Momente vor Seldaria

Started by Myria Crieth, 29. Januar 2008, 21:01:56

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Myria Crieth

Momente vor Seldaria
- Wiederkehrende Albträume III



"Ein Kuss der Unendlichkeit,
er brennt wie Feuer über die Haut,
dort wo des Wahnsinns Zungen
das unschuldige Fleisch befleckten.

Sünde in den Augen des Opfers,
Sünde in den Augen des Täters."



Ein Schrei durchzuckte jede Faser ihres Körper - so laut das sie die Orientierung verlor und so schrill das er jeden Gedanken überdeckte. So rein, animalisch, unendlich und so alt, wie die Schöpfung selbst. Jeglicher Sinn für Ordnung und Verhalten wurde davongetragen, Risse in ihrem Verstand, als wäre es eine Glassplatte, die man zu zerschlagen versucht hatte. Gefühle und Urinstinkte, so alt wie der Schrei selbst, aus einer Zeit, aus einer Welt, in der alleine das Chaos herrschte und es nicht einmal Gedanken an Ordnung und Zivilisation gab, fluteten ihren Verstand.

Gier, Lust und Hass verdrängten jeden klaren Gedanken. Der Drang zu töten, zu töten um zu überleben, wuchs in ihr heran, mit jedem Moment stärker. Der bittere Geschmack von Blut auf ihren Lippen erfüllte sie mit Hunger nach Fleisch. Wie sich ihr ganzer Körper danach sehnte seine Zähne in das noch warme Fleisch ihrer Beute zu schlagen, nach der Jagd. Als Raubtier die Fährte aufzunehmen, der Geruch von Leben in der Nase, den Geschmack von Blut, das Pochen eines Herzens. Zu jagen, zu verfolgen, aufzulauern - nicht nur als Jäger, sondern als Räuber von Fleisch und Leben. Die Beute, das Opfer, zu überwältigen und zu töten. Und das noch lebendige Fleisch aus dem Körper zu reissen, es zu schmecken. So wie wir geschaffen wurden, wofür wir geschaffen wurden.

Gewalt. Eine Sehnsucht nach Gewalt drängte sich in den Vordergrund. Darin verborgen das Versprechen nach höchster Ekstase als Belohnung. Töten, Kämpfen, Erobern, nicht zum Überleben, nicht aus der Notwendigkeit heraus, sondern alleine um der Tat willen. Vor ihren Augen breitete sich ein brennendes Land aus, geschändet durch eine Unendlichkeit der Anarchie, durch das Recht des Stärkeren in einer Welt ohne Gewissen, ohne Mitgefühl und ohne Gnade. Der Boden war getränkt in Blut und Asche. Flammen bedeckten das Land als wären sie Bäume in einem Wald. Ihr ganzes Dasein war erfüllt von dem dunklen Versprechen der Belohnung, der Ekstase. Selbst ihr Bewusstsein darunter vergraben. Ihr Charakter, ihre Persönlichkeit, davongewischt, nur ein weiteres Raubtier im Chaos, bereit für den Preis zu morden.

Blut mischte sich mit Tränen, als der stechende Schmerz in den Augen anhielt. Sie schien in die Unendlichkeit hinabzufallen und doch spürte sie hölzernen Boden fest unter sich. Ihre Fingernägel, grösstenteils abgebrochen und blutig, versuchten sich am Holz festzukrallen, Halt zu finden. Noch immer lag der bittere Geschmack von Blut in ihrem Mund und dieser würde sie noch für einige Zeit begleiten, da ihre eigenen Zähne sich tief in Zunge und Unterlippe gegraben hatten.
Zeit verging bedeutungslos, und erst als ihr Fall sich zu verlangsamen begann, kehrte ihr Hörvermögen zurück - ihre eigene stockende Atmung, Wind der durch Blätter rauscht. Doch noch immer verweigerten ihre Augen den Dienst.

Als der Traum sie das erste Mal aufgesucht hatte, war sie in Panik ausgebrochen, im Glauben erblindet zu sein. Nun war sie sich der Überreizung der Sinne bewusst, was es jedoch keinesfalls erträglicher machte. Sie war Schmerzen gewohnt, doch eine andere Art der Schmerzen. Dies war eine Bestrafung, eine der sie nichts entgegen setzen konnte. Der Raum drehte sich noch ein letztes Mal um sie, dann sollte Dunkelheit ihren Geist für viele Stunden umfangen. Ein Schlaf ohne Träume.

Sanfte Sonnenstrahlen wärmten ihr Gesicht, der Geruch von altem Holz erfüllte ihre Nase, melodisches Vogelgezwitscher in den Ohren; nur der bittere Geschmack von Blut in ihrem Mund und der stechende Schmerz in ihrem Körper erinnerten noch an die vergangene Nacht. Ihre blauen Augen wanderten durch den Raum - sie befand sich in einem Schlafzimmer. Ein Kamin gegenüber des Bettes, der Boden, bis auf das Blut, gepflegt und doch zeigte der Blick durch das Fenster nur Bäume und Wald.
Es spielte keine Rolle wo sie sich befand, es galt nur wieder zurück zu finden.

Einige Augenblicke später verliess sie die Raststätte im Wald, ihre Robe eng um den Körper gezogen. Sie hielt nur kurz inne um sich ihr Gesicht und die Hände am Brunnen zu waschen. Natürlich war ihr aufgefallen, dass völlige Stille herrschte. Natürlich war sie sich bewusst, dass es ungewöhnlich war niemanden anzutreffen. Es war nicht von Bedeutung. Ausserdem hätte sie den Schankraum der Raststätte betreten müssen, um die Leichen zu finden.

Keine hundert Schritt von der Raststätte entfernt endeten ihre Spuren, lediglich ein kurzes weisses Licht war Zeuge ihres Verschwindens.