Hauer sich hungrig in das Fleisch der Liebenden schlagen würden, war es an der Welt, den Maskenball auszurufen – und Ebersweil würde die Maske der Furcht aufsetzen.

Der Todesbote kam in den Kleidern eines Magiers aus Kerzenburg und seiner zwei eifrigen Studenten. Das Dreigestirn, wissbegierig auf die Wunder der Welt und ohne die Zufriedenheit für die kleinen Dinge der Menschen von Ebersweil, hatte sich für den dritten Tag vor der Hochzeitsfeierlichkeit noch angekündigt. Halt wolle man machen bevor man den Spuren alter Wunder folge und sei vielleicht zur Hochzeit zurück – dann würde man das glückliche Paar ebenfalls beehren. Varis und seine beiden unbekannten Studenten, Statisten des Todes, verließen den Ort am gleichen Tage und kehrten nie mehr in ihre Heimat, Kerzenburg, zurück.

Die Antwort des Waldes auf Neugier ist Wissen. Des Waldes Antwort auf zu viel Neugier ist zu viel Wissen. Und zwei Tage nachdem Varis den Wald betreten hatte, diesmal unüblicherweise ohne die Fährtenleser und Jäger von Ebersweil, war sein letzter Gedanke der unverfälschte Wunsch nach Hause zu kommen. ,,Mutter, wäre ich doch nur Gewürzhändler geworden, wie du es immer gewollt hast" waren die letzten Worte, die seine Seele an das Innere seiner toten Hülle schrieb, als die freigelegte, einfach gearbeitete und leicht angeschimmelte, auf dem Boden liegende Holztür rastlose Wiedergänger gebahr. Nicht der erste, sondern der mit der Nummer Neunzehn, so hatte Varis folgerichtig selbst im Angesicht des sicheren Todes mitgezählt, war es der seinem Körper die Seele entriss und die elendige, fleischliche Hülle von den eloquenten Gedanken des alten Mannes zog um daraufhin mit seinen untoten Mitstreitern eine eigene kleine Feier abzuhalten. Ehrengäste waren die Körper der ebenfalls toten Studenten, befördert vom Statistentum zum Zentrum eines großen Festmahls, für das sie selber die Auslagen tragen durften. Welch Ehre – in Kerzenburg hatten sie es dazu nie gebracht.

Und für eine kleine Gruppe von Untoten, die aus Unvorsicht eines sonst umsichtigen Magiers in diese Welt entlassen wurde, war es der glücklichste Moment in ihrem falschen Leben – durchaus vergleichbar zu dem Glück dass Alain und Talitha gespürt hatten als es soweit gewesen war. Zumindest unter der Prämisse, man gestattete diesen Wesen Empfindungen wie Glück und Trauer, die für sie tatsächlich nicht existierten. Leere Köpfe, die dem einfachen Drang zu fressen folgten, kannten weder Froh- noch Leichtsinn. Das waren Dinge, die man dem Leben zurechnete und umso einfacher gestaltete sich die Entscheidung der toten Bande, wie sie nun weiter verfahren sollte. Leben suchen, Leben fressen und keine Gedanken machen – welch Glück manche in der Einfacheit entdecken konnten !

Die Nacht zog den Mantel um besagten Wald dieser Tage äußerst dicht und so mag es kaum verwundern, dass im berühmten Nebel so mancher Schauergeschichten, nur das platschen der eiternassen Füße und der Atem derer die nicht atmen mussten, den einen oder anderen aus dem Bette zerrten. So auch Alain und Thalyc, deren Ohren seit jeher gut gewesen waren. Ob Fluch oder Erlösung, der erste Schrei entstammte keinem der beiden – nicht einmal einem lebenden Menschen. Benny, der Dorfhund – eine äußerst feine Züchtung des altem Ohm – gab nur ein kurzes, aber umso wehleidigeres Jaulen von sich bevor das erste Schmatzen einsetzte. Die Nacht hatte es angerichtet und hätte Benny noch etwas länger gelebt, so hätte er vielleicht in das kehlige Gurgeln der alten Marcia einstimmen können – Mensch und Tier zugleich an das Leben geklammert während es vom Tode in Person ausgesaugt wird. Das Glück der Überraschung war Verschwunden und war dem Glück des Schreckens gewichen, als die ersten Fackeln entzündet waren und den wandelnden Tod in aller Grausamkeit zur Schau stellten. Ob es göttliche Fügung war, dass das Haus von Alain und Talitha – wie unzüchtig unvermählt im selbgen Haus zu wohnen – das erste war, welches die Toten angingen war später nicht mehr gefragt. Vielmehr spielte es eine Rolle dass die Toten im Fackelschein von halb aufgebautem Festschmuck die arme Talitha und den noch vor allem unbewaffneten Alain rechtzeitig genug überraschten um ihre alten Zähne in ihr Fleisch zu schlagen. Ihr Leben fand das Ende und so auch ihr Auftauchen in dieser kleinen Geschichte, die sich in der Folge nur noch mit der Trauer befassen sollte, die jene Ereignisse auslösten.

Grausamkeit des Schicksals, dass es gerade Thalyc sein sollte der, mit der bewährten Holzfälleraxt bewaffnet, die Häscher der ungeborenen Familie geraderücken sollte. Geradewegs wieder in das Reich der Toten, so erzählte man später über diese Heldentat, die trotz alledem den Tod seiner Freunde forderte.

Und wenn es doch für die Siedlung nicht viel änderte – denn es kamen niemals mehr Tote in das Dorf und der Schmuck wurde dann eben, einfache Menschen mit einfachen Lösungen, bereits für die Trauerfeier verwendet, so mag dies der Beginn gewesen sein. Der Beginn für den langen Schatten den diese Ereignisse warfen und denen Thalyc noch lange – bis in andere Welten - hinterherjagen sollte.

Menschen waren ersetzbar, die Erinnerungen an sie waren es nicht.

D. (26.01.2008)

Aedelas Sonnenfaust
Thalyc Varnasson

Stormlord

2: Emmas Auftrag
(Pre-Weltentor, ca. 2 Jahre später)

"Sage dir meinen Dank, Emma. Tot magst du sein, aye, aber deine sterbliche Hülle hinterlässt die Spuren eines Lebenden."

Die Worte des jungen Waldläufers klangen ruhig und friedvoll, sie entbehrten nicht einmal der freundlichen Offenheit die wir einem Wanderer entgegenbringen, der unsere Wege kreuzt und mit dem man vielleicht einen kurzen Plausch über die letzte Ernte hält oder mit ihm das allgemeine Leid des gemeinen Volkes teilt. Hätte jemand diesen Mann dort gesehen und gehört, wie er seine Worte mit so unsagbarer Freundlichkeit sprach und dabei auf Emmas runzlingen, glitschigen Körper mit einer Armbrust von akzeptabler Größe zielte, so hätte man ihn für verrückt gehalten. Wie kann jemand anders als des Verstands vollständig beraubt sein, der diese widernatürliche Kreatur nicht sofort niederstreckt ?

Emma indes, tat was sie seit ihrem neuen und recht trostlosen Leben schon immer in solchen Situationen getan hatte. Sie blickte den Mann aus leeren und äußerst dummen Augen an, ließ ihre Hände in krampfiger Art und Weise locker herunterhängen und überlegte angestrengt. Die Überlegungen beschränkten sich hierbei darauf, was erfolgversprechender sein würde: Direkt in die saftige Halsschlagader beissen oder zuerst die krallenartigen Hände in dem Fleisch des Futters vergraben um ihn handlungsunfähig zu machen. Dabei übersah sie - voll von Hunger und Hass und eben mit einer nur breiigen Masse statt einem Gehirn - das wirklich Offensichtliche: Sie würde weder das eine, noch das andere tun könnnen, denn die Armbrust war geladen und bereit einen verstärkten Bolzen durch ihren verwesenen Leib zu treiben.

Und so kam es dann auch einige Momente später. Emma hatte ihre Überlegegungen noch nicht zuende gebracht, die Sensoriken ihres Körpers hatten gerade erst angefangen die drohende Gefahr wahrzunehmen und auch die unheilige Kraft, die ihren Körper beseelt hielt, vermochte es nicht ihren Körper rechtzeitig ausser Schussweite zu bewegen. Auch war es Emmas Überlegungen entglitten dass sie in einer ungünstigen Position stand. Denn als der Bolzen mitsamt der unsagbar reissenden Kraft ein fetziges Loch in ihre Brust riss, wurde sie förmlich an den Baum hinter sich genagelt. Und dort, am Baum hängend, war ihr Verstand noch damit beschäftigt sich zu fragen warum sie auf einmal weiter vom Futter weg war als wenige Momente zuvor, als ein plötzlicher Druck in ihrem Kopf enstand, ursächlich dem Wurfbeil zuzuschreiben welches diesen nun in zwei saubere Hälften teilte.

Der körperlich spürbare Druck jedoch wurde bald verdrängt von einem Reißen und Rucken, welches Emma tiefer als nur in ihrem Körper wahrnehmen konnte und selbst den leidenschaftslosen Hunger, den Hass und das Verlangen nach dem Leben verdrängte. An dessen Stelle trat in brachialer Weise ein ekelhafter Frieden und bevor sie auch nur die Möglichkeit hatte sich dagegen zu wehren, sah sie sich über dem zermarterten Körper schweben, schwebte über der Stelle an der sie zum zweiten mal gestorben war - kurz bevor sie in die Schwärze hinabgezogen wurde und endlich ihre wohlverdiente Ruhe fand.

Von alledem hatte Thalyc nichts mitbekommen. Was eine ruhelose Seele fühlte, den Hunger, den Hass, der zweifelsohne Mitleid in der lebendigen Seele des Waldmannes erregt hätte, all das wusste Thalyc nicht und im Grunde interessierte es ihn auch nicht. Fest stand, dass hier eine weitere Seele in ein falsches Leben gelockt worden war und eine Gefahr für die rechtmäßig lebenden darstellte. Damit hatte er aufgeräumt und begann das Beil und den Bolzen aus dem Körper zu ziehen und anschliessend zu seinem guten, alten Spaten zu greifen. Bis zum Sonnenuntergang würde er das Grab ausgehoben, die Tote verscharrt und bei endgültigem Nachteinbruch zurück in Tiefwasser sein.

Die Reise, so befand Thalyc, hatte sich gelohnt. Und dennoch, während er in einem der zahlreichen Gasthäuser der riesigen Handelsmetropole verbrachte und das Gefühl von Beklemmung abzuschütteln versuchte, welches diese riesigen Städt in ihm verursachten, die Vergangenheit fühlte sich noch so grausam und klar an, als hätte er seine beiden teuren Freunde, Alain und Talitha, erst gestern verloren.

Dass er einer von wenigen war, die die Gewohnheiten dieser Kreaturen frei und ohne größeres Interesse für ihren magischen Hintergrund studierten, hatte dem kleinen Ebersweil eine gute Nebeneinkunft beschert.

Der Jägersmann,

- Jäger nicht nur von Tieren - sage meinen Dank,

vermochte es jedoch nicht, die Trauer um Alain und Talitha durch den Alkohol dem Vergessen preiszugeben. Es wäre ein leichtes gewesen und doch fühlte er sich noch nicht der Bodenständigkeit eines Lebens entrissen, in dem man zu einem Lachen fähig war. Sein Humor hatte sich gewandelt und war zweifelsohne von einem unschuldigen, salonfähigen Stammtischhumor in eine sehr trockene und makabre Sparte abgerutscht, aber immerhin konnte er noch Lachen. Wer war noch in der Lage das von sich zu behaupten, wenn sein zweiter Lebenszweck das Jagen und Verscharren von Leichen war ? Und somit gab es auch keinen Grund seine Seele mit Schnaps betäuben zu müssen.

Die Trauer aber würde dafür stets da sein. Irgendwann nicht mehr als schmerzender Dorn im Hinterkopf, sondern als gelegentlicher Kopfschmerz oder leichte Übelkeit oder - wie so häufig - als Alptraum und das machte sie ertragbar. Hätte er sie versucht im Alkohol zu ersäufen hätte ihn das handlungsunfähig gemacht und das würde stets schwerer wiegen als die Trauer um andere Menschen, selbst wenn er sie geliebt hatte.

Sich von diesen Gedanken lösend, drehte er das Amulett der Familie van Chalizcia in seiner Hand. Ein schönes Stück. Es hatte Emma etwas verliehen, was sie fast lebendig wirken ließ - als hätte sie selbst in diesem Stadium an den Habseligkeiten ihrer Familie gehangen. In Wirklichkeit - das wusste Thalyc - nur ein Zufall und schlechter Witz dass dieses Stück noch immer an den faulig, fleischigen Resten dieser Frau gehangen hatte. Immerhin würde er es für gute Münze auf dem hiesigen Markt loswerden können, nachdem die Familie es ihm als Bonus auf den Jagderfolg geschenkt hatte. Man wollte sich von dem Stück - genau wie von der Toten ein für allemal trennen. "Keine gute war das nich" waren die Worte des guten Mannes gewesen, der nahe Tiefwasser als Auftraggeber aufgetreten war. Thalyc hatte sich gefragt wie viele Angestellte die alte Schwiegermutter in den Wald gezogen und an ihnen gespeist hatte, bevor sie niedergestreckt wurde und warum man sie nicht mit hiesigen Mitteln bekämpft hatte. Aber die Furcht schien häufig darüber hinwegzutäuschen, dass manche Dinge auch einfach sind. Furcht, die sich in Münze umwandeln ließ.

Thalyc wollte mit diesem Gedanken bereits aufstehen und sich noch den wohlverdienten Schlaf holen, den er vor der Abreise gen Süden brauchen würde, als eine Hand ihn kraftvoll an der Schulter packte und seine Bewegungen zunächst  erstarren ließ. Seinem Gegenüber keinen Blick aus der breitkrempigen Kapuze heraus schenkend, hielt er einfach inne. Der kraftvolle Druck zeigte, dass hier möglicherweise einiges zu Bruch gehen würde wenn er nun einen Kampf vom Zaun brach - inklusive seiner Knochen.

"Bitte, Herr Varnasson. So ist doch euer Name ? Bleibt noch etwas sitzen."

Die Stimme verströmte Authorität und Kraft, eine mit der man sich nicht anlegen wollte.

"Woher kennt ihr mich ?" erklang Thalycs Stimme, während er wieder geflissentlich Platz nahm und seiner Stimme den Abglanz der Ruhe schenkte, die seinen Worten später dauerhaft innewohnen sollten. Die Nervosität war zu diesem Zeitpunkt, zu unerfahren und frisch auf Reisen, zu hörbar.

Der Mann, Thalyc erkannte ihn als glatzköpfigen, schmerbäuchigen Mann fortgeschrittenen Alters, grinste und ließ damit seine ungepflegten Zähne blicken. Er war überaus groß gewachsen und das war wahrscheinlich der Grund für den immensen Eindruck von Körperkraft. Dieser Typ hier hatte nämlich einfach nur immenses Gewicht und Thalyc vermutete recht schnell und sachkundig, dass dieser Mann so schlaff in den Armen wie fett war.

Er erklärte in der Folge, dass seine Nichte weit im Süden lebte, irgendwo zwischen Tiefwasser und Baldur's Tor. Und sie habe wohl einen schlechten Platz erwischt um sich mit einer Taverne ('s liegt uns Bollens im Blut, des Tavernenjeschäft!) den Lebensunterhalt zu verdingen. Denn sie habe Nachricht von wandelnden Toten geschickt, die durch die Bodendielen gebrochen seien als sie soeben eröffnet hatte und nun in die nächste Siedlung geflüchtet sei. Und  da der gute Herr van Chalizcia ihm erzählt habe, dieser Varnasson sei sehr furchtlos gegen ein verhasstes, untotes Familienmitglied vorgegangen, da fragte er sich ob es denn für den Mann in der Kutte eines Spurenlesers machbar sei, damit fertig zu werden.

Und bevor Thalyc antworten konnte, hatte der Fettsack seine Reisespesen gedeckt. Das war das beste: Er wäre durch das ganze Land gereist um jede untote Kreatur dieser Welt zurück in den Wall oder sonstwohin zu schicken - freiwillig und ohne eine Münze zu verlangen. Aber die Leute zahlten auch noch bereitwillig dafür. Was solls, die Nichte war zudem jung und hübsch wie der Schmerbauch nicht zu betonen vergaß und Thalycs Rückreise würde der Umweg keinen Abbruch tun.

Der Mantelwald konnte warten.

D. (04.01.2008)

Aedelas Sonnenfaust
Thalyc Varnasson

Stormlord

3: Das Haus der Nichte
(Pre-Weltentor, ca. 3 Wochen später)

Der Regen unternahm alle Anstrengungen um die Welt zwischen der Erde und dem Himmel in eine undurchsichtige Suppe zu verwandeln. Wie weit der Tag schon fortgeschritten war, war nicht mehr ersichtlich. Ein zeitloses Grau hatte seinen Schleier über die Handelsstraße zwischen Baldur's Tor und Tiefwasser gelegt und kaum jemand befuhr diese eigentlich rege genutzte Wegung noch. Viele hatten am Wegesrand ihr Lager aufgeschlagen und warteten den starken Regenfall ab, der die Welt noch immer jeglicher Messbarkeit beraubte.

Durch dieses unwirtliche, nasse Band jedoch kämpfte sich ein scheints unermüdlicher Schemen. Die lange Lederkutte hing bis hinunter zu den Stiefelabsätzen und war durch den Regen noch um ein vielfaches schwerer geworden. Der kapuzierte Kopf war leicht gen Boden geneigt und wahrscheinlich hätte den am Wegesrand schreitenden Mann eine Kutsche in vollem Galopp überfahren können - er hätte es nicht gemerkt. Regen tropfte von den Enden der breitkrempigen Kapuze während das unaufhörliche Auftreffen der zahlreichen Regentropfen auf dem nassen Leder einen sanften Schleier um den Mann legte. Sein Wandergepäck mit der passenden Ausrüstung für ein schnelles Nachtlager am Weg wirkte wie ein unförmiges, ausgewuchertes Geschwür aus dem Rücken der Gestalt und jemand der Thalyc so hätte den Weg entlang schreiten sehen, wäre möglicherweise auf die Idee gekommen dass hier kein Mensch, sondern irgendeine ruhelose Seele durch das unwirtliche Wetter schritt. Ein unheilbringender Bote, einer bei dem man das Gesicht abwandte in der Hoffnung so nicht bemerkt oder angesehen zu werden und damit das Unheil verhindern zu können.

Und in gewisser Weise war diese Erscheinung auch nicht ganz unzutreffend. Nur dass das Unheil eben zu denen kam, die ohnehin nicht mit einem guten Leben gesegnet waren, genauer gesagt mit gar keinem Leben.

"Das Nest am Wegesrand" stand noch nicht allzu lange und der alte (und reichlich fette) Wirt in Tiefwasser hatte keine Idee warum es gerade dort zu einem derartigen Ereignis hatte kommen müssen. Was den Namen dieses Gasthauses anging hatte er sich jedoch in aller Form entschuldigt und sachkundig festgestellt, dass nur Frauen zu solcher Namensgebung fähig waren.

Die Siedlung, so erzählte er, sollte an einem Ausläufer der Handelsstraße liegen und nicht zu verfehlen sein. Ob er sie tatsächlich verfehlte oder einfach nur nicht weit genug gegangen war, das war letzten Endes egal. Denn bald schon stand er vor dem Gasthaus, welches sich als gar nicht einmal so klein erwies. Ein breites Holzschild wies den Namen in großen Lettern aus und hatte ein gepinseltes Vogelnest darunter. Es wirkte verlassen aber sonst reichlich neu, wie Thalyc feststellte. Einige der Einstellbereiche für Pferde waren genutzt worden und Thalyc glaubte neben dem Gebäude so etwas wie einen allein gelassenen Handelskarren zu sehen.
Im Schleier des unwirtlichen Wetters entschloss Thalyc, dass er sich der Aufgabe direkt widmen könne und glücklicherweise erwies die Tür sich als unverschlossen.

Der große Tavernenraum, der sich vor dem Waidmann präsentierte, besaß einen süßlich würzigen Geruch, gemischt mit dem eigentümlich unschuldigen Duft, der von frisch verarbeitetem Holz ausging. Hier hatte noch niemand die Ecken zugebrochen oder im Suff abgekotet - hier war noch alles in Ordnung. Zumindest wenn man von den drei  Löchern im Holzboden absah, die etwa in der Mitte des Raumes lagen. Ansonsten jedoch wirkte es nahezu aufgeräumt. Einige, wenige umgestürzte Krüge, grün verschimmeltes Brot mit einem Belag den man nicht mehr eindeutig erkennen konnte und Füße hinter einer Sitzbank. Füße ?

Thalyc schnallte sein Gepäck ab, lud seine Armbrust durch und begann den Tisch mit langsamen Schritten zu umrunden und erhaschte Stück für Stück einen Blick auf den Besitzer der Füße, wobei der Form halber erwähnt sei dass diese Füße in guten Wanderstiefeln steckten. Der Mann, der neben der Sitzbank lag, hätte als schlafend durchgehen können wenn nicht ein ziemlich rostiges, altes Schwert mitten in seinem Schädel steckte. Thalyc fragte sich ob er jemals gesehen hatte, dass der Schädel eines Menschen derart brutal durchstossen worden war und kam zu dem Ergebnis, dass dies mal erste mal gewesen sei. Geblutet jedoch hatte er offensichtlich kaum, lediglich einige feine Rinnsale liefen von der Eintrittsstelle zu allen Seiten herab. Keine Gefahr.

Zum ersten mal seit Betreten nahm er dabei die vollkommen friedliche Stille in diesem Haus wahr. Selbst das Prasseln des Regens draußen war nur derart gedämpft hörbar, dass es bei ausgelassener Stimmung in diesen Räumlichkeiten sicher nicht hörbar gewesen wäre.

Thalyc begann nun den Raum näher zu untersuchen, fand aber nichts was wirkliche Hinweis enthalten hätte. Die Löcher waren zu einem guten Stück mit lockerer Erde befüllt, ganz so als hätte darin jemand Blumen pflanzen wollen und hätte es nicht zuende gebracht.

Die Gelegenheit nutzend, entschied sich der Waldläufer zunächst dazu das Gasthaus zu einer ausgedehnten Mahlzeit aus mitgebrachtem Proviant zu nutzen (soweit man altes trocken Brot, Käse und getrocknetes Fleisch und Wasser als ausgedehnte Mahlzeit bezeichnen konnte). Ja, in der Tat. Thalyc konnte sich gut vorstellen, dass dieses Haus zum Verweilen einlud. Er stellte sich die Nichte des Fettsacks vor, lieblich und nicht zu jung, wie sie hinter dem Tresen hartgesottenen wie gebeulteten Wanderern ausschenkte, belebte den Bereich der Tür in seinem Geiste indem er sich einen grimmigen Halbork oder anderweitig Minderbemittelten vorstellte wie er betrunkene Gäste rauswarf und endete mit einem Blick auf die kleine, etwas erhöhte Ecke in der eine zerbrochene Laute lag.

Nachdem er sich gestärkt hatte, erkundete er schliesslich den Rest des Hauses. Viele Vorräte im Keller waren bereits verdorben und nicht mehr zu gebrauchen. Es hatte jedoch einen Brunnen im Keller der, soweit Thalyc das beurteilen konnte, unverdorbenes Wasser führte. Zumindest roch und schmeckte es nicht danach.

Die Quartiere der Frau Sanya Rithillyn, so hieß sie wenn man den Dokumenten der Hausherrin glauben konnte, waren ebenfalls recht fraulich eingerichtet und erweckten nicht den Anschein von mehr als nur der guten Frau genutzt zu werden, obwohl ein Doppelbett und ein üppiger Wohnraum vorhanden waren. Thalyc fragte sich erstmals woher diese Frau das Geld hatte sich ein derart teures Anwesen zu leisten. Kein Palast, aye, aber ein hochklassiger Bau - das sehr wohl.

Ein Blick durch das Fenster des Schlafzimmers der Frau Rithillyn erlaubte einen Blick auf die Welt, die sich jenseits der Straße erstreckte. Eine Welt die noch immer durch das graue und nasse Wetter verändert und irgendwie sterbend wirkte. Ein einsamer Blick der einsame Bäume in den dünnen Fäden stetigen Regens versinken ließ und eine seltsame Melancholie hervorrief wenn man nur lange genug hinausblickte.

Ein letzter Blick ging auf das weiche Bett der Hausherrin bevor er den Raum verließ. Eine einladende Koje, die er gern probiert hätte, wenn da nicht dieser widerliche Grundsatz gewesen wäre: Nie im Bett des Auftraggebers schlafen. Die  Widergänger vermochten es schliesslich nicht zu unterscheiden wer dort schlief. Mit den Annehmlichkeiten weiblicher Zahler jedoch hatte Thalyc bislang nie Probleme gehabt.

Der letzte Bereich, denn die Ställe wollte Thalyc sich zunächst sparen, war die Gästeebene. Ein nicht kleiner Schlafsaal verfügte über ein gutes Dutzend einfacher Betten die dem Durchreisenden Schlafstatt versprachen, während zwei Türen zu jeder Raumseite, abzüglich der Seite von der er gekommen war, abgingen und einfache Gästezimmer offenbarten die mit dem Nötigsten ausgestattet waren.

Thalyc kontrollierte jeden der sechs Räume und natürlich war es der letzte Raum der zumindest mal bewohnt worden war. Am Kleiderhaken hing ein langer, abgetragener Mantel mit einem paar alter Stiefel darunter. Die Tür zum Schrank war angelehnt. Als Thalyc mit einem seiner Beile (treue Begleiter seit Alain, sehr wohl) die angelehnte Tür etwas aufzuziehen begann hörte er ein kurzes Scharren. Dann Stille. Nichts folgte darauf und Thalyc begann die Tür ruckartig mit seinem Werkzeug aufzuziehen, das zweite Beil gezogen und bereit damit mögliche Angreifer zu bearbeiten. Das einzige jedoch was dort drin zu finden war, war eine Robe die auf dem Boden des Schranks lag. Der Holzbügel darüber wippte noch eine Weile unwirsch bis er sich wieder dem allgemeinen Hausfrieden anpasste und keine Regung mehr von sich gab. Fehlanzeige.

Das Bett wirkte frisch gemacht und auf dem Nachttisch befand sich ein in altes Leder gebundenes Buch mit dem Titel "Die geheimen Tricks der Erzmagier - einfache Magie für den Haushalt".

Thalyc nahm sich einige Momente um es durchzublättern und erkannte es schnell als die Art von Blendwerk mit der man in großen Städten eine Menge Gold verdienen konnte. Solche Bücher die einfache Lösungen versprachen, wiegten die Kosten für Pergament und Einband nicht nur auf, sondern sorgten dafür dass der Autor auch noch eine gute Weile davon überlegen konnte. Zeit genug für den nächsten Betrug am Leichtgläubigen.

Er ließ das Buch im Zimmer und wollte selbiges gerade verlassen als er bemerkte dass sich etwas verändert hatte. "Was du Narr, denk schneller. Denk nach, vergiss dieses dumme Buch" schalt er sich leise während sich sein Blick auf den Kleiderhaken heftete. Der Umhang und die Stiefel waren weg. Dafür war auf dem Kleiderhaken eine Substanz die am ehesten verschimmelten Lebensmitteln gleichkam. Sie war nicht angetrocknet, sondern frisch und verströmte einen würzigen, jedoch leicht Brechreiz provozierenden Geruch.

Thalyc schwang sein Beil kurz in der Hand und begann dann das Gebäude nochmal zu durchsuchen. Von oben bis unten - wobei er im Tavernenraum die offenstehende Tür nach draußen bemerkte. Im Inneren gab es keine Spuren die auf Eindringlinge von außen hätten schließen lassen, dafür aber einige, bereits fast vom Regen weggespülte Spuren auf der Straße die vom Gebäude wegführten. Thalyc schloss die Tür und verriegelte sie.

In diesem Moment war es ihm als beobachte ihn jemand, wenngleich er sicher war dass der Raum leer war. Der Waldläufer entschied, dass es das beste wäre zu warten bis das Wetter sich bessert und er dann auch die Ställe und den Rest des Grundstücks untersuchen konnte. Auf die Löcher zog Thalyc einige umgekippte Tische - genug Versiegelung fürs erste, wie er befand. Wenn da jemand durch wollte, so musste er Krach machen.

Vor alle Türen im Haus stellte er Karaffen oder Flaschen aus Glas oder Ton, wie auch auf die Tische an den Löchern. Wenn jemand hier rein wollte, dann würde er Krach machen MÜSSEN. Und Untote scherten sich nicht um solche Dinge, das wuste Thalyc. Mit Sicherheit.

Das Bett in Zimmer eins war das seiner Wahl und ohne sich zu entkleiden oder abzurüsten legte er sich auf das weiche Bett und befand, dass es nicht schaden konnte die Augen für einige Momente zu schließen. Und so schlief der Waldläufer vom Mantelwald den Schlaf eines gerechten Mannes ohne zu wissen, dass sich die Taverne bald wieder mit Gästen füllen würde - und die würden auf mehr aus sein, als nur eine harmlose Kneipenschlägerei.

Die Stille, die einen in die Welt des Schlafes herabriss kam immer überraschend. Eben noch überlegte man ungemein wichtige Dinge und danach war man ohne es zu merken in einem Kerker voller Dunkelheit. In diesem befand sich auch Thalyc bis er, unsanft, von einem Konzert aus Klirren geweckt wurde. Bevor sich noch seine Gedanken klären konnte, begannen seine Augen bereits Bilder an seinen Kopf zu übermititeln. Eine Person, oder nur ihr Schatten, verschwand schlagartig hinter der Tür zum Zimmer und ließ diese einmal gegen den Rahmen schlagen und dann wieder zurückprallen während unten, es musste wohl der Tavernenraum sein, das Klirren abebbte.

Der Jägersmann war wach, die Geräusche wieder erstorben. Und wahrlich, die Zeit zu jagen war gekommen.

Langsam erhob sich der Streiter in Waffen und begann gar nicht erst seine Armbrust zu laden sondern direkt eines seiner Wurfbeile vom Gurt zu lösen und in der anderen ein weiteres in Bereitschaft vorzuhalten. Die Stille hatte sich wieder trügerisch über die Räumlichkeiten gelegt, doch als Thalyc die Galerie über dem Tavernenbetrat, von der Gästeebene kommend, sah er bereits die ersten "Gäste". Drei knochige Gestalten, nur noch der fahle Abglanz von Kleidung und die Vermutung von Fleisch die mal auf den Knochen gelegen hatte, haftete an ihnen während sie inmitten des Raumes standen, die Tischplatten durchbrochen oder beiseite geschoben, alle Krüge und Gläser zerbrochen. Zwischen dem ersten Axtwurf und dem Augenblick in dem die drei Skelettkrieger den Waldläufer bemerkten lag kein wirklich messbarer Zeitraum. Das Wurfbeil beschrieb seine bogenförmigen, seltsam träge Flugbahn und schlug mit einiger Gewalt in den Schädel des Skeletts und zerbarst die Knochenplatte an der Oberseite vollständig. Der Krieger begann zu taumeln und sich Richtung Treppe zu bewegen, jedoch zu langsam als dass Thalyc zu wenig Zeit gehabt hätte einen weiteren Wurf anzubringen. Das Beil schlug ein und richtete den untoten Krieger noch auf der ersten Stufe. Die beiden andere jedoch stiegen ihren Kameraden hinweg und waren äußerst flink.

Der Waldläufer begann seine Armbrust zu laden während er sich rückwärts bewegte und kniete sich hin. Ein Schuss sollte genügen um ihm ausreichend Zeit zu schenken. Er zielte und wenige Augenblicke später verließ der Bolzen die Armbrust und durchschlug mit unheimlichem Zuggewicht die Wirbelsäule des Skeletts, welches nun in zwei Hälften am Boden lag und hilflos umhertaumelte aber weiterhin beseelt blieb. Thalyc warf die Armbrust beiseite, griff mit einer Hand das Geländer der Galerie und schwang sich hinunter in den Tavernenraum, während der verbliebene Skelettkrieger seine Richtung änderte und wieder richtung Treppe eilte - immer dem Fleisch hinterher. Während er noch gen Tür rannte um sich in eine bessere Position zu bringen, warf er ein weiteres Wurfbeill welches den verbliebenen Soldaten um Haaresbreite verfehlte. Trotzdem verfingen sich die knochigen Füße des Schwertkämpfers auf den Treppenstufen und die rastlose Seele fiel klappernd und polternd auf den Tavernenboden.

Für einige Momente herrschte Stille und der Waldläufer besah sich das Ergebnis. Kurz und vor allem schmerzlos, bekannte er und ging zu den Stufen um die letzten zuckenden Reste des zweiten Skeletts des falschen Lebens zu berauben. Thalyc hatte grad die ersten Stufen genommen als er jedoch das Klappern hinter sich wieder wahrnahm und sich der Skelettkrieger wieder aufbaute. Er zog blitzartig seine beiden Handäxte, konnte jedoch den Schwertschlag nicht parieren der ihm eine Schnittwunde in den Oberschenkel beibrachte als er zurücksprang. Der nächste Schlag des Skeletts ging ins Leere als der Jägersmann sich über das Geländer wegrollte und - beide Äxte in horizontaler, entgegengesetzter Richtung auf Halshöhe schwingend - die Wirbelsäule durchbrach nur um wenige Augenblicke später nochmal mit seiner Axt den Schädel zu spalten. Nun stand nichts mehr zwischen ihm und dem zweiten Kandidaten, der dem Recken ans Leder wollte, könnte man meinen. Nun, in der Summe mag das stimmen - denn kurz darauf segneten auch die zuckenden Reste des zweiten Skeletts das Zeitliche.

Doch war die Überraschung nicht klein als Thalyc das Fallen von Stoff, als entblöße sich eine Schönheit in seinem Rücken, hinter sich wahrnahm. Da war niemand hinter ihm gewesen. Da war niemand und trotzdem bohrte sich ein stechender Schmerz soeben in seine Schulter. Ein Schmerz der sich anfühlte als würde etwas in seinen Körper greifen, einfach hineingreifen und darin wühlen. Er blickte mit schmerzverzerrtem Gesicht zu seiner Schulter und sah noch wie sich eine Art Finger oder Klaue, genau mag man es nicht sagen, durch seine Schulter bohrte und dabei das Fleisch aufriss und kurz darauf verschwand. Was blieb war der brennende Schmerz in der Schulter, der es seinem linken Arm kaum ermöglichte die Axt zu halten. Er drehte sich um und was er sah war ... nichts. Außer den Stiefeln und dem Mantel die er in Zimmernummer sechs gesehen hatte.

Ein kurzer Fluch entglitt Thalyc und er entschied, dass es ein Stück abgerissener Stoff vom Mantel tun müsste um seine Wunde zu verbinden. Er wollte sich eben nach dem Stück bücken als sich im Raum etwas veränderte. Zuerst wieder nur dieses merkwürdige Gefühl von einer Sache die seine Augen noch nicht recht erfassen konnten als er sah dass es im Raum dunkler zu werden schien .. oder .. vielmehr die Schatten länger wurden. Besonders einer: Sein eigener. Der Schatten sah aus als würde er unter seinen Stiefeln davonfließen, eine eigene Form bekommen wie eine Flüssigkeit die aus ihm herausfloss. Der Waldläufer machte einige Schritt zurück und dies verlängerte oder vielmehr vergrößerte den Schatten nur während er damit beschäftigt war das was aktuell geschah zu begreifen. Natürlich, er hatte viele Dinge gesehen und gehört.. aber dass die Schatten selbst zum Leben erwachten. Thalyc spürte eine ekelerregende Übelkeit in sich aufsteigen gepaart mit nicht einem kurzen aber dafür umso heftigeren Schwindel.

Der Schatten jedoch, nicht seiner sondern einer der darüber gelegen hatten wie man nun sah - bei den Göttern und auch allen Sterblichen ..! - baute sich indes auf und brachte sich eine ganz eigene Form. Er nahm dabei die Konturen eines Mannes, möglicherweise eines Robenträgers wenn man soweit gehen wollte, an und stand für einige Momente nur dort. Thalyc selbst tat nichts anderes und gab dabei noch einen ziemlich dämlichen Gesichtsausdruck preis, mit einer hängenden Kinnlade und einem zuckenden Auge. Das Gefühl, sehr durchdringend angeblickt zu werden, sorgte schliesslich dafür dass er sich aus der Benommenheit lösen und dem Adrenalin vor vernunftbedingter Klärung den Vorzug gab als er bereits einen Schlag in seiner Magengegend spürte, der ihn straucheln ließ. Hatte der Schatten, diese Kreatur sich bewegt ? Thalyc glaubte nicht. Woher also .. egal. Erneut wischte er alle Fragen beiseite und begann sein letztes Wurfbeil in diese durchsichtig, dunkle Kreatur zu werfen. Thalyc rechnete schon damit, dass dies das Ende sei weil die Axt geradewegs wie durch Luft durchsegeln würde, aber sie blieb im Halsansatz der Kreatur - den Göttern seis gedankt - stecken und rief einem schrillen Schrei hervor, der irgendwo im Haus irgendein Glas zerplatzen ließ. Thalyc schöpfte neuen Mut, sah jedoch bereits wie die Kreatur ihre Klauen auf eigentümliche Weise wandt und es sah als würde sie etwas weben, als würde sich zwischen diesen Klauen die Dunkelheit etwas vergrößern oder gar intensivieren.

Der Jägersmann verschwendete keine Zeit mehr und beendete die Jagd kurz und schmerzvoll (so hoffte er) für seinen Häscher. Seine beiden Handäxte fraßen sich in die schattenhafte Masse während die Kreatur noch damit beschäftigt war, was auch immer zu tun und hinterließen am Ende nichts außer einer Staubwolke die sich bald darauf komplett in Luft auflöste und Stille wieder das "Nest am Wegesrand" umfing.

Der pochende Schmerz in der Schulter kehrte zurück und mit ihm auch das Bedürfnis einer vernünftigen Wundversorgung. Vorerst würde er mit einem provisorischen Verband leben müssen. Der nächste Morgen brachte dann, nach einer Nacht in der jeder Schattenwurf prüfend mit einem Bolzen oder einer Axtkerbe bedacht wurde, zumindest eine teilweise Lösung für das Erscheinen der Kreatur in diesem Gasthaus. Im Stall, halb von Heu bedeckt, fand Thalyc einen toten Magiewirker, einige Kerzen und eingetrocknetes Blut. Der Magiewirker hatte ein Loch in seiner Stirn, dass der Wunde in seiner Schulter recht ähnlich war und dem Waldläufer bewusst machte, wie anders es doch hätte ausgehen können. Dass die Dinge hier ihren Ursprung genommen hatten, daran bestand kein Zweifel.

Und als der Regen sich gelegt hatte, brach Thalyc endlich auf um Sanya Rithillyn aufzusuchen, die um einen Bonus nicht verlegen war und ihm umsonst Bett und Heiler zur Seite stellte. Und wenn er sich von seiner Verletzung erholt hatte, dann würde er vielleicht auch ihr Angebot annehmen noch etwas zu bleiben - denn sie war lieblich. Und nicht zu jung.


D. (06.02.2008)

Aedelas Sonnenfaust
Thalyc Varnasson

Stormlord

4: Insel des Glücks
(Pre-Weltentor, ca. 1 Jahr später)

Zu wieviel Teilen ist das Leben des Jägersmanns von der Jagd bestimmt und zu vielen Teilen von dem stillen Sehnen nach vollkommener Zufriedenheit und Ruhe vor einem warmen Kamin ? Es gibt solche, die ihr Lebtag mit der Jagd verbringen - die Jagd nach Tieren, Abenteuern, Menschen, ja sogar Drachen. Und auch solche, die ihr Leben unter den Scheffel der Jagd stellen nur um für seine Lieben zu sorgen.

Und dann wieder jene, die ihre Instinkte zur Ruhe betten, den Bogen in der Gerätekammer einschließen und sich ganz einem anderen Leben widmen. Diese seltenen Wesen vermögen es vielleicht für eine gewisse Zeit, sich dem Drang der sie einst voll ausfüllte, nicht mehr hinzugeben. Selbst wenn sie die Jagd nie als das verstanden haben, was es ist, ein unstillbarer Durst, eine gefährliche Sucht, die der Behauptung der eigenen Existenz dient. Sie führen ein friedvolles Leben, fernab von Kriegen. Vielleicht als Tavernier, als Händler, Gerber oder Schätzer und selten nur wenden sie sich nochmals ihrem alten Revier zu. Denn sie wissen, dass sie nie ganz in der Lage sein werden, ihre selbst gehegten Triebe im Zaum zu halten.

Wird der vergangene Jägersmann aber unvermittelt mit seinem Terrain  konfrontiert, so ist er nichts weiter als eine machtlose Marionette seines eigenen Wesens. Er ist verdammt dazu, auf den Duft seiner Umwelt zu reagieren und sofort die Veränderung darin wahrzunehmen, wenn sich die Beute unwissend in seine Nähe schleicht. Seine Ohren sind Sklaven der Geräusche seines Reviers, gezwungen dazu, jede Veränderung - und sei sie noch so leise - an ihren Herrn weiterzugeben. Und dieser ist dann nicht mehr das rational denkende, mit normalen Bedürfnissen gesegnete Wesen - nein. Der Jägersmann kann nicht anders als auf den zur Unstillbarkeit angewachsenen Durst zu reagieren, während sein Adrenalinspiegel alle seine Sinne in stille Ekstase versetzt und sein Herz so massiv schlägt, dass der einsame Recke das Gefühl hat, es könnte in jedem Moment aus der Brust herausplatzen.

Und während sein Körper beinahe umkommt vor Verlangen, sich wieder dem Trieb der Jagd hinzugeben, einem der ureigensten Triebe jedes dereinst primitiven Volkes, wird er nach außen hin gefährlich ruhig. Einem Tier gleich beginnt er zu lauern und zu pirschen - solange bis seine Waffen sich todbringend in das Ziel bohren und er in einem Augenblick endloser Erregung wieder vollends seinen Trieben verfallen ist.


Von all diesen Dingen wusste Thalyc nichts. Hätte er es gewusst, dann hätte er die Jahre mit Sanya vielleicht noch mehr genossen und gewisse Umtriebe vielleicht stärker gemieden. Sanya, die Nichte des Tavernenbesitzers, die in das gleiche Gewerbe getreten und von einer unheimlichen Plage heimgesucht worden war. Die Plage war durch einen der ersten Gäste eingeschleppt worden und über dessen Motive herrschte noch immer, ein Jahr nach der Bereinigung dieses nun fröhlichen Ortes, komplette Unklarheit.

Aber wenn sich die Dinge zum Guten gewandt haben, so hinterfragen wir sie nur selten und in diesem Fall hatte man möglicherweise gut daran getan, es nicht zu tun. Ursprünglich nur eine Zwischenstation, konnte der Jägersmann hier seine neue Heimat in einem Akt unüberlegter aber leidenschaftlicher Zweisamkeit begründen. Zwischen Sanya und ihm hatte sich bereits bei dem ersten Treffen ein besonderes Band gebildet, welches sie in der darauffolgenden Hitze einer ansonsten nicht so warmen Nacht verfestigten. Unüberlegt mag es gewesen sein; Aber die Liebe, so dachte er dereinst, ist etwas worüber man am besten gar nicht nachdenkt sondern geflissentlich den Pfaden folgt, die sie für einen bereitet.

Und so war er dem Pfad in das Bett von Sanya Rithillyn gefolgt und hatte sich von ihr auf eine Weise für das erfolgreiche Säubern ihres Hauses entlohnen lassen, die ihn an ihr Leben binden sollte. Diese Nacht hatte den Grundstein für eine traute Zweisamkeit gelegt, die Thalycs Jagdtrieb, das Sehnen noch mehr rastlose Seelen aus der Welt zu schlagen, beinahe vollkommen besiegt hatte und er empfand tiefe Zufriedenheit mit einem Leben in dem üppigen Gasthaus seiner mittlerweile Angetrauten.

Aye, Ihr lest richtig. Geheiratet haben die beiden Glückspilze mittlerweile und unser Jägersmann ist zu einem richtig häuslichen Manne geworden - könnt ihr Schmalz sagen ? Denn er hat nur noch Augen für sie.

Ja, er hatte ein gutes Leben unser Thalyc Varnasson und er selbst machte sich keine Gedanken darüber, dass fernab im Mantelwald die kleine Gemeinschaft ein nicht so erfolgreiches Leben führte. Der einstige Jägersmann sollte alsbald erfahren, dass der Eigennutz des Seelenfriedens selten ohne eine Gegenleistung kam. Und das Unheil, welches Beshaba für das Glück einforderte, hatte zu dieser Zeit gerade in Ebersweil zu wüten begonnen. Doch der kleinen Gemeinschaft werden wir uns zuwenden, wenn es an der Zeit und das Werk der Missgunst getan ist.

Thalyc war unterdessen damit beschäftigt in Baldur's Tor regelmässigen Unterricht in Benimm, Tanz und Weltenkunde zu nehmen. Denn die Familie seiner Angetrauten war nicht gerade arm wie sich herausstellen sollte und so erklärte sich die Größe von Sanyas Gasthaus auch recht schnell. Ihrem zarten Bitten, zum Wohlgefallen ihrer Familie die Gepflogenheiten von besser betuchten Bürgern zu erlernen, hatte Thalyc nur allzuschnell - dem Glück wie ein hechelnder Köter einem Knochen herjagend - zugestimmt.

Man könnte fast meinen der gute Mann sei seiner Sinne beraubt gewesen und in gewisser Weise stimme das ja, denn die elementar geschärften Sinne des Jägersmanns schwiegen.

Sie schwiegen seit er sich ihrem Körper hingegeben und einem Leben in Frieden und Einfachheit zugestimmt hatte. Sie schwiegen auch beim täglichen Stehen hinter dem Tresen und im Lager des Hauses. Sie schwiegen wenn er seiner Sanya bei der Buchführung über die Schulte blickte (auch intelligent ist sie, gepriesen seien die Götter!) und sie schwiegen während aus dem geschickten aber nur sehr leidlich in Manieren geschulten Mann ein zumindest hinreichend Kundiger des höhergestellten Brauchtums wurde.

Und sie schwiegen noch immer als über der kleinen Insel des Friedens, die sie beide sich zu bewahren geschworen hatten, die ersten Wolken aufzogen. Und als seine Sinne schließlich erwachten, war der Sturm bereits über sie hereingebrochen und das Sterben begann.

D. (11.02.2008)

Aedelas Sonnenfaust
Thalyc Varnasson

Stormlord

5: Bekanntschaft mit dem Puppenspieler
(Pre-Weltentor)

Das Gesicht des einstigen Waldläufers entsprach eben dem Ausdruck geschäftiger Freude, den man in voller Blüte einer guten Arbeit stehend und mit einer liebenden Frau im Rücken nur haben konnte. Einige Münzen klimperten auf dem Tresen und im Austausch dafür reichte Thalyc einen kräftigen Humpen Bier über die Theke - der Mann der es bestellte war kräftig genug um an diesem Abend noch mindestens ein Dutzend davon hinunterstürzen zu können und aus seinem Blick sprach gutes und trinkfreudiges Herz - solche Gäste konnten auch mal unter dem Tisch übernachten ohne dass sie störten.

Die Sonne hatte bereits damit begonnen, Faerun in ein zuerst sanftes rot zu tauchen. Bald schon war Thalyc der Meinung dass es ein Sonnenuntergang war, der in seiner vollen Pracht seinesgleichen suchte. So kam es auch, dass er nicht lange hinter dem Tresen aushielt und frühzeitig Marek, einen Aushilfsjungen, hinter den Tresen stellte. Der war zwar maßlos mit seiner neu zugewiesenen Aufgabe erfordert, aber der Jägersmann der einst war hielt es für eine gute Idee Sanya diesen Sonnenuntergang zu zeigen.

So kam es, dass sie beide schweigend dem mittlerweile vollends roten Glutball zusahen, wie er den Himmel um sich herum in ein gleichmäßiges Rot tauchte, während ein leichter Wind am Wegesrand der Handelsstraße aufkam. Zuerst war es noch erfreutes Staunen und blanke Schönheit, die sie in dem roten, lebensspendenden Objekt am Himmel sahen - doch bald schon begann das rot in ein unfreundliches, distanziertes, blutiges rot umzuschlagen während der Wind nun in leichten Stößen gegen die Kleider der beiden wehte.

"Lass uns reingehen Thalyc, mir gefällt es hier draußen nicht mehr.

Die Worte waren einfach gewählt und aus ihr sprach die Unschuldigkeit der jungen Frau, die manchmal so gewitzt und lebenserfahren wirkte, dass man meinte sie würde sich damit selbst parodieren wollen. Aber das tat sie nicht. Sie hatte ein unbehagliches Gefühl, eines das sie nicht zuordnen konnte und hilflos wie ein Käfer im Marmeladenglas die blutende Sonne am Himmel ansah. Thalyc verstand das - denn er fühlte das gleiche. Er fühlte sich hinausgelockt in eine Falle und nun darin gefangen in Naturgewalt gebundenes Leid mit anzusehen.

Thalyc ? Lass uns gehen. Sie zerrte an seiner Schürze, die in diesem Moment, das wurde Sanya das erste mal seit langem klar, so gar nicht zu diesem Mann - diesem Jäger passte und langsame Panik begann in ihr hinaufzusteigen. Die Panik, dass er erkennen würde, wo sein Platz im Leben war und die Panik damit einen Teil von ihr selbst aufgeben zu müssen wenn er weiterzuziehen gedachte.

"Mir scheint, dass er vollkommen gebannt von diesem Himmelsschauspiel ist, meine Teuerste." Diese Stimme. Sie ließ Sanya einen kalten Schauer den Rücken hinunter laufen, denn in ihr lag keinerlei Wärme sondern nur eine traurige, unendlich alte und verbitterte Melodie. Viel mehr noch, diese Figur musste aus dem Nichts erschienen sein, denn sowohl sie als auch Thalyc hatten den Neuankömmling nicht bemerkt. Zweifelsohne hätten sie das aber, wenn sie der von blutigen Tränen zersetzte Himmel im Augenblick seines Untergangs nicht alle Aufmerksamkeit für sich beansprucht hätte. Und schlussendlich war es zuviel für sie - sie schrie auf und machte damit dem kurzen Schrecken Luft, der zunächst nur von dem alten Mann vor ihr und danach über ihre Reaktion herrührte.

Und nun endlich schüttelte Thalyc den Kopf als sei er aus einem Traum erwacht und blickte zuerst Sanya an, die sich halb an ihren Mann klammerte und dann den alten Mann der - so beschied der zweite Blick - einen kleinen Holzkarren mit sich führte.

"Alter Mann, ihr habt meine Frau erschreckt." erklang die tiefe, ruhige Stimme Thalycs, der doch noch anzumerken war dass er dabei war sich wieder zu sammeln. Und die Reaktion war nichts weiter als ein Grinsen aus einem Mund voller Gestank, gefolgt von einer tiefen Verbeugung. "Ich erflehe eure Verzeihung, Teuerste. Das war nicht meine Absicht. Gestatten: Vinsal von Vinzbergen - dem Lachen der Kinder stets auf der Spur."

"Dem Lachen der Kinder ?!" Thalyc zog eine Braue hoch und blickte den Alten ungläubig an. "Wenn ihr der Knabenliebe verfallen seid, so geht! Hier ist kein Platz für euch und eines unserer Schafe bieten wir für eure lüsternen Zwecke auch nicht feil!" Ohne jedoch das vielwissende und beinahe in diesem alten Körper überlegen wirkende Grinsen zu verlieren, antwortete die traurige, verbittert klingende Stimme prompt: "Nay, mitnichten Herr. Ein Schausteller bin ich und fahre durch die Lande ob Kind im Kind oder Kind im Manne .. oder der Frau .. mit meinem Theater zu erfreuen." "Aber wo sind eure Helfer ? Eure Kulissen ? Eure Karawane an Schaustellerz.." Der Alte wischte die Worte des einstigen Waldläufers mit einer Hand weg. "Seid nicht albern Herr." Der alte Mann kicherte unvermittelt als würde man eine Ladung Kiesel auf Stein ausschütten. "Ein Puppenspieler das bin ich .. und meine kleine Bühne, die führe ich mit mir." Dabei deutete er, als sei dies Beweis genug auf den kleinen Holzkarren hinter sich. "Und ich suche eine Bleibe für die Nacht."

Und die bekam er und legte aus lauter Dank, so sagte er zumindest, noch eine Freivorstellung im Tavernenraum oben drauf.

Der Applaus verendete gerade, denn jung als auch alt hatten Gefallen an dem betagten Spielmeister gefunden. Die Nacht hatte bereits eingesetzt und trotzdem war in dem Gasthaus kein Zeichen von Müdigkeit zu sehen. "Noch eine Geschichte Meister Vinsal, nur noch eine ! Die Menge wollte mehr, hatten die meisten doch viele einsame Tage auf den Wegen dieser Handelsstraße verbracht und genossen nun die Geselligkeit. Sogar zwei Geschichten habe ich für euch müdes und junges Volk und ich versichere euch, 's wird nicht zu lachen. Denn nun folgt das Drama, meine Liebchen! Diese Worte sprach der alte derart verheissungsvoll, dass der interessierten Menge ein kurzes, anerkennendes Raunen entglitt. Dieser Alte konnte auch das Herz berühren ? Alle warteten gespannt und der Vorhang lichtete sich.

Das Klackern zweier aus Holze gefertigten Puppen begann den Raum zu erfüllen, der nun komplett still geworden war. Nicht einmal ein Lachen oder Husten entsann sich einer Kehle - alle starrten gebannt auf die kleine Holzbühne hinter welcher der Alte sein Spiel aufführte.

"Vor langer Zeit .." Das unvermittelte Kieselstein-Kichern. "Jaa.. vor langer Zeit, das sage ich, da gab es ein kleines Dörflein am Rande eines wundersamen Waldes. Dort in diesem Walde lebten alle Kreaturen, die eurem Sagendenken entsprechen - oh ja. Sogar Drachen." Der letzte Satz war, um es spannender zu gestalten, gehaucht und die Stille war so präsent in diesem Raum als hätte jemand hier ausgestopfte Puppen auf die Stühle der Gäste gesetzt. "Die kleine Siedlung aber, das sage ich auch, verstand sich darauf nur vom Nötigsten des Waldes zu zehren und niemals auch nur die Bewohner zu verärgern. Denn sie wussten dass der mächtige Zorn dieser Kreaturen auch aus dem Schutz der Bäume hinausreichen würde wenn man sie in ihrer Ruhe störte." Die zwei Holzpuppen, eine männliche und eine weibliche, standen sich gegenüber. Und so lebten die Bewohner des Dörfleins in Friede und Eintracht. Der Puppenspieler bewegte die Figuren derart geschickt, dass sie sich kurz in den Armen lagen und verstellte seine Stimme so wie er es viele Male an diesem Abend getan hatte. "Willst du mich heiraten Talitha ?" Dann eine tiefere Stimme. "Oh Alain, ja ich will!" Thalyc stockte der Atem und er wurde kreidebleich.

Die Geschichte die der alte Puppenspieler dort erzählte glich in der Folge ebenfalls den Ereignissen, die der Waldläufer vor langer Zeit in Ebersweil erlebt hatte und bei denen seine beiden Freunde und unvermähltes Paar durch untote Kreaturen zu Tode gekommen waren. Vielleicht war er auch in Ebersweil gewesen, hatte sich die Geschichte erzählen lassen und doch standen dem einstigen Jägersmann die Nackenhaare zu Berge. Damit wollte er nicht konfrontiert werden - nicht in der Blüte des Glücks was er in Händen hielt. Er verrannte sich trotz alledem in diesem Augenblick in den Gedanken, es wäre ein Zufall. Ein Zufall, der unglücklich und schmerzlich war. Nur ein Zufall. Zufall.

Und als die Geschichte mit dem Tod der beiden Leute aus Ebersweil und dem späten Sieg durch einen unbekannten Streiter aus des Dorfes Reihen endete, weinten viele im Saal. Er hatte die Geschichte so erzählt wie sie passiert war und schien damit in die Herzen der Gäste gestochen zu haben. Sie schnieften und schluchzten - ja, fürwahr ein trauriges Schicksal.

"Wartet, meine guten, guten Leute ! Spart euch eure Tränen auf - denn mein zweites, mein bestes, mein Meisterdrama, auch das will ich euch nicht vorenthalten denn ihr seid fürwahr das beste Publikum für einen alten Mann seit langem." "Und wir sagen Dank, Meister Vinsal!" ertönt es darauf im Chor in leicht gebrochenen Stimmen.

Thalyc indes sagte nichts mehr. Er stand hinter dem Tresen und sah dem Schauspiel zu und dachte für einen Moment hinter dem Vorhang das Gesicht des alten Mannes sehen zu können. Kein guter, alter Mann. Sondern ein böses, niederträchtiges Grinsen, eines das zu mehr fähig war mit seinen geschickten, oh so geschickten Händen. Er verbannte die warnende Instinkte des Jägers ein letztes mal - das letzte mal in dieser Trauermär und das letzte mal in seinem ganzen Leben. Und so öffnete sich der Vorhang erneut.

Die neue Geschichte handelte von einem Dörflein, das nicht so friedvoll mit dem Walde zu leben pflegte, so sagte der Puppenspieler. Es heiße, so wahr er es sage, Ebersweil. Und wenn man dachte, der gute Thalyc hätte nicht mehr an Blässe hinzugewinnen können, so wurde er nun eines besseren belehrt. Die neue Geschichte jedoch war Thalyc nicht bekannt und doch wusste er dass sie der Wahrheit entsprach. In tiefem Herzen wusste er das. Sie handelte davon, dass nach der Abreise des Schlächters der Toten von einst, in Ebersweil die Gier Einzug hielt und man sich anschickte, die Kreaturen und Schätze des Waldes anzugehen für ein Mehr an Gold. Für wärmere Hütten. Für mehr Nahrung, mit der man Handel treiben könne. Nein, das war nicht Thalycs Ebersweil. Nicht als er es verlassen hatte. Aber heute ? Hatte die Siedlung zu lange von seiner erträglichen Jagd - und bei diesem Gedanken fühlte er den Speer der Sehnsucht kurzzeitig durch sein Herz stossen - gelebt und vom Blut des Goldes zu sehr gekostet ? Er hatte lange nichts mehr von ihnen gehört, nicht seit er Sanya kennengelernt hatte.

Der Puppenspieler jedoch fuhr mit einer Geschichte von Grauen und Leid fort. Er erklärte wie es einer Kreatur aus dem Wald schliesslich genug gewesen sei und wie sie die Bewohner Ebersweils in den Formen eines Waldgeists, einer hübschen Fee und als wütender Bär nach und nach durch Intrige und rohe Gewalt in den Tode trieb bis man ihn auf die Fährte des Schlächters trieb, jener der den Goldsegen veranlasst und gestartet hatte. Jener, der ihnen die Ungebundenheit an solcherlei Güter genommen hatte. Der Dämon, der Teufel. Und so jagte das Monster aus dem Wald dem Mann hinterher, der nur hatte gutes tun wollen und dem Lebenswandel seiner teuren Menschen den Tod von vielen erkauft hatte.

"Noch heute gibt es Ebersweil, meine Freunde. Und dort leben nicht mehr die glücklichen Menschen von einst - oh nein. Grimmige, von Leid und Tod gezeichnete sind es nun, beinahe selbst ein Teil des alten Waldes geworden der seinen Bogen über sie gespannt hat als der Wille des Waldes sie verlassen hatte. Sie töten jeden Neuankömmling auf Sicht und haben endgültig allen Gütern entsagt, die auch nur geringsten Luxus bedeuten könnten und sie wollen nichts mehr mit der Außenwelt zu tun haben - denn die Außenwelt war es, die ihnen das Leid gebracht hat. Und so hoffen sie noch heute auf die Rückkehr ihres Dämons in Gold, dass sie sein Haupt auf einen Stecken aufpflanzen und ein Feuer darum machen können, auf dass sie von ihrer eigenen Sünde freigesprochen werden."

Als der Puppenspieler diese Worte sagte und die Menge über die Genialität dieses Schauspiels tobte war Thalyc bereits verschwunden. Er hatte gesagt es sei ihm plötzlich unwohl und damit Sanyas und sein Zimmer aufgesucht. Und geweint.

D. (11.02.2008)

Aedelas Sonnenfaust
Thalyc Varnasson