Eisauge - Ein Blick zurück

Started by Pale, 09. April 2008, 13:09:46

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Pale

Ein Tag aus der Kindheit

Es ist eine der ersten Erinnerungen seines Lebens: Chai kniet auf dem Fell irgendeiner Schneebestie, das vor langer Zeit in den windgepeitschten Eisbergen Naggaroths lebte. Es ist der Mittelpunkt des Wohnraums im Hause seiner Eltern. Irgendwo in seinem Rücken lodert der Kamin, spendet eine flüchtige, geradezu trügerische Wärme, die nicht bis in die weißgekalkten Wände des Hauses reicht. Der Knabe mit dem langen schwarzen Haar zuckt kurz, als seine Mutter Dagheera einen missgestalteten Sklaven anfaucht ihr nicht im Weg zu stehen. Lange schon geht sie auf und ab, misst die Umgebung mit kaltem Blick, immer wieder eilt sie an eines der konischen Fensteröffnungen, um nach draußen zu sehen. Doch obwohl sie ihm dem Rücken zugewandt hat, bemerkt sie das Zögern und sein Zucken.
„Es besteht kein Grund die Ausführung deiner Aufgabe zu unterbrechen.“ Herrscht sie ihn und mit nicht viel mehr Stolz als der elende Sklave, der vorhin noch zurechtgewiesen wurde, machen seine Hände weiter. Chai bindet Quasten und andere Gebinde aus den Haaren von Toten. Erst gestern hat die Küchensklavin sie von den frischen Skalps geschabt, die die geschicktesten Mörder des Hauses von ihren täglichen Stadtrundgängen mitgebracht haben.
„Blut und Seelen.“ Sagt er leise zu sich selbst, seufzt in sich hinein, er wagt es nicht, seinen Unmut nach außen dringen zu lassen. Plötzlich spürt er die Hand seiner Mutter, ihre schlanken Glieder der knochigen Finger, ihre scharfen Fingernägel, wie sie ihn an Schulter und der noch weichen Nackenhaut berühren.
„Blut und Seelen, mein Sohn, in der Tat. Sei fleißig, das wird deinem Vater gefallen.“
Schon bei der Erwähnung stellen sich seine Nackenhaare auf und er unterdrückt das aufkommende Zittern in seinen Händen, versucht an etwas anderes zu denken. Die nächsten Knoten und Bindungen kommen wie von selbst und bald hat er einen prächtigen Schmuck aus vielfarbigem Haar vor sich liegen. Seine Beine schmerzen von der langen, ununterbrochenen Haltung des Kniens.
Schließlich hört man das Öffnen einer Türe und Dagheera fährt wie ein abgeschossener Pfeil herum, dirigiert Sklaven und Diener in einem einzigen Augenblick mit ihren Gesten an ihre Positionen. Schwere Schritte von Plattenstiefeln hallen über den Flur und schließlich erscheint die imposante Gestalt eines Druchii in dem Durchgang. Grünes Hexenlicht bricht sich auf den Schulterplatten des verzierten Kettenharnisches. Es ist Chais Vater Versacce, ein Draichnyr na Khaine, ein Henker. Seine Rüstung ist bedeckt von feinen Blutspritzern und anderen Ãœberresten des Lebendigen â€" wie jeden Tag, wenn er nach Hause kommt. Langsam setzt er seinen scharfkantigen Helm ab und lässt ihn links von sich fallen. Ein Sklave verhindert ein lautes Scheppern damit, dass er seine Hände darunter bereithält. Wehe seinem Vorgänger, der sich dabei ungeschickt anstellte und nun nicht mehr in der diesseitigen Welt weilte. Mochte man meinen durch den Anblick des Gesichtes etwas vertrautes zu erblicken, der wurde sich schnell bewusst, dass der Helm nur verdeckt hatte, was noch mehr Schrecken bereiten konnte: Die den Tod versprechenden Augen eines Mannes. Das glatte schwarze Haar fiel auf die Schultern herab, bildete eine Linie mit der länglichen Linie des Gesichtes mit den hohen Wangenknochen und der kantigen Hakennase. Respektvoll verharrte Chai in seiner Position und für den ersten Moment seit langer Zeit wusste er um die schützende Funktion seiner Mutter, denn sie eilte Versacce entgegen und versperrte so die Sicht auf ihn. „Wie hat der Tempel-Rat entschieden? Wird unser Haus die Prozession führen?“ Er schob sie mit einer einzigen Bewegung seines Armes zur Seite. „Wo ist Maggor?“ Verlangte er zu wissen. Sichtlich bemüht beherrscht sammelte sich Dagheera, verschränkte die Arme und reckte das Kinn vor, da ihre nun schon so lang gehegte Geduld auf die Beantwortung ihrer Frage noch weiter getrieben wurde. „Dein Erstgeborener ist bereits zur Arena aufgebrochen, bestimmt um sich jetzt schon feiern zu lassen.“ â€" „Dieser Narr!“ hallte seine scharfe Stimme durch den Raum und der Henker ballte eine Faust. „Er hat riskiert alles, wofür ich in den letzten Monaten so hart gekämpft habe. Wir werden die Position nur bekommen, wenn er heute beim Shakhtila siegt.“ Unfreiwillig schnellte Dagheera einen Schritt nach vorn und auf ihn zu, ihre lauernde Haltung damit aufgeben. „Also hatte meine Intrige Erfolg? Samittras Sohn ist verbannt worden?“ Versacces Kinn zuckte, was ein tückisches Schmunzeln hätte werden können. „Ja, der Anschlag auf das Haus von Ratsmitglied Teharim wurde ihm angelastet. Niemand ahnt etwas und so wurde der Weg für Maggor frei.“ Er schlug seine Faust in seine eisenhandschuhbewehrte Hand. „Aber ich hatte ihm aufgetragen sich still und unauffällig zu verhalten. Stattdessen stürzt er sich in den Wettstreit mit dem Sohn des Carnifex.“ Dagheera nickte ernst. „Du musstest dich darauf einlassen, um unsere Ehre zu wahren.“ Versacce verengte die Augen. „Soll er gewinnen und sich damit zum Ziel der anderen machen, er wird nicht lange genug Zeit haben es zu bedauern, wenn ich nach dem Shakhtila mit ihm fertig bin.“ Nun sah Dagheera die Zeit gekommen, in der sie Stärke zeigen musste. „Mäßige dich, ich meine es ernst. Wenn Maggor gewinnt, dann kann der Carnifex nicht anders, als uns im kommenden Jahr an Würde voranzustellen. Wir hatten noch keine Gelegenheit wie diese.“
Einen Moment sah es so aus, als hätte sein Vater vor, seiner Frau einfach ins Gesicht zu schlagen dafür, dass sie so mit ihm sprach. Dann aber richtete er sich zu seiner vollen Größe auf. „Gleich was passiert, Maggor wird seine Strafe erhalten. Doch wenn er gewinnt...soll ihm der Lohn an unseren Aufstieg ebenfalls zuteil werden.“ Dagheera verneigte sich und trat dann beiseite, gewährte ihm so freien Blick auf den Wohnraum, wo Chai alles mit angehört hatte. Der Knabe spürte den Blick seines Vaters auf ihm, doch seines Glückes halber war er so in seine fanatischen und ehrgeizigen Pläne eingetaucht, dass er verhältnismäßig gute Laune hatte. „Und was tut mein Jüngster? Knüpfst du uns schöne Wimpel für das Shakhtila?“ â€" „Ja, Vater.“ Der Junge wagte es zögerlich, seinen Blick zu heben und er hätte schwören können, es hätte niemals einen größeren Mann geben können als seinen furchteinflößenden Henker-Vater. „Gut so, du darfst und heute Abend begleiten und deinem Bruder das Siegeswimpel anreichen, wenn er gewinnt.“ Dann wandte er sich ab, das Interesse an seinem Kind währte nicht besonders lang, aber es war mehr als an vielen anderen Tagen und Chais Herz pochte ihm bis zum Halse. Nun war seine Motivation des Haarbindens- und Flechtens immens gestiegen, denn zum ersten Mal in seinem Leben durfte er scheinbar heute mit in die Arena, die ein ganzes Stück Druchii-Kultur prägte. Als Versacce sich zurückgezogen hatte, kam Dagheera noch einmal zu ihm und sie lächelte, wenn Hexen mit Mordabsichten lächeln. „Komm mein Kind, ich habe eine hübsche Kette aus kleinen Knochen für dich, wenn du uns heute Abend begleitest, willst du doch hübsch aussehen, oder?“ Natürlich war es keine Frage. Eine Knochenkette für ihn â€" Chai war so stolz wie ein Druchii-Kind nur sein konnte.

Am Abend hing ein grauweißer Wolkenhimmel über der Stadt und das Blut in der Arena floss so reichlich, als wolle es den Himmel mit seinem satten Rot verspotten. Der Wind setzte die bunten Banner der verschiedenen Adelshäuser der Stadt in ein steifes Flattern. Viele Druchii-Damen hatten ihr langes schwarzes Haar hochgesteckt und trugen feinste Kleider ungeachtet des ruden Schauspiels weiter unten, aber auch die Männer hatten sich herausgeputzt, trugen frisch gegerbte Lederkhaitane oder polierte Harnische. Die Stimmung war ausgelassen und von Spannung erfüllt. Der Wein floss reichlich und anfeuernde und spottende Rufe bescherten der Stadt eine Kakophonie eines frenetischen Wahnsinns, den man ebenso begrüßte, wie die heraufziehende Nacht. Es war Shakhtila-Zeit. Das bedeutete, dass verschiedene Druchii-Krieger in der Arena auf ihren Nauglir-Echsen bewaffneten und doch verdammten Sklaven nachstellten. Verschiedene Mannschaften arbeiteten zusammen und in Gruppen gegen die Konkurrenz. Es ging darum, möglichst viele Köpfe der Sklaven zu sammeln und sie als Trophäe zu erbeuten. Kein anderes Volk der Welt kannte diesen Sport, dieses Vergnügen, wie die Druchii es häufig zelebrierten, Männer wie Frauen gleichermaßen.
Auf einer erhöhten Tribüne saß der Carnifex, der Anführer der Tempelältesten und wenn überhaupt, dann nur geringer im Ansehen als der Drachau und der Hexenkönig selbst. Faktisch besaß er absolute Macht in Har Ganeth. Chai stellte sich auf die Zehenspitzen, um von seiner Position auf der Seitenbühne aus einen Blick auf diesen legendären Druchii zu ergattern. Doch viel erkannte man nicht, denn er trug ein opulentes Gewand und einen gewaltigen Helm. Um ihn herum waren weitere Tempelangehörige und auch einige Henker versammelt. Chai versuchte zu erkennen, welcher davon sein Vater war, man konnte es durch die komplette Rüstung mit Helm kaum erkennen, da alle Henker diese Kluft uniform trugen, aber ein Sohn kannte seinen Vater gut und so meinte er ihn an seiner Haltung erkennen zu können. „Wo schaust du denn hin? Sieh nur, Maggor ist einem auf der Fährte.“ Wurde er dann von seiner Mutter wieder auf das Geschehen in der Arena aufmerksam gemacht. Sie hatte eine Hand auf seine Schulter gelegt und drückte sie etwas zu fest, als dass es angenehm hätte sein können. Mit der anderen Hand deutete sie auf einen Druchii-Reiter, der gerade seinem Nauglir die Sporen gab und unter dem Gejohle der Menge einem dunkelhäutigen Sklaven nachstellte, der nichts weiter als einen Speer und eine halb zerrissene Hose hatte und zudem aus mehreren Wunden blutete. „Ein leichter Fang! Vorwärts Maggor!“ Fieberte Dagheera mit und ballte vor Anspannung die ausgestreckte Hand zur Faust. Fast hatte er die leichte Beute eingeholt, da schoss ein Reiter aus dem gegnerischen Team aus einer aufgewühlten Sandwolke hervor und versuchte noch, ihm den Skalp des Menschen streitig zu machen. Es war eine Frau und sie saß auf einem kleineren und scheinbar sehr viel wendigeren Nauglir. Fast gelang es ihr, ihren Konkurrenten einfach abzuhängen, aber Maggor war nicht unbedarft im Kampf, wie auch im Shakhtila. Als er einsah, dass er dieses Rennen nicht gewinnen konnte, zumal der Mensch in Todesangst auf seiner Flucht Haken schlug, stieß er seinem Reittier die Sporen in die Seite. Mit einem zischenden Laut sprang die Echse nach vorn. Sie schaffte es nicht, sich vor den anderen Nauglir zu setzen, aber es brachte Maggor näher heran â€" und das war alles, was er brauchte: Er stieß seine Lanze in die Flanke des Reittieres der Frau. Wie erwartet bremste der Nauglir seinen Ansturm und schnappte wütend nach der Lanze, die ihm im Hinterlauf steckte. Blitzschnell hatte Maggor seine Handwaffe bereit und parierte damit einen Axthieb der Frau, die diesen Anschlag auf ihr Reittier wohl hatte kommen sehen. Indes rannte der verzweifelte Sklave weiter um sein Leben, doch weit kam er nicht, denn Dan’tar, der Sohn des Carnifex schlug einen Fleischerhaken in seinen Leib, als er ihn im stillen Ansturm einfach aufgabelte, als der Mensch etwas zu lang nach hinten gesehen hatte. Es dauerte nicht lange, bis Dan’tar den Kopf mit einer Klinge abgetrennt hatte. Der Körper fiel einfach in den Sand, während sein Mörder triumphierend den Schädel in die Höhe hielt und das Blut lief in einem heißen Strom seinen Arm hinab. Die Menge johlte begeistert und Versacce rührte sich nervös, während der Carnifex neben ihm seine Hände zu einem leichten Applaus für die Leistung seines Sohnes bemühte. Der Henker war froh, dass der Helm sein Gesicht verbarg. Am liebsten hätte er sich über die Brüstung gelehnt und Maggor eine Ohrfeige verpasst. Zwar trug sein Sohn bereits vier Köpfe an seinem Gürtel, aber Dan’tar hatte nun schon fünf vorzuweisen und das Spiel konnte nicht mehr lange dauern, da von den ehemals zwanzig menschlichen und zwergischen Sklaven nur noch drei am leben waren. Maggor musste also noch zwei davon in seinen Besitz bringen, wenn er gewinnen wollte. Die Chancen standen schlecht. „Heilige Mutter der Nacht.“ Staunte Chai, als er sah, wie der Ansturm auf die letzten Sklaven seinen Lauf nahm, das blutige Schauspiel hatte ihn angesteckt und er wusste, dass der Sieg heute wichtig für seine Familie war, auch wenn er nicht alle Hintergründe dazu kannte, die zweifelsohne von seiner Mutter ersonnen worden waren. Sie war eine gute Ehefrau, stets bemüht ihren Mann voran zu bringen, Konkurrenten und Feinde mit Gift und Intrigen auszuschalten â€" und eine klassische Schönheit nach Druchii-Maßstäben, groß und athletisch schlank, ein scharfkantiges Gesicht und dazu das lange schwarze Haar. Ihre Augen waren dunkel wie die von Maggor, Chai hingegen hatte ungewöhnliche eisblaue Augen, die er von seinem Vater hatte. Als Mutter war sie nicht ganz so zu bewundern, hatte sie doch seit Chai vor vielen Jahren geboren worden war, keinem weiteren Kind das Leben geschenkt. Er wusste, dass sein Vater unzufrieden über diesen Zustand war und es gab unter den Hausangehörigen Spekulationen darüber, ob er sie irgendwann töten und sich eine neue Frau suchen würde. Für Chai erwies sich Dagheeras lange Kinderlosigkeit der letzten Jahre als Vor- und Nachteil zur gleichen Zeit. Als Vorteil, weil dann keine jüngeren Geschwister irgendwann versuchen würden sich höher in der Gunst des Familienoberhauptes zu stellen. Aber der Nachteil daran war, dass Maggor genau diese Sorge allein auf ihn fokussierte.
Er spielte nervös mit den Knochengliedern seiner Kette und schaute zu, wie die Druchii versuchten in rücksichtsloser Blutrünstigkeit die letzten Köpfe (und Punkte somit) zu ergattern. Ein Nauglir machte die Berechnung allerdings gleich zunichte, da er einen der Menschen anfiel und fast im Ganzen verschlag. Es blieb nicht genug von ihm übrig, als dass man da noch etwas von dem Kopf hätte finden können. Der Reiter, der sein Tier nicht im Zaum hatte, erhielt einen Strafpunkt für sein Team, was kurz vor Ende des Wettkampfes eine Menge ausmachte. Pfiffe und Applaus gleichermaßen schallen von den Rängen, aber noch war es nicht vorbei. Maggor erbeutete einen weiteren Kopf, aber den letzten holte sich wiederum Dan’tar, der damit immer noch in der Wertung vorne lag. Offiziell wäre das Shakhtila damit vorbei, aber in einer gewieften, unerwarteten Bewegung köpfte Maggor kurzerhand ein Mitglied seiner Mannschaft und heftete sich dessen Trophäen mit an seinen Gürtel. Die Zuschauer sprangen von ihren Sitzen, redeten wild durcheinander und deuteten auf das Geschehen. Dagheera und Chai hielten beide den Atem an. Dan’tar ritt auf Maggor und seinen Nauglir zu und zog seinen Helm herunter, präsentierte so sein Gesicht. Auf den Zuschauerrängen verstummte der Lärm.
„Ein kühner Hieb, Maggor aus dem Hause Versacce. Aber es verstößt gegen die Regel seine eigenen Mannschaftsmitglieder zu töten.“ Maggor reckte trotzig das Kinn vor, seinen eigenen Helm absetzend. „Ich stelle die Regeln nicht in Frage, Dan’tar, und ich werde der Familie die übliche Entschädigung von dreißig Sklaven für das Haus ihres Standes zahlen.“ Versacce rührte sich neben dem Carnifex und zischte leise etwas in seinen Helm, während sein Sohn weitersprach, die Stimme wurde vom Wind deutlich nach oben getragen. „Aber ich beanspruche auch den Sieg meiner Mannschaft. Wir haben mehr Köpfe gesammelt.“ Dan’tars Blick war mit jedem gesprochenen Wort zorniger geworden. Er stellte sich in seinem Sattel auf und deutete ruckartig mit seinem Schwert auf Maggor. „Nicht, wenn ich mir nun deinen Kopf hole und deine Trophäen noch dazu.“ Zu aller Überraschung lachte Maggor lauthals. „Das verstößt dann aber noch mehr gegen die Regeln, das würde dein Haus viele Sklaven kosten.“ Dan’tar knurrte und riss an den Zügeln seines Nauglir, der daraufhin wütend zischte und sich kurz aufbäumte. „Was glaubst du wer du bist, du Emporkömmling?“ Es ging noch eine ganze Weile so weiter, bis sich schließlich der Carnifex erhob. „Es reicht!“ Donnerte seine Stimme herab. „Ihr beide werdet das Shakhtila mit eurem Streit nicht länger veralbern. Dieses Mal siegt die Mannschaft von Maggor.“ Die Menge jubelte, jedenfalls die Seite, die auf dieses Team gesetzt hatte, die anderen schimpften kopfschüttelnd, aber niemand wagte es, dem Carnifex zu widersprechen. In der Arena hob Maggor triumphierend die erbeuteten Köpfe den Zuschauern entgegen und die übrige Mannschaft hatte es schon im gleichen Moment vergessen, dass er einen von ihnen getötet hatte. Für den Sieg war es ihnen scheinbar angemessen und so feierten sie, während Dan’tar kurz davor war die Nerven zu verlieren und sich auf seinen Kontrahenten zu stürzen. Nur die mahnende Präsenz seines Vaters hielt ihn davon ab. Schnaufend wandte er sich ab und verließ mit seinem Team die Arena. Auch Chai hielt es nicht mehr, er kletterte über die Brüstung und sprang hinunter in den Sand der Arena. Kopflose Leiber lagen in seinem Weg, aber er nahm sie gar nicht weiter wahr, reichte Maggor das Siegeswimpel, das er geknüpft hatte. „Darf ich eine Runde auf deinem Nauglir mitreiten?“ Fragte er aufgeregt, aber Maggor riss ihm nur das Wimpel aus der Hand und trat ihn in den Sand. „Davon träumst du wohl, du Wurm. Verschwinde oder ich verfüttere dich an ihn!“ Abfällig und gleichzeitig amüsiert wandte er sich ab. Chai hasste es seit diesem Moment so viel kleiner und schwächer zu sein. Noch...
Versacce stand nun an der Seite von Dagheera und sahen zu, wie ihr Ã,,ltester seinen Sieg bejubelte. „Er hat es geschafft.“ Sagte er schließlich nach einer langen Zeit des Schweigens. „Ja, aber zu welchem Preis? Er hat sich in Dan’tar einen Feind gemacht.“ Versacce zeigte keine Regung und der Helm verbarg sein Gesicht weiterhin. „Unser Sohn ist stark Dagheera, das hat er heute bewiesen.“ Sie verschränkte die Arme. „Es ist nicht sein Schwertarm, der Maggor schaden kann, sondern seine viel weitreichenderen Beziehungen durch seine Blutsverwandtschaft mit dem Carnifex. Diese Kontakte können ihm das Leben kosten, wenn er sich nicht hütet. Sie sind gefährlicher als alles andere. Glaube mir, ich muss es wissen.“
Der Helm drehte sich etwas zur Seite und durch die Sehschlitze betrachtete er die kalte, wissende Miene seiner Frau. „Kümmere dich in nächster Zeit darum, dass deine Intrigen Maggor helfen.“ Sie nickte und in diesem Moment war sich Versacce sicher, dass er noch ein paar weitere Jahre Geduld für sie aufbringen konnte.
Sszirahc Ousst'tar
Astor Duor
Amir Anjou

Pale

Har Ganeth - Die Stadt der Henker

Aus der Kindheit entwachsen war Chai nun ein Jugendlicher nach Druchii-Maßstäben, seine Gestalt war gewachsen, die Gesichtszüge schärfer ausgeprägt, aber noch würde es wiederum einige Jahre dauern, bis er wirklich ausgewachsen war.
Dennoch ist es ein besonderer Tag für ihn: Der Tag, an dem er im Tempel vorgestellt wird. Dieser Akt betrifft alle Jugendlichen irgendwann, als erstes Symbol, als halbwegs vollwertiges Mitglied der Gesellschaft angesehen zu werden. Der Haushalt ist in heller Aufruhr, Chai hingegen ist nicht aufgeregt. Wohl mag es sein, dass er seine Kammer sehr lange oder nie mehr wiedersehen wird, je nachdem wie die Tempelältesten bei seiner Musterung entscheiden, aber irgendwie fühlt er, dass es nicht das ist, was ihm als Weg vorbestimmt ist. Während viele Gleichaltrige Kontakte knüpfen und pflegen, emsig Gebete auswendig lernen und stets darauf hoffen, als Akolyth aufgenommen zu werden, übt sich Chai lieber im Umgang mit der Waffe. Zwar ist er gläubig, aber nicht so sehr wie jene Fanatiker, aus denen Har Ganeth besteht: Ein Stadt der Henker und Fanatiker, das religiöse Kultzentrum des Glaubens an Kaela Mensha Khaine. Als er so darüber nachsinnt, ergreift ihn dann doch eine gewisse Ehrfurcht vor dem unheiligen Gott mit der blutigen Hand.
Mit neuer Härte schnallt er seinen Gürtel, wirft seine Haare über die Schultern zurück. Kein übermäßiges Herausputzen für den Tempel, bestimmt er für sich, und verlässt seine Kammer, um auf den Flur zu treten, wo er bereits von einigen Wachen, Sklaven und nicht zuletzt seinen zeremoniell geschmückten Eltern erwartet wird.
Wie immer sieht man ihnen keine Gefühlsregung an, als er zu ihnen tritt und die Prozession sich in Bewegung setzt. Es ist ein kühler Herbsttag, das Sonnenlicht dringt aus milchigen Nebelschwaden zu ihnen, wärmt aber den Boden nicht. Schwarz wie Obsidian glänzt die Stadt, darauf thronen die dicht aneinander gedrängten, weiß gekalkten Häuser. Wie in allen Druchii-Städten ist der Verlauf der Straßen labyrinthartig und umständlich um im Falle eines Angriffs auf die Stadt die Angreifer zu verlangsamen und zu verwirren. Es dauert eine ganze Weile, ehe die Familie samt ihrem Gefolge aus dem Bezirk des niederen Adels hoch auf den zentralen Tempelberg kommt. Erwartung lastet schwer in der Luft, selbst das, was er einatmet, scheint daraus zu bestehen, während er zwischen seinen Eltern läuft. Die Bewohner der Stadt machen ihnen den Weg frei: Händler, Handwerker, Bedienstete, Soldaten. Kurz vor dem turmartigen Tempelkomplex frischt der Wind auf und weht ihm entgegen, ganz so als wolle er Chai davon abhalten die altehrwürdigen Stufen emporzusteigen. Er zögert, als seine Eltern und anderen Angehörigen und die Diener des Hauses plötzlich stehen bleiben. Sein Vater beantwortet blechern durch seinen Helm seine ungestellte Frage. „Du gehst allein.“ Dagheera kneift die Augen zusammen, nimmt ihr jüngstes Kind in ihren mahnenden Blick. „Achte das Hithuan und erweise dich als würdig!“ Chai schluckt, nickt dann und dreht sich langsam, sehr langsam wieder um. Er schaut auf den Boden, während er die Tempelpforte passiert. Schwer bewaffnete Wächter empfangen ihn und geleiten ihn stumm durch die Hallen und Gänge des grotesk verzierten Tempels. Es sind keine Worte nötig, denn jeder weiß, dass er erwartet wird. Doch zu seiner Überraschung kommt er zunächst in einen Warteraum, wo bereits andere junge Männer und Frauen erwartungsvoll in einer Reihe stehen. Es dauert lange, bis er an der Reihe ist. Einer nach dem anderen vor ihm verschwindet in der Kammer der Prüfung. Bei manchen ist es still, andere wiederum schreien aus Leibeskräften und lösen eine unerwünschte Gänsehaut auf seinem Rücken aus. Die Ungewissheit darüber, was gleich hinter der verzierten Doppelflügeltür aus Stein geschieht, raubt ihm fast den Atem. Er will keine Angst haben, es ist nur die Ehre, in diesen Hallen heute Beachtung zu finden, die seine Knie zum Zittern bringt, beschließt er für sich.
Nur etwa jede Zweite der Jugendlichen verlässt den Raum auch wieder, von allen anderen fehlt jede Spur, wenn der oder die Nächste hereingeholt wird. Irgendwann öffnet sich die Tür für Chai und ohne zu Zögern tritt er vor. Die Halle der Prüfung erwartet ihn mit drei grimmig dreinschauenden Tempel-Ã,,ltesten, einer Frau und zwei Männern. Sie tragen weiße, blutbefleckte Gewänder und ihre Augen haben die Farbe von flüssigem, heißem Messing. Sie mustern ihn wie ein frisches Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird, als er vor sie tritt. Der Boden unter seinen Stiefeln ist trügerisch und glatt. Er muss nicht nach unten sehen um zu wissen, dass es an dem frischen Blut liegt, auf dem er geht. Der markante, süßliche Duft von Tod und Furcht brennt sich für ewig in seine Nase.
Von diesem Moment an schwindet seine Erinnerung, so sehr er es auch immer wieder versuchte â€" bis heute fehlt seinem Gedächtnis die unbestimmte Zeit seines Aufenthaltes in der Kammer der Prüfungen. Sie kehren zurück, als er unwirsch über die Tempelpforte nach draußen geschoben wird. Er kann sich gerade noch fangen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren und die Treppe herunterzurollen. Dennoch schwankt er, unendlicher Schmerz pulsiert in seinem Körper und er verziert die Tempelstufe mit einer Spur frischen Blutes, das er hinter sich herzieht. Er fühlt sich elendig, schwach und unwürdig wie nie zuvor in seinem Leben. Eher periphär nimmt er wahr, dass der Morgen graut. Das langsam aufkommende Licht dient nur noch mehr dazu, die Enttäuschung seiner Familie zu beleuchten, die gehofft hatte, er würde sie vergeblich warten lassen. Auf dem ganzen Weg zurück in ihr Haus spricht niemand auch nur ein einziges Wort.
Erst als er in seine kleine, stille Kammer zurückkehrt, fühlt er etwas von seinem Mut wiederkehren. Ein verschandelter, menschlicher Diener allein ist bei ihm und tupft ihm Blutreste aus dem Gesicht. Er lässt es eine Weile schweigend über sich ergehen, doch dann zündelt eine Idee in ihm. „Du wirst etwas für mich tun.“ â€" „Was wünscht Ihr, Herr?“ Ein bösartiges Lächeln legt sich auf die Züge des jungen Druchii. „Du wirst hören, was meine Eltern nun miteinander bereden, belausche sie und berichte mir dann.“ Die Züge des Sklaven entgleisen ihm und er wird so blass, als hätte man seine Kehle gerade zum Ausbluten aufgeschnitten. „Aber... das darf ich nicht tun. Wenn man mich bemerkt, dann...“ Chai baut sich vor ihm auf, schaut ihm bitter in die Augen. „Dann was, Sklave? Hast du etwa Angst vor dem Tod?“ Seine Hand tastet nach seinem Dolch am Gürtel. Noch ehe er ihn berührt, ist der Sklave mit einer tiefen Verbeugung aus dem Raum geeilt. Noch immer blutig lässt er sich seufzend auf seine Bettkante fallen. Was er erfahren wird, wird ihm nicht gefallen, da ist er sich sicher. Trotzdem konnte er einfach nicht anders, als es in die Wege zu leiten.
Es dauert etwa eine halbe Stunde, ehe der Sklave wieder zu ihm zurückkehrt. Begleitet von zu viel Wein lässt sich Chai von ihm erzählen, was er beobachten und belauschen konnte und vor seinem geistigen Auge spiegelt sich die Szenerie noch einmal ab...

„Nun bleiben auch unserem zweiten Sohn die Wege der Erwählten verschlossen.“ Sagt Versacce finster. „Wir brauchen endlich mehr Einfluss in der Priesterschaft. Ich verfluche die Farbe seiner Augen!“ Seine Hand zur Faust geballt, lässt er sich in einen Sessel fallen, starrt in die Leere vor sich. „Warum sagst du das?“ Verlangte Dagheera zu wissen. „Es ist eine Enttäuschung, ja. Aber wenn ihm ein anderer Weg bestimmt gewesen wäre, dann hätten wir es doch sicher gespürt.“ â€" „Hätten wir mehr Söhne, hätten wir eine größere Chance auf einen Erfolg.“ Schnappte der Henker zurück und lehnte sich lauernd in seinem Knochensessel nach vorn, schien sie mit seinem Blick zu durchbohren. „Ach, das ist es also! Deine Wut richtet sich gar nicht gegen seinen Sohn, sondern gegen mich? Bin ich nun an allem Schuld und daran, dass er heute nicht erwählt wurde?“ â€" „Die Enttäuschung ist allumfassend, was gibt es da noch näher zu bestimmen.“ Es war keine Frage, vielmehr eine verbitterte Feststellung, doch Dagheera verschränkte die Arme und blickte ungerührt zu ihrem Mann. „Und ist es denn wirklich so schmählich, dass dein Sohn aller Voraussicht nach nur ein Krieger und Henker werden wird â€" so wie du?“ In weniger als einem Wimpernschlag war Versacce aufgesprungen und hatte die zierlichere Frau mit einer demütigenden Ohrfeige zu Boden geschickt. „Du bist vermessen, Weib!“ Urteilte er und zeigte mit der ausgestreckten Hand auf sie. Tapfer schluckte sie ein schmerzhaftes Stöhnen herunter und kam langsam wieder auf die Füße zu stehen. Sie wagte es sogar, ihm ins Gesicht zu sehen. „Ja, mein Herr, das bin ich. Damit du es nicht wirst und überlebst.“ Als sie zum Ausgang hinkte, schien es eine Ewigkeit zu dauern, doch Versacce gebot nicht über die Kraft sie aufzuhalten.

Noch am gleichen Abend, nach einigen Stunden ruhelosen Schlafes, stand Chai in der Audienzkammer des Hauses vor dem Thron seines Vaters. Neben ihm stand Dagheera, eine Gesichtshälfte war bläulich angelaufen und geschwollen, doch es ließ sie nicht schwach wirken, trug es doch eher noch dazu bei ihrer stoischen Kälte Ausdruck zu verleihen. Selbst Maggor war anwesend, musterte das Geschehen eher unbeteiligt bis gelangweilt.
Der Herr des Hauses mustert Chai nun von oben bis unten, als er vor ihm steht und den Kopf respektvoll neigt. Es kommt dem jungen Druchii vor, als würde er ihm zum allerersten Mal richtig wahrnehmen, als er schließlich seine Stimme für ihn erhebt.

„Chai von meinem Blute, dem Hause Versacce, der Tempel hat sein Urteil über dich gefällt und dir gebührt nun die Ehre, als Krieger ausgebildet zu werden von den Lehrmeistern des Hauses, dieser Stadt und den Akademien Naggaroths. Trage die Verantwortung mit Würde, du stehst nun offiziell in den Diensten des Hexenkönigs.“ Er winkte zwei Sklaven nach vorn, die eine lange Klingenwaffe und einen feingegerbten Kheitan aus Tierhaut zu Chai herüber trugen. „Draich und Kheitan gehören nun dir, aber ich erwarte, dass du sie dir auch verdienst. Blut und Seelen!“ â€" Blut und Seelen!“ antwortete Chai und es überraschte ihn, wie überzeugt und stolz er die Worte herausbrachte. Die Sklaven legten ihm den Kheitan an und dann hielt er die mächtige Waffe vor sich in den Händen. Sie fühlte sich schwer an, schwer von dem Gewicht der Erwartung, unzählige Leben zu nehmen. Chais Herz klopfte schneller...das hier war nun endlich seine Bestimmung.
Sszirahc Ousst'tar
Astor Duor
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