Metamorphose

Started by Monoceros, 08. Juli 2008, 15:48:20

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Monoceros

I. Abenddämmerung

Siebter Tag der Flammleite im Jahr der Flammenden Hand


Der Himmel hatte sich rot gefärbt, erstrahlte noch einmal im Glanz der untergehenden Sonne. Miranda saß in der Nähe des Druidenhains auf einem Felsen, aufrecht wie immer, und betrachtete das geschäftige Treiben unter sich. Die Tiere hatten sich längst an ihre Anwesenheit gewöhnt und nahmen kaum Notiz von der Silbermaid, die hier nach ein wenig Ruhe und Frieden suchte, Frieden, wie er den tierischen Bewohnern des Waldes nicht vergönnt war und den sie so dringend brauchte.
In ihrem Inneren tobte ein Sturm widerstreitender Gefühle. Wieder hatte sie eine Vision überkommen und wieder war es in der Stadt geschehen, wo alle es sehen konnten, wo sich fragende Blicke auf sie richten, neugierig, besorgt und ihr selbst blieb nichts weiter als sich dafür zu entschuldigen, dass sie keine Antwort auf die Fragen geben konnte, keine Lösung hatte für das, was immer wieder mit ihr geschah.
Lag es an der Kraft, die sie durch sich strömen ließ? War das der Auslöser? Nein, die Visionen früherer Tage hatten nichts damit zu tun. In den Ruinen hatte sie diese Kraft in Bahnen gelenkt, die sie vorher nicht gekannt hatte und noch weiter zurück in der Zeit waren die Visionen ebenfalls aufgetreten, auch ohne dass sie Lurues heilige Kraft gebündelt und in ihrem Namen geformt hatte.
Der Wind frischte ein wenig auf und sie schloss die Augen, nahm es hin, dass er durch ihr weißes Gewand strich. Ein Dachs kam aus seinem Bau in der Nähe und machte sich schnuppernd auf die Suche nach etwas essbarem. Regungslos beobachtete Miranda, wie er auf sie zukam, dann innehielt und sich abwand, um an einem anderen Ort weiterzusuchen, ohne dass ihm Mirandas Anwesenheit wirklich bewusst geworden wäre.
In der Ferne erhob sich das Heulen des kleinen Wolfsrudels, das sich in der Umgebung des Hains niedergelassen hatte. Pulsierendes Leben, zäh und mit unbändiger Kraft und vermutlich auch hungrig, aber ebenso Mirandas Anwesenheit ignorierend.
Sie horchte in sich hinein, horchte auf ihren Atem, der immer tiefer wurde und suchte nach Entspannung, nach Ruhe nach dem hektischen, aufwühlenden Tag. Die Geräusche der Umgebung traten in den Hintergrund, verloren an Bedeutung, während ihr Geist immer ruhiger wurde.
Dann fühlte sie es. Eine Präsenz, nicht weit entfernt. Sie hatte sich ihren Sinnen bisher entzogen und war doch in ihrer Nähe gewesen, hatte sie beobachtet. Miranda konzentrierte ihre Sinne auf diese Präsenz und schloss die Augen unwillkürlich fester, als sich die Präsenz ihrer Aufmerksamkeit entzog. Sie versuchte, die Konzentration aufrecht zu erhalten und noch einmal zu verstärken, aber es nützte nichts, sie war nicht zu greifen.
Doch noch etwas anderes war da draußen, sehr weit entfernt, ein Geist, der ihr merkwürdig vertraut vorkam, verwandt der Präsenz, die sie zuvor gespürt hatte, alt, weit entfernt und doch von einer Kraft, die die Entfernung überwand.
Es war nicht zu vergleichen mit der sanften Berührung durch die Einhornkönigin, wenn sie ihre Aufmerksamkeit erregt hatte und die Göttin ihren Geist berührte, behutsam und vorsichtig. Es war eine unbändige Kraft, ungezügelt, und sie schien Miranda zu bemerken. Unwillkürlich versteifte sich die Silbermaid, spannte die Muskeln an in Erwartung der Flut, die ihren Geist überschwemmen würde, doch nichts geschah. Die Präsenz hielt sich zurück, wartete ab, während sich Miranda langsam wieder entspannte.
Dann hüllte sie plötzlich Dunkelheit ein wie ein wärmender Mantel und sie versank in tiefem Schlaf.

Als sie die Augen wieder öffnete, stand die Sonne bereits hoch am Himmel. Eine Weile lag sie einfach auf dem Rücken, bis sie des Hechelns in ihrer Nähe gewahr wurde. Langsam drehte sie den Kopf und blickte in das Antlitz eines großen Wolfes, der es sich neben ihr gemütlich gemacht hatte. Als sie sich bewegte, rappelte er sich auf und trottete zu ihr.
Miranda schluckte und tastete an ihrem Gürtel nach dem Messer, das sie sonst zum Ernten von Kräutern benutzte, doch das Tier griff sie nicht an, leckte ihr stattdessen zweimal übers Gesicht und trottete weiter.
Der Silbermaid schlug das Herz bis zum Hals und sie blieb eine Weile wie erstarrt liegen, bis sie es wagte, dem Wolf mit den Augen zu folgen. Er war nicht der einzige, ein weiterer lag nicht weit entfernt und gähnte ausgiebig.
Ganz langsam setzte sie sich auf. Von dem Rudel war nichts weiter zu sehen als diese beiden, die nun langsam den Abhang heruntertrotteten und die Priesterin in ihrer Verwirrung zurückließen.
Monoceros

Charakter:
Miranda Sturmwind - Stolze Silbermaid

Monoceros

#1
II. Neumond

Zweiter Tag im zweiten Zehntag der Flammleite im Jahr der Flammenden Hand


Regungslos saß Miranda am Nordufer des Plateau-Sees, den Blick auf das Wasser gerichtet. Tückische Strömungen verbargen sich unter der Oberfläche, gefährlich für einen unerfahrenen Schwimmer. Nichts desto trotz schenkte ihr die Existenz des Gewässers für gewöhnlich eine Ruhe, die sie nur selten an anderen Orten verspürte.
Aber es fiel ihr schwer, diese Ruhe auch heute zu finden. Ihr Geist war in Aufruhr, auch die nächtliche Zwiesprache mit Lurue hatte ihr nicht den Frieden bringen können, nachdem sie suchte. Die Probleme fingen an, ihr über den Kopf zu wachsen, sie fühlte sich unruhig und schlief schlecht.
Ein verärgertes Seufzen entfuhr ihr. Seit dem Krieg hatte sie diese Unruhe nicht mehr verspürt, hatte gehofft, endlich Ruhe zu finden in den Wäldern, in der Gegenwart von Licht des Morgensterns. Aber es war ihr wieder nicht vergönnt.
Wut stieg in ihr auf. Sie hatte nicht um diese Reise gebeten, hatte nicht nach der Gelegenheit gesucht, sich mit all diesen Problemen zu beschäftigen, die nun vor ihr lagen. Und es hätte nach drei Zehntagen ein Ende haben können, kurz, schmerzlos, aber nein, sie hatte sich wieder einmal anders entscheiden müssen, hatte wieder einmal nach einem Weg gesucht, das beste aus ihrer Situation zu machen, anstatt den einfachen Weg zu wählen.
Zornig verzog sie das Gesicht. Sie gehörte nicht hierher und was schuldete sie schon dieser Stadt? Sie war nicht ihre Heimat und würde es niemals sein, sie war durchsetzt und infiltriert durch Kräfte, die Fürstenborn den Untergang bringen wollten. Sie selbst hatte dafür bezahlen müssen, dass sie Menschen in ihrem Elend half, sich dafür registrieren müssen, ein Bürge hatte sich ihr verpflichten müssen und nur wenige brachten ihr den Respekt entgegen, der ihr zustand, und würden doch erwarten, dass sie alles tat, um ihr Leben zu retten, wenn sie nach der Schlacht in ihrem eigenen Blut lagen, erwarten, dass sie jegliche Missachtung und Ignoranz gegenüber ihrer Königin einfach vergaß.
Allein die Tatsache, dass sie sich die meiste Zeit des Tages in den Wäldern aufhielt, bewahrte sie vor der Erniedrigung, um Geld bitten zu müssen oder gar Geld dafür zu verlangen, dass sie das unermesslich wertvolle Geschenk, das Lurue ihr gewährt hatte, zum Wohle anderer einsetzte.
Mit grimmiger Miene starrte sie auf die Wasseroberfläche, die sich von ihrer Laune völlig unbeeindruckt zeigte. Wie sollte es auch anders sein, was kümmerte den See schon der verletzte Stolz einer Priesterin? Schnaubend richtete sie den Blick nach Süden, in Richtung des kleinen Vulkans.
Was sollte sie tun? Wo sollte sie beginnen? Das große Ganze konnte sie nicht beeinflussen, der Krieg wurde von Rädern herbeigekarrt, die außerhalb ihrer Reichweite lagen. Der geheimnisvolle Mörder spielte ein Spiel, das sie nicht kannte und bei dem sie nicht mitspielen konnte. Die dunklen Gassen und das Geschehen dort war ihr fremd, sie war eine Silvaeren, und wenn sie nicht in ihrer Heimatstadt war, dann war sie in der Wildnis unterwegs, der solches Treiben fremd war.
Plötzlich verzog sie schmerzverzerrt das Gesicht, spürte noch, wie sich wieder jeder Muskel ihres Körpers verkrampfte, dann wurde ihr schwarz vor Augen.

Ihre Augen flatterten, öffneten sich schließlich. Eine eigentümliche Stille umgab sie, eine merkwürdige Schwärze. Vor ihr lag ein See, aber es war nicht der Plateau-See, sondern ein kreisrundes Gewässer, dessen Oberfläche sich nur leicht kräuselte. Das Wasser leuchtete sanft in einem eigentümlichen Blau, schien aber das pechschwarze Ufer kaum zu erhellen. Vollständige Dunkelheit umgab sie, bis auf diesen seltsamen See.
Panik stieg in ihr auf, doch sie rang sie nieder und kam auf die Beine. Ihr Körper fühlte sich schwer an, bleiern, ihre Bewegungen waren langsam und kosteten viel Kraft, aber schließlich stand sie aufrecht. Kein Himmel, kein Wald um sie herum, nur Dunkelheit, bis auf diesen See. Mit mühsamen Schritten und klopfendem Herzen überwand sie die wenigen Meter, die sie vom Wasser trennten.
Unwillkürlich sank sie auf die Knie und streckt die Hand aus. Verblüfft nahm sie die Veränderungen zur Kenntnis, die ihr selbst wiederfahren waren. Ihre Haut war weiß wie Alabaster und die Linien ihrer Tätowierung leuchteten intensiv in silbernem Licht. Sie trug ein weißes Gewand, ähnlich dem, das sie einst in Silbrigmond getragen hatte, leicht, fließend und von kundiger elfischer Hand geschaffen. Kein Schwert, kein Schild, keine Lanze, auch ihre Tasche fehlte.
Ihr Blick wanderte zu ihrem Spiegelbild auf der Wasseroberfläche und ihre Augen weiteten sich. Unnatürlich klar sah sie ihr eigenes Antlitz, aber war sie es tatsächlich? Ihre Augen waren von unergründlich tiefem Blau, durchsetzt von sternengleichen, silbernen Punkten und ihr Haar besaß einen merkwürdigen, silbernen Schimmer, der ihr vertraut vorkam.
Mit Angst im Herzen brachte sie ihre Fingerspitzen ihrem Spiegelbild näher, doch als sie schließlich die Wasseroberfläche berührte, veränderte es sich. Der Finger ihres Spiegelbildes ähnelte ihr plötzlich nicht mehr im Mindesten, hatte sich verändert zu einer scharfen Klaue, die ganze Hand, der ganze Arm wirkte wie verdorrt, das Gesicht war wie das einer Toten und mit einem tonlosen Schrei schien sich furchtbare Etwas auf sie stürzen zu wollen.
Mit einem Schrei des Entsetzens hieb Miranda auf die Wasseroberfläche ein, wieder und wieder. Das Wasser spritzte um sie herum, brannte auf ihrer Haut, doch sie setzte ihr zerstörerisches Werk fort, bis die Erschöpfung ihr schließlich Einhalt gebot. Als sie schließlich schwer atmend ihre Arme betrachtete, sah sie entsetzt, dass sie überall dort, wo das Wasser sie berührt hatte, aussah wie die grauenvolle Erscheinung, die sich auf sie gestürzt hatte.
Verzweifelt versuchte sie mit letzter Kraft, den Makel wegzuwischen, sich davon zu befreien, aber es war zwecklos und die Panik in ihr wuchs wieder rasant, raubte ihr fast die Sinne. Einer plötzlichen Eingebung folgend drehte sie hastig ihre rechte Hand, um das Symbol ihrer Königin zu sehen.

In diesem Moment öffnete die Silbermaid die Augen und schnappte nach Luft. Ihre Lungen brannten und die Muskeln erschlafften regelrecht, als die Spannung endlich nachließ, und sie sank einfach auf den Rücken, den Blick in den blauen Himmel gerichtet und kam langsam wieder zu Atem. Es dauerte einen Moment, bis sie es wagte, den Blick auf sich selbst zu richten und ein erleichtertes Seufzen entfuhr ihr.
Alles war in Ordnung. Das Symbol Lurues, ihre Haut, alles war, wie es sein sollte und langsam kehrte auch ihre Kraft wieder zurück. Das Herz schlug ihr bis zu Hals und als sie sich kräftig genug fühlte, rappelte sie sich auf bis auf die Knie und kroch nach vorne, um sich im Wasser des Sees zu betrachten.
Verzerrt sah sie ihr natürliches Spiegelbild. Das Wasser war nicht aufgewühlter als sonst, und um sie pulsierte das Leben, als sei nichts geschehen.
Monoceros

Charakter:
Miranda Sturmwind - Stolze Silbermaid

Monoceros

#2
III. Silberstreif

Erster Tag des dritten Zehntages im Jahr der Flammenden Hand


Schweißgebadet schrak Miranda von ihrem Nachtlager auf. Das Baumzelt schwang hin und her, aber das kümmerte sie nicht weiter. Sie war zu lange unterwegs gewesen und hatte zu lange in solchen Zelten geschlafen, um sich davon noch beeindrucken zu lassen.
Nein, ihre Angst saß tiefer, hatte sich in ihre Träume geschlichen. Mit zitternden Händen wischte sie sich die Schweißperlen von der Stirn und warf einen Blick hinaus. Mit einer Mischung aus Überraschung und Entsetzen stelle sie mit Blick auf die kleine Lichtung in der Nähe fest, dass die Sonne bereits hoch am Himmel stand.
Verwirrt schüttelte die Priesterin den Kopf. War es die merkwürdige Glaubensdebatte gewesen, die sie gestern noch geführt hatte? Dieses merkwürdige, blasphemische Gerede von einer omnipotenten Gottheit? Noch in dem Moment, in dem sie diesen Gedanken fasste, wurde ihr klar, dass das nicht der Grund gewesen war. Die Königin der Einhörner ließ sich nicht verleugnen, wen sie ihrem Pfad als würdig empfand, würde sie ihn offenbaren und den, der ihrer Hilfe bedurfte, nicht vergessen.
Langsam kehrten die Bilder der vergangenen Nacht zurück. Sie war wieder am See gewesen und sie hatte wieder in ihr eigenes Antlitz geblickt und sie spürte, dass sie wieder nicht erfolgreich gewesen war, dass sie wieder versagt hatte. War es eine Prüfung ihrer Göttin? Was hatte sie übersehen?
Sie versuchte, den Gedanken beiseite zu schieben und machte sich daran, das Nachtlager abzubrechen, eine Aufgabe, die ihre ganze Konzentration erforderte.
Der Falke hatte sich in der Nähe auf einem Ast niedergelassen und Miranda spürte, dass er seinen Hunger bereits gestillt hatte, ein Gefühl, das sie nicht teilte. Sie fühlte sich kraftlos und müde und Hunger und Durst ließen nicht lange auf sich warten, obwohl sie die Bedürfnisse ihres Körpers nicht vernachlässigt hatte.
„Was ist los?“, ertönte seine ein wenig krächzende Stimme in der Sprache der Feenwesen. Miranda sah ihn eine Weile an. Wie sollte sie Eridias begreiflich machen, was mit ihr los war, wenn sie es selbst nicht so recht wusste? Die Antwort nagte in ihr, lag in ihr selbst, das wusste sie, aber sie bekam sie nicht zu greifen.
Der Falke musste ihre Verwirrung gespürt haben, denn er breitete die Flügel aus und flog mit kräftigen Flügelschlägen davon, eine Geste, von der sie mittlerweile wusste, wie schwer sie dem ungeheuer neugierigen, erwachten Verstand des Vogels fiel.
Frustriert seufzte sie und machte sich an den Abstieg. Der Tag wartete nicht darauf, dass sie ihn endlich beginnen wollte. Hungrig griff sie in die Tasche an ihrem Gürtel, entnahm ihm Trockenfleisch und einige Beeren, dazu einen Wasserschlauch und machte sich über das Frühstück her. Es war keine kulinarische Offenbarung, aber sie hatte sich daran gewöhnt und es war besser als vieles, was andere Reisende mit ihren einfachen Mitteln als Proviant mit sich herumtragen mussten.
Nachdem der erste Hunger gestillt war, sah sie sich nachdenklich um. Hier im dichten Teil der Wälder war es kühl und angenehm, auf der anderen Seite konnte sie aber nicht den ganzen Tag hier bleiben und ihn ungenutzt verstreichen lassen. Seufzend legte sie sich die Hand auf die Brust, um die Kraft ihrer Göttin durch sich strömen zu lassen und ihrem Körper etwas Erholung zu gönnen, doch noch während sie die Bewegung ausführte, spürte sie, dass sich die Entität wieder näherte. Es war noch nicht vorbei.
Monoceros

Charakter:
Miranda Sturmwind - Stolze Silbermaid

Monoceros

Zweiter Tag des dritten Zehntages im Jahr der Flammenden Hand, am frühen Morgen


Sie hatte es getan, sie hatte es wirklich getan. Miranda schluckte und warf noch einmal einen Blick in ihre Tasche, wie, um sich noch einmal zu versichern, dass sie den Fokus wirklich aus der Hand gegeben hatte.
Maeria, ihre Mentorin, hatte ihr nie verraten, warum sie ihn hatte anfertigen müssen, nur erklärt, wozu er diente. Hatte die Einhornreiterin vorhergesehen, was passieren würde? Hatte sie gewusst, was mit ihrer Schülerin einst geschehen würde? Aber wenn das so war, handelte es sich vielleicht um etwas, das jeder Silbermaid widerfuhr?
Miranda schüttelte den Kopf. Sie hatte noch nie etwas von derartigen Visionen gehört, von einem mächtigen Geist, der Priesterinnen Lurues plagte und vielleicht auch prüfte. Aber ihr war auch bewusst, dass sie nicht in alle Geheimnisse ihres Glaubens eingeweiht worden war. Maeria trug zwar den Titel „Ladycorn“, aber sie hatte das Einhorn niemals gesehen, das sie den Erzählungen über sie nach zu urteilen einst begleitet haben musste, und Maeria hatte ihre Fragen darüber stets unbeantwortet gelassen, ihr lediglich mitgeteilt, den Weg zu den Einhörnern müsse sie selbst finden.
Und das hatte sie auch versucht, nicht wahr? Sie hatte das Licht des Morgensterns gefunden und es war nicht einfach gewesen, sich dafür als würdig zu erweisen, sie hatte es sogar geschafft, das mächtige Wesen eine Weile zu begleiten, und viel dabei gelernt.
Aber ihr war klar geworden, dass das nicht der Weg war, den ihre Mentorin gemeint hatte. Er hatte sie weitergebracht, ganz ohne Zweifel, aber sie war noch weit davon entfernt, das Ziel des eigentlichen Weges zu erreichen und auch wenn sie Licht des Morgensterns nur zu gerne wiedergesehen hatte, spürte sie doch, dass das nicht die Richtung war, in die sie jetzt gehen musste.
Doch der Weg, der nun vor ihr lag, war voller Ungewissheit und Gefahr, mehr noch, als es die Zukunft ohnehin stets war. Sie stand vor einem Abgrund, ohne zu wissen, wie tief er war und was sie an seinem Grund finden würde.
Es gab ihrem Geist ein wenig Frieden, dass sie den Sprung nicht alleine wagen musste. Das Risiko blieb, aber sie hatte nun Margali an ihrer Seite. Mit der Herausgabe des Fokus hatte sie alles auf eine Karte gesetzt, auf Gedeih und Verderb jeden Schutz ihr gegenüber fallengelassen.
„Das Einhorn ist Symbol für Hoffnung, Freude, Erlösung und Schutz für die Bedürftigen, Verzweifelten und im Stich gelassenen.“, murmelte sie. „Genieße das Leben und begleite es mit einem Lachen. Stelle dich, wenn du herausgefordert wirst und schenke, wann immer dir der Sinn danach steht.“ Sie griff sich an den Hals und schluckte, bevor sie damit fortfuhr, die Worte zu wiederholen, die Maeria sie einst gelehrt hatte.
„Verfolge schier unmögliche Träume schon wegen des schieren Wunders der Möglichkeit ihrer Erfüllung. Jedermann, ganz gleich wie einzigartig, ist wegen seiner Stärken zu preisen und wegen seiner Schwächen zu beruhigen. Das Böse schmilzt am schnellsten dahin, wenn es auf messerscharfen Witz und befreiendes Lachen trifft.“
Und dann war da noch der Satz, der ihr Leben mehr geprägt hatte als jeder andere: „Suche nach dem Einhorn und finde das Glück.“ Der Leitsatz der Silbermaiden, das höchste Streben. Aber wie hieß es doch gleich? Der Mensch irrt, solang' er strebt...
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Charakter:
Miranda Sturmwind - Stolze Silbermaid

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#4
Vierter Tag des dritten Zehntages im Jahr der Flammenden Hand

Vorbemerkung:
Die Traumsequenzen und ihre Auswirkungen stehen nicht in Zusammenhang mit den Alpträumen aus Darkys Plot: Die zeitliche Überschneidung der Handlungsstränge ist dem Zufall geschuldet.


Der Morgen begann ebenso wie der vorherige. Wieder wachte Miranda schweißgebadet auf, nur, dass sie sich erneut nicht im Wald befand, sondern in dem Bett, das Brom ihr für die Nacht zur Verfügung gestellt hatte.
Eine Weile lag sie einfach nur da und starrte an die Decke. Sie hatte den Schritt gewagt, den Schritt zu dem, was sie vielleicht endlich aus dieser Sache befreien konnte, und nun konnte sie nur noch warten, bis das Licht des Mondes die Zeremonie erhellen konnte. Wieder und immer wieder ging sie in Gedanken durch, was sie über die Entität wusste, die sie so hart prüfte, aber ihr wollte einfach nichts einfallen, das sie übersehen hatte.
Sie hatte sie nie direkt angegriffen, trotz der erheblichen Macht, die sie ohne jeden Zweifel besaß. Manche Visionen hatten sie erschreckt, waren düster gewesen, andere nicht, aber jedesmal war der Kontakt zu intensiv gewesen, als dass sie ihn wirklich hätte verarbeiten können. Aber er war besser geworden, klarer. Gewöhnte sie sich vielleicht daran?
Ihre Gedanken wanderten zurück zu den Ruinen. Areldath comonron selathatai, eldeneret tjalai, Worte der Macht, Worte, die die heilige Kraft ihrer Königin in einer Art und Weise kanalisiert hatten, wie sie es nie zuvor erlebt hatte. Nur die mächtigsten der Untoten hatten es überhaupt geschafft, sich ihr zu nähern.
„Ich denke, es ist etwas gutes.“ Nathees Worte kamen ihr wieder in Erinnerung. „Vertraue auf deine Göttin – sie wird dich vor jedem Bösen beschützen.“
Sie vermisste die Gnomin, ebenso wie die Ruhe, die sie ausgestrahlt hatte und die ihr anfänglich geholfen hatte, mit all dem fertig zu werden. Aber sie war nicht da und der Punkt, bis zu dem sie das alles noch hatte hinnehmen können, war überschritten. Sie konnte sich diese Ablenkung, diese Schwächung, nicht länger leisten.
Wenn auch nur das geringste an der Theorie, die Linnéa aufgestellt hatte, der Wahrheit entsprach, würde sie ihre Macht bald dringender benötigen als jemals zuvor. Außerdem galt es, einen Untoten in seine Grenzen zu verweisen.
Doch die Entschlossenheit wurde schnell wieder getrübt von der Unsicherheit, die sie verspürte. Hatte sie im Sinne Lurues gehandelt? Hatte sie das richtige getan, die Entscheidungen gefällt, die ihrer Königin gerecht wurden? Warum war sie hier geblieben und nicht in die Heimat zurückgekehrt, sobald sie es gekonnte hatte? War sie auf dem richtigen Weg?
Frustriert schüttelte sie den Kopf, schwang sich aus dem Bett, und stützt ihre Stirn auf die Hände. Sie hatte keine andere Wahl. Sie musste die Entscheidung herbeiführen, gleich, was das für sie bedeuten mochte, und sie hatte mit Margali eine starke Verbündete an ihrer Seite. Sie hatte alles in ihrer Macht stehende getan, alles war bereit. Nun galt es, herauszufinden, auf wessen Seite dieser Geist wirklich stand.
Wenig später konnte man die Silbermaid in Weilersbach am Meer beobachten, in der Nähe der Brandung meditierend, die eigene Kraft schonend und bündelnd. Heute musste der Tempel auf sie verzichten.
„Suche nach dem Einhorn und finde das Glück.“, murmelte sie. „Vertraue auf deine Göttin, sie wird dich vor jedem Bösen beschützen.“ Und so verbrachte sie manche Stunde, ohne sich von dem Treiben in ihrer Nähe beeindrucken zu lassen, gehüllt in Magie, die die Aufmerksamkeit von ihr abgleiten ließ.
Die Sonne stand tief, als sie sich endlich erhob und die Klippen hinaufstieg, um in die Stadt zurückzukehren. Eine letzte Vorbereitung galt es noch zu treffen...

Anmerkung des Autors:
Die Geschichte ist im Forum nicht abgeschlossen worden, der Handlungsstrang wurde ig abgeschlossen. Aufgrund der Spoiler-Gefahr bezüglich eines anderen Plots habe ich davon abgesehen, das ganze im Forum zu vervollständigen.
Monoceros

Charakter:
Miranda Sturmwind - Stolze Silbermaid